Aktuelle Bewertung der Bahnstationen
„Eigenlob stinkt“: Umstrittene Bestbewertungen für Halterner Bahnhof
HALTERN AM SEE. Nach erfolgter Sanierung des Halterner Bahnhofs sollte dieser laut Bahn AG als mustergültiger „Zukunftsbahnhof“ ein hochmodernes Vorzeige-Objekt sein. Entsprechend positiv bewertete ihn aktuell auch der VRR - durch externe Tester ohne Kundenbefragung. Die Bahnkunden in der Touristenstadt Haltern reiben sich verwundert die Augen, ob damit tatsächlich ihr Halterner Bahnhof gemeint sein kann oder ein Marketing-Gag die Mängel und Defizite überdecken soll, die mit der Modernisierung einhergingen. Denn das moderne Erscheinungsbild mit Barrierefreiheit und neuen Aufzügen und neu plattierten Bahnsteigen können über die Defizite nicht hinwegtrösten, die eine Verkehrswende hin zum ÖPNV erschweren. Deshalb sind die fragwürdigen Bestbewerbungen umstritten.
Kaum war der Halterner Bahnhof als mustergültiges Vorzeigeobjekt eines modernen „Zukunftsbahnhofs“ durch die Bahn AG auserkoren worden, wurde erst einmal der bewährte Kunden-Serviceschalter dicht gemacht. Kundennähe und Service haben keine Zukunft mehr. Der Serviceraum wurde stattdessen in einen angeblich komfortablen Warteraum mit Sitzgelegenheit umgebaut, der bei den alltäglichen Verspätungen auch dringend benötigt wird. Doch dieser ist seither stets verschlossen und für die Bahnkunden nicht nutzbar und auch nicht für die Umsteiger zu den Anschluss-Bussen, die zu den Dörfern wie Lavesum nur im Stundentakt fahren. Durch die verschlossene Tür, an der ein Willkommensschild aufgeklebt ist, können sie aber hineinschauen.
Trotzdem Bestnoten für die „Aufenthaltsqualität“? Obendrein hat zum Bedauern der Bahnkunden auch noch der langjährige Zeitungskiosk in der Bahnhofshalle ersatzlos geschlossen. Ein Zukunftsbahnhof ohne Infrastruktur? Allein die bunte Bemalung der alten Bahnhofshalle schafft noch keine Aufenthaltsqualität, zumal auch der Bahnhofsbäcker nicht mehr durch die Halle, sondern nur noch von außen zu betreten ist.
Menschliche Bedürfnisse einfach ausgeblendet?
Nach der Eröffnung des modernisierten „Zukunftsbahnhofs“ vor einem halben Jahr schrieb die Halterner Zeitung. „Wer am Halterner Bahnhof ein dringendes Bedürfnis verspürt, hat ein Problem“. Eine eigene Bahnhofstoilette der Bahn AG oder des VRR gibt es nicht, sondern nur die von der Caritas angebotene stationäre Toilette, die im Eröffnungszeitraum des „Zukunftsbahnhofs“ aber kein Aushängeschild war: Beschmierte Wände, dreckige Toiletten zerstörte Waschbecken.
Ein „Zukunftsbahnhof“ braucht eine neue moderne und gepflegte Toilettenanlage mit automatischer Reinigung, sonst wird die Notdurft gezwungenermaßen hinter den Bahngleisen verrichtet und seriöse Bahnkunden werden gezwungenermaßen zu „Wildpinklern“, wenn sie vergeblich auf die Bordtoiletten der verspäteten oder ganz ausfallenden Züge warten. Caritas, Stadt und Bahn waren daraufhin um Verbesserung der unhaltbaren Zustände bedacht, die von den Bahnhofplanern der Bahn AG ignoriert oder ausgeblendet worden waren. (Schade, dass die prominenten Gäste bei der feierlichen Bahnhofseröffnung nicht selber ein dringendes Bedürfnis verspürten…)
Keine alltagstauglichen Lösungen
Bereits vor einem halben Jahr haben sich Bahnnutzer wie auch der Seniorenbeirat der Stadt mit Mängellisten und Verbesserungsvorschlägen für Detaillösungen an die Lokalzeitung gewandt. Unter anderem ging es um behindernde Zäune ohne Durchgangstore, um Umwege zu ersparen. (Angeblich wolle man Sprayer damit abhalten und Vandalismus nach 20 Uhr vorbeugen, was so wohl kaum gelingt). Eine komplett fehlende Bahnhofsuhr wurde vermisst sowie schlecht einsehbare oder nur von einer Seite lesbare Anzeigetafeln mit zu kleinen Beschriftungen. Bemängelt wurden ferner abgelegene Fahrkartenautomaten, da die älteren Kunden oft nicht mit dem DB-Navigator-App umgehen können, zumal bei Zeitdruck.
Ein zweiter Fahrkartenautomat fehle ebenso wie ein Snack-Automat, so wurde bemerkt. Auch die Radfahrer vermissen Informationen, Durchsagen oder Uhrzeit auf den Bahnsteigen, da sie mit den Rädern zwischen den Bahnsteigen nicht so beweglich sind. Auch viel zu wenige Sitzgelegenheiten wurden beklagt. Der Fußgängertunnel sei zu weit vom Bahnhofsgebäude entfernt, was baulich nicht mehr korrigierbar ist.
Fehlende oder irreführende Beschilderung und Fahrgastinformation
Auch wenn es Bestnoten für die Fahrgastinformation gibt - wohl weil es im Eingangsbereich und auf dem Vorplatz des Bahnhofs elektronische Anzeigetafeln auch für die Busse gibt – so vermissen die Bahnfahrer jedoch auf den Halterner Bahnsteigen die auf anderen Bahnhöfen üblichen Anzeigetafeln oder Lautsprecherdurchsagen, wie es sie sogar auf dem Vorortbahnhof in Sythen gibt. Nicht jeder Bahnnutzer hat die Bahn-App heruntergeladen und stets sein Smartphone dabei. Aber selbst die dortige Informationspolitik der Bahn bei Ausfällen, Störungen und Verspätungen ist oft wenig aussagekräftig oder hilfreich.
Für Park&Ride-Nutzer bleibt nach wie vor festzustellen: Der großzügige neue Pendlerparkplatz südlich der Bahngleise statt vor dem Eingangsbereich - der nur auf Umwegen mit dem PKW durch Umrundung der Innenstadt und Warteschlangen an den Ampeln erreicht werden kann – ist für Ortsfremde völlig unzureichend beschildert. Weder bei der Zufahrt über die Recklinghäuser Straße/Ikenkamp ist eine hilfreiche Beschilderung vorhanden noch auf den Treppenaufgängen, wo der Ausgang zum See keinen weiteren Richtungshinweis für Touristen gibt. Am Bahnhof befindet sich ein leerer Infokasten und ein überalterter Stadtplan, bemerkte ein aufmerksamer Bürger. (Einige Anregungen wurden zwischenzeitlich von der Stadtagentur und Wirtschaftsförderung aufgegriffen). Nunmehr soll es alsbald zu einer Begrünung des versiegelten Bahnhofsvorplatzes kommen, und zwar im Zusammenhang mit einem angrenzenden Prestige-Bauprojekt der Flächenentwicklungsgesellschaft der Stadtwerke auf dem Gelände des früheren Park and Ride-Parkplatzes neben dem Bahnhofsvorplatz.
Verkehrswende mit Zugausfällen am laufenden Band?
Nur wenige Bahnstrecken im Ruhrgebiet waren in den letzten Jahren so oft von Störungen oder Gleisarbeiten betroffen wie der Streckenabschnitt wischen Haltern und Essen oder Münster sowie auch der S-Bahn-Strecke von Haltern – so auch jetzt wieder zwei Wochen vom 10. bis 24. Juni (mit zumeist unzureichendem Ersatzbusverkehr). Hinzu kommen die ungeübten Bahnkunden mit dem 9€-Ticket, die erst jetzt die täglichen Zugausfälle und -verspätungen kennenlernen und auf zuverlässige und aussagekräftige Hinweistafeln oder Lautsprecherdurchsagen angewiesen sind.
Zwar ist an der Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit der Züge nicht der Halterner „Zukunftsbahnhof“ schuld (obwohl es sich um den gleichen Betreiber oder den Partner VRR handelt), aber was nützt der moderne Bahnhof, wenn der eigentliche Nutzungszweck der Mobilität durch denselben Betreiber nicht gewährleistet wird, der auch die Bahnhöfe an den Kundenbedürfnissen teilweise vorbei plant und deren Kritik und Verbesserungsvorschläge ignoriert. So kann jedenfalls die Verkehrswende mit angestrebter Stärkung des ÖPNV nicht wirklich gelingen. Wirklich professionell war die Bahnhofsplanung nicht, deshalb sollte man die Kritik der leidgeprüften Bahnnutzer als eigentliche Profis zum Anlass für Verbesserungen nehmen, statt sich selber per Eigenlob zum perfekten Bahnhof hoch zu "testen".
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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