KOMMENTAR: Bürgerinitiative gegen Bebauung eines Wäldchens in Sythen
Dominieren kommerzielle Interessen die Halterner Stadtentwicklung?
Foto: Kirche und Leben
HALTERN AM SEE. Der Eindruck vieler Halterner Bürgerinnen und Bürger verfestigt sich, dass in ihrer Stadt die kommerziellen Interessen von Maklern, Grundbesitzern und Investoren bestimmend sind bei der Entscheidung, wo, was und wie gebaut wird. Jüngstes Beispiel von vielen: Ein ökologisch wertvolles Wäldchen am Ortsrand des Stadtteils Sythen wird für 5 Wohneinheiten geopfert, nachdem ein einflussreicher Makler aus Lavesum das Wäldchen von einem Privatbesitzer erworben hat, um daraus Bauland zu machen und das Gelände profitabel zu vermarkten. Die Stadt, die selber dort 2 Einzelgrundstücke erworben hat, sieht keinen Grund für eine Ablehnung und hält nicht einmal Ersatzanpflanzungen für die gewachsenen Eichen und Buchen für notwendig: “Die Bäume dürfen ersatzlos abgeholzt werden“, so der Stadtsprecher. Die Bauvoranfrage ist von der Stadt bereits positiv beschieden worden.
Mit Unterschriftensammlungen, einer Online-Petition und fundierten Argumenten wehrt sich eine dortige Bürgerinitiative dennoch gegen das ökologisch fragwürdige Projekt. Doch die Stadt gibt wieder einmal ihre Planungshoheit preis und befürwortet das kommerzielle Investoren-Projekt, anstatt die 5 geplanten Wohneinheiten alternativ in Baulücken an geeigneten Standorten im Stadtgebiet unterzubringen und damit die wertvolle Waldfläche zu schonen. „Das städtische Baulückenkataster hat offenbar nur eine Alibi-Funktion“, so der Eindruck in der Bürgerschaft. Das Wäldchen am Ortsrand ist jedenfalls keine „Baulücke“. Und auch die formelle frühzeitige Bürgerbeteiligung versucht die Stadt zu umgehen, indem sie die Planung ohne Bebauungsplan schleunigst abwickelt. Doch nicht jedes private Grundstücks- oder Wohnungsangebot ist zwangsläufig auch im öffentlichen Gemeinwohlinteresse.
"Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr läßt." (Dieter Hildebrandt)
Stadtplanung nicht dem „Spiel der freien Kräfte“ überlassen
Wie stets argumentiert die Stadt mit der „planungsrechtlich zulässigen Bebauung“ weil es sich bei dem Wäldchen am Ortsrand um einen „unverplanten Innenbereich“ im Sinne des § 34 BauGB handeln würde. Obwohl laut § 1 (3) Baugesetzbuch Bebauungspläne aufzustellen sind, „sobald und soweit es für die die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“, scheut die Stadt stets die Aufstellung von Bebauungsplänen im Innenbereich und erspart sich damit die formell vorgeschriebene frühzeitige und verbindliche Bürgerbeteiligung. Als Mitbesitzerin zweier Einzelgrundstücke verfolgt die Stadt auch Eigeninteressen - diese sollten aber identisch sein mit den Bürgerinteressen.
Auch nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Gemeinde bewusst Städtebaupolitik betreiben. Andere Städte halten sich daran, nur die Stadt Haltern glaubt offenbar, ihre Gestaltungs- und Planungshoheit rechtswidrig dem „Spiel der freien Kräfte“ überlassen zu können, (sprich: an kommerzielle Investoren abtreten zu können). Ein Blick in die Gesetzeskommentierung und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes und Bundesverwaltungsgerichts sei hierzu dringend empfohlen, denn die Stadt Haltern bewegt sich ansonsten rechtlich auf sehr dünnem Eis:
Das Baugesetzbuch bestimmt in § 1 Abs. 1 BauGB die Bauleitplanung zum zentralen städtebaulichen Gestaltungsinstrument. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die städtebauliche Entwicklung nicht vollständig dem "Spiel der freien Kräfte", (vgl. BVerfGE 21, 73, 82 f.) oder isolierten Einzelentscheidungen nach §§ 34 und 35 BauGB überlassen bleiben soll, sondern der Lenkung und Ordnung durch Planung bedarf. Die Regelungen in §§ 34 und 35 BauGB sind kein vollwertiger Ersatz für einen Bebauungsplan: Sie gelten als Planersatzvorschriften, nicht als Ersatzplanung, (vgl. BVerwGE 32, 173.) Zugleich ist die Bauleitplanung der Gemeinde nicht zu beliebiger Handhabung, sondern als öffentliche Aufgabe anvertraut, die sie nach Maßgabe des Baugesetzbuchs im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu erfüllen hat.
Rat sollte die Stadt zur Aufstellung eines Bebauungsplanes verpflichten
Über diese klaren Aussagen des Bundesverfassungsgerichts bzw. Bundesverwaltungsgerichts kann sich eigentlich auch die Stadt Haltern nicht hinwegsetzen. Der Rat der Stadt täte deshalb gut daran, per Ratsbeschluss die Verwaltung bei dieser umstrittenen Planung zur vorherigen Aufstellung eines förmlichen Bebauungsplanes zu verpflichten. Hierbei werden auch alle ökologischen Belange zur Beurteilung der Wertigkeit des Wäldchens durch beteiligte Träger öffentlicher Belange gewürdigt. Oder wird stattdessen wieder einmal das berüchtigten „Halterner Landrecht“ angewendet, weil man es sich nicht mit den einflussreichen Halterner Immobilienmaklern, Investoren, und Bauunternehmen verderben möchte – (zumal der Inhaber des bei diesem umstrittenen Projekt involvierten Ingenieurbüros für Baumanagement zugleich als vormaliger Präsident des gut vernetzten Rotary-Clubs Haltern fungierte…)?
Sythener Wäldchen kein Einzelfall von ökologisch unverträglichen Bauprojekten
Die fundierten Argumente der Bürgerinitiative, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt 300 Unterschriften gesammelt hat, sollten ernst genommen werden. Denn es geht ihnen erklärtermaßen nicht nur um das Wäldchen, sondern grundsätzlich um zunehmenden Flächenverbrauch in Haltern, weshalb dringend ein Wandel stattfinden muss mit Blick auf Klimawandel und Artensterben. Wieder geht ein Stück Natur in Haltern unnötig verloren, weil Alternativstandorte und -konzepte gar nicht erst in Erwägung gezogen werden. Das gilt für eine ganze Reihe weiterer aktueller Planungsvorhaben der Stadt mit weiterem Landschaftsverbrauch, entgegen allen Nachhaltigkeitsvorgaben von EU, Bund und Land und des Gesetzgebers.
Mit der gleichen Ignoranz wie bei der baulichen Inanspruchnahme des Sythener Wäldchens hat die Stadt z. B. aktuell in Lippramsdorf am Ortsrand den kommerziellen Interessen eines Grundbesitzers und Investors bedenkenlos stattgegeben, auf wertvollen Acker- und Weideflächen in Nachbarschaft zu einem Landschaftsschutzgebiet 15 Wohngebäude zu errichten, die sich alternativ auch in Baulücken im Innenbereich unterbringen ließen. Zwar kam die Stadt hier nicht umhin, einen Bebauungsplan aufzustellen, angeblich „im Interesse der ortsansässigen Bevölkerung“.
Hierbei ignorierte sie aber die massiven Bedenken des Naturschutzbeirates ebenso wie die verbindlichen Planungs- und Gesetzesvorgaben des Landesentwicklungs- und Regionalplanes und des gültigen Landschaftsplanes, ferner des Bundesraumordnungsgesetzes und Bundesnaturschutzgesetzes in punkto Flächen- und Bodenschutz. (Im Gedächtnis haftet noch die berüchtigte Aussage des Halterner Ex-Bürgermeister, der sinngemäß im Zeitungsinterview sagte: Wir brauchen keine Zielvorgaben von oben, wir wissen in Haltern selber am besten, wo und wie wir bauen.)
Besondere gemeindliche Verpflichtung für Natur- und Flächenschutz
In ihren politischen Zielvorgaben hat die Landesregierung NRW die Gemeinden ermahnt und erinnert, dass ihre Planungshoheit eine besondere Verpflichtung für den Flächen- und Bodenschutz und Naturschutz beinhaltet. Ist das in Haltern noch nicht angekommen? Dann sollten es die Bürgerinnen und Bürger ihren Kommunalpolitikern noch einmal ins Stammbuch schreiben mit ihrer Petition. Denn Widerspruch ist der Treibstoff der Demokratie. Demokraten brauchen Diskurs und Demokratie braucht Recht. Bürgerbeteiligung ist kein „good will“, sondern demokratisches Grundrecht. Deshalb kann man kann gar nicht früh genug mit der Bürgerbeteiligung anfangen, denn Partizipation generiert Gemeinwohl. Und darum geht es auch in Sythen und bei allen weiteren strittigen Bauprojekten im Grünen.
Wilhelm Neurohr
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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