Kommunale Grundstücks- und Wohnungspolitik
Das erfolgreiche „Ulmer Modell“: Vorbild für die teure Stadt Haltern?

Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg 

HALTERN AM SEE. Mit einem Blick über den Tellerrand auf gelungene kommunalpolitische Vorbilder könnte die extrem teure Stadt Haltern ihren Mangel an bezahlbaren Grundstücken und Wohnungen beheben, statt bloße Krokodilstränen über die Entwicklung der örtlichen Immobilienpreise zu vergießen. Denn ihre preistreibende Planungspolitik bedarf ebenso dringend der Umkehr wie das absurde Vorgehen der Halterner Sparkasse, mit unseriösen Portalen für Meistbietende die Explosion der Grundstücks- und Immobilienpreise noch weiter nach oben zu treiben, was sogar bei örtlichen Immobilienmaklern auf Ablehnung und Unverständnis stößt. Anders als in Haltern, wo auf dem entfesselten  Grundstücks- und Wohnungsmarkt das ungeregelte „Spiel der freien Kräfte“ vorherrscht, zeigt die Stadt Ulm vorbildlich, wie es auch anders geht. Nachahmung sei unseren Kommunalpolitikern vor Ort dringend empfohlen!

Die Krokodilstränen in Haltern über die angeblich nicht zu bremsenden Grundstücks- und Immobilienpreise sowie den Mietenanstieg in ihrer Stadt können sich die politischen Entscheidungsträger in Haltern ersparen, wenn sie nicht zu politischem Gegensteuern bereit sind. Die Stadt Ulm hat bewiesen, dass eine Kommune nicht hilflos den spekulativen Auswüchsen des Immobilienmarktes ausgeliefert ist, wenn sie ihre kommunalpolitische und soziale Verantwortung ernst nimmt und entschieden gegensteuert.

Dafür gibt es viele Instrumente und Handlungsoptionen, die in Haltern nicht einmal ansatzweise erwogen werden. Vielleicht sollte die Stadt einfach mal den Ulmer Oberbürgermeister nach Haltern einladen oder mit dem städtischen Planungsausschuss nach Ulm fahren, um sich dort anzuschauen, was alles machbar ist. Denn in Haltern gibt es kein vergleichbares Konzept für eine gesteuerte Wohnungs- und Grundstückspolitik, so dass man sehr viel von Ulm lernen und nachahmen kann – es lohnte sich.

Das Ulmer Modell: Kontrolle und Steuerung der Grundstückspreise in der Stadt

Seit über 100 Jahren betreibt die Stadt Ulm Baulandbevorratung, indem die Stadt systematisch Baugrund zu einem festgelegten Preis kauft und nur als Ganzes bebauen lässt und zu günstigen Preisen an die Bürger weiter gibt. Um Bodenspekulation zu vermeiden, darf ein von der Stadt erworbenes Grundstück nie unbebaut an Dritte weiterverkauft werden. Wird nicht gebaut, muss es zum gleichen Preis an die Stadt zurückgehen. Die Stadt behält damit die Kontrolle über den Preis und darüber, was und wie gebaut wird.

Dafür hat die Stadt einige Millionen € in jedem Haushaltsjahr für Grundstücksankäufe im Haushalt vorgesehen. Gewinne aus Baugrundverkäufen fließen nicht in den allgemeinen Stadtsäckel, sondern stehen dem Liegenschaftsamt für neue Käufe zur Verfügung. Mit dieser Strategie hat die Stadt die Kontrolle über die Grundstückspreise in etwa einem Drittel des Stadtgebietes erlangt. (Ein ähnlich erfolgreiches Konzept wie in der Stadt Wien). So ist es gelungen, Baupreise und Mieten insgesamt in der Stadt niedrig zu halten, während sie anderswo explodieren. Die Grundstückspreise sind dadurch in den letzten 10 Jahren in Ulm um höchstens 30% angestiegen, während sie sich vergleichsweise in Haltern alle 10 Jahre verdoppeln, weil die Stadt tatenlos zusieht.

„Preisexplosionen können Wohnträume zum Einsturz bringen“ (Helmut Glaßl)

In der Stadt Haltern passiert das genaue Gegenteil zum Nachteil der Bevölkerung

Die eigens gegründete städtische Flächenentwicklungsgesellschaft bei den Halterner Stadtwerken könnte hier nach dem Vorbild von Ulm ein sinnvolles Betätigungsfeld finden, statt selber lediglich preistreibende Projekte zu planen. Die Stadt Ulm hat überdies eine städtische Wohnungsbaugesellschaft gegründet, die zusammen mit den gemeinnützigen oder genossenschaftlichen Wohnungsbauunternehmen in der Stadt für bezahlbare Mieten und sozialen Ausgleich sorgt. Entsprechende Vorschläge von den oppositionellen Sozialdemokraten im Halterner Stadtrat hat eine Mehrheit aus CDU/FDP/WGH bislang stets zurückgewiesen, weil man lieber einseitig und fast ausschließlich den Eigenheimbau für gehobene Einkommensschichten durch kommerzielle Bauträger favorisiert (und sich damit zugleich entsprechende Wählerschichten sichert, um „unter sich“ zu bleiben).

Auch vom sozialen Wohnungsbau hat sich die Stadt Haltern fast vollständig verabschiedet und ist hier das Schlusslicht im gesamten Land, weil man die Interessenten an öffentlich geförderten Wohnungen nicht so gerne im Stadtgebiet haben möchte und deshalb den Mietwohnungsbau den kommerziellen Rendite-Jägern mit den gehobenen Preissegmenten überlässt. Die Abwanderung der sozial schwächeren Bevölkerungsteile nimmt man billigend in Kauf und lockt stattdessen lieber zahlungskräftige private Bauherren aus den Ruhrgebietsstädten für das flächenzehrende und klimaschädigende „Wohnen im Grünen in exklusiver Lage“ an. Längst bewegen sich die Halterner Grundstückspreise in guter Lage zwischen 400 € und 700 € pro qm, während sie in der attraktiven Großstadt Ulm mit durchschnittlich 250 € pro qm bei einem Drittel liegen!

„Die Wohnungen sind so teuer geworden, dass das kleinste Herz noch ein Zimmer mit separatem Eingang vermietet“ (Moritz Gottlieb Saphir)

Seniorenbeirat beklagt Mangel an bezahlbaren Seniorenwohnungen in der Stadt

Jüngst beklagte auch der Seniorenbeirat der Stadt Haltern in der Presse, dass Senioren, die ihr zu groß gewordenes Eigenheim nicht mehr bewältigen können, keine bezahlbaren Miet- oder Eigentumswohnungen in Haltern finden, obwohl sie im Gegenzug ihr Häuschen für Familien mit Kindern zum Kauf, zur Miete oder auf Rentenbasis anbieten würden. Bislang ist die Stadt nicht daran interessiert, hier Abhilfe zu schaffen. Die Errichtung seniorengerechter und barrierefreier Neubauwohnungen wird in Haltern fast ausschließlich den kommerziellen Unternehmen überlassen, die an Rendite interessiert sind und inzwischen horrende Mietpreise von den Senioren verlangen.

Allzu eng sind offensichtlich in dieser Kleinstadt die personellen Beziehungen und Verflechtungen von Entscheidungsträgern mit den heimischen Bauunternehmen, Investoren und Maklern, wie Kritiker seit langem bemängeln. Demgegenüber ist der Ulmer Oberbürgermeister der Auffassung, dass man Wohnungsbau nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen dürfe. Hierzu herrscht in Ulm Konsens zwischen allen Ratsparteien! (Das möchte man sich in der Halterner Wohnungsbaupolitik ebenfalls wünschen!) In Ulm ist über alle Parteien hinweg unumstritten, dass die Stadt den Grundstücks- und Wohnungsmarkt reguliert und nicht nur der gehobene Mittelstand als einzige Zielgruppe versorgt wird. Die größten Zielgruppen sind in Haltern eigentlich die Senioren mit 45% der Bevölkerung sowie die weit überwiegenden Ein- und Zweipersonen-Haushalte.

Bauunternehmen müssen sich im anonymen Wettbewerb um Aufträge bewerben

Während in Haltern Grundstücke und Areale an Höchstbietende vergeben werden und damit die Preise immer weiter nach oben getrieben werden - jüngst hat die Stadt selber sogar kleine Grundstücke für Tiny-Häuser nur gegen Höchstgebot offeriert – geht die schwäbische Stadt Ulm in der Region der „Häuslebauer“ vorbildlich den umgekehrten Weg: Nur die Unternehmen, die einen sozialen Mix (und klimagerechte Energieversorgung) zu einem verträglichen Preis garantieren, erhalten in einem anonymen Wettbewerb den Zuschlag. Daran beteiligt sind neben den privaten Bauträgern auch stets die städtische Wohnungsbaugesellschaft und die gemeinnützigen oder genossenschaftlichen Unternehmen.

Bei 30% der Wohnungen werden in Ulm die Mieten gefördert, während die Stadt Haltern selbst bei Großprojekten wie den Katharinenhöfen in Hamm-Bossendorf mit 100 Wohnungen nicht eine einzige Sozialwohnung abverlangt hat. Auch bei anderen Wohnungsbauprojekten verzichtet sie auf anteilige Sozialwohnungen mit öffentlicher Förderung. Damit steigen auch die Mietpreise des ausschließlich frei finanzierten Wohnungsbaus nach den Rendite-Interessen der privaten Bauträger ins Unermessliche, so dass das Halterner Mietpreisniveau längst an Hamburg oder Heidelberg heranreicht.

Die verantwortlichen Kommunalpolitiker sind auf soziale Gerechtigkeit vereidigt

In Ulm hat die Kommunalpolitik mit Konsens und Geduld über viele Jahre die hier beschriebenen Erfolge zum Wohle der Bürger erreicht. In Haltern gibt es bislang nicht einmal ein entsprechendes Konzept, sondern nur die gebetsmühlenartige Wiederholung von Fake News, wonach allein „mehr Baulandausweisung im Grünen“ für die Fortsetzung der Einfamilienhaus-Politik angeblich die „Dämpfung der Grundstücks- und Mietpreise“ in Haltern bewirken könne – obwohl die reale Entwicklung Jahr für Jahr das genaue Gegenteil bewirkt, wie die Fakten der Grundstücksmarktberichte belegen.

Bei einer allein den Profitinteressen des freien Marktes dienenden Grundstücks- und Wohnungspolitik zu Lasten der sozial Schwächeren stellt sich die Frage, ob hierbei nicht die leitenden Kommunalbeamten im Rathaus ihren Diensteid verletzen „Gerechtigkeit gegen jedermann“ zu üben und die Verfassung zu befolgen, denn bezahlbares Wohnen ist ein Grundrecht in der Verfassung. Und auch die gewählten Ratsmitglieder verpflichten sich in ihrer Verpflichtungserklärung, „zum Wohle der Gemeinde“ (und damit aller Gemeindebewohner und nicht nur der Zahlungskräftigen) zu handeln.

„Wie Menschen denken und leben, so wohnen sie“ ( Johann Gottlieb von Herder)

Ratsbeschlüsse zum Umsteuern sind überfällig

Das Handeln kann nicht allein in bloßen Lippenbekenntnissen für „bezahlbares Wohnen für alle“ in den Kommunalwahlprogrammen bestehen, während in Wirklichkeit die Preisspirale durch die eigene Kommunalpolitik immer weiter nach oben getrieben wird auf das Zwei- bis Dreifache des Landesdurchschnitts. Ein „Weiter so“ in Haltern verbietet sich, denn andere Konzepte sind möglich und erfolgreich, wie das Beispiel Ulm zeigt. Darauf ausgerichtete Ratsbeschlüsse sind in der laufenden Wahlperiode des neuen Stadtrates überfällig!

Und auch die preistreibende Immobilienpolitik der Stadtsparkasse, in deren Verwaltungsrat der  Bürgermeister und weitere Kommunalpolitiker sitzen, bedarf der Neuausrichtung im Geiste des Ulmer Modells, wenn sie eine Umorientierung der Kommunalpolitik in der Grundstücks- und Wohnungspolitik nicht konterkarieren soll. Eine andere Immobilienpolitik in der Stadt für ihre Bewohner ist also möglich, wenn alle Beteiligten es ernsthaft wollen. Am Ende der Wahlperiode wird Bilanz gezogen, was die Kommunalpolitiker in der Stadt für ihre Bewohner erreicht oder unterlassen haben.

Wilhelm Neurohr

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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