Toni Hofreiter zum Waldsterben und was wir dagegen tun können
Und die gute Nachricht ist: „Die Klimakrise ist menschengemacht und kann folglich auch von uns Menschen bewältigt werden.“
Haltern. Der Einladung zum zweistündigen Waldspaziergang in der Haard folgten fünfzig interessierte Bürgern. Zu Gast waren der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Dr. Anton Hofreiter und Dr. Marco Zerwas, Landratskandidat der Grünen für den Kreis Recklinghausen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Felix Banaszak, Vorsitzender der Grünen NRW. Die Teilnehmern ließen sich von Förster Harald Klingebiel die schon lange sichtbaren Dezimierungen der Fichtenbestände in der Haard erklären.
Aber auch an heimischen Laubbäumen, z.B. den Buchen, zeigen sich nach den Dürrejahren 2018 und 2019 erste Trockenheitsschäden als Auswirkung der Klimakrise. Welche Maßnahmen zur erfolgreichen Umsetzung eines ökologischen und klimagerechten Waldumbaus notwendig sind und welche politischen Entscheidungen getroffen werden müssen, diskutierten die Experten mit den Bürgern ausgiebig am Meilerplatz in Flaesheim. Durch das Engagement der Umweltbewegungen konnte das erste Waldsterben in den 1980er Jahren gestoppt werden, da die Belastung durch Schwefeldioxid um 94,6 Prozent zurückgegangen ist. Das durch die Klimakrise verursachte zweite Waldsterben ist auf eine Durchschnittstemperaturerhöhung von nur 1 Grad zurückzuführen. Es stellt uns vor deutlich komplexere Herausforderungen. „Wenn wir die ökologische Leistung des Waldes und die Artenvielfalt erhalten wollen“, so Anton Hofreiter, müssen wir „die gesamte Gesellschaft sozialökologisch transformieren“, d.h. insbesondere eine massive Einsparung von CO2 vornehmen und den Abbau von Kohlekraftwerken zugunsten von Windkraft und Photovoltaik beschleunigen. Ideen und Techniken zur Reduktion der CO2-Belastung - so Hofreiter - lägen z.B. in Industrieunternehmen vor; es fehle der Bundesregierung an Gesetzen und dem Willen „anzupacken“.
„Weil Störungen im Waldökosystem Hotspots des evolutionären Neuaufbaus, der genetischen Anpassung und Ausdifferenzierung sind“, erläuterte Harald Klingebiel, „sollten 10 Prozent der Waldfläche sich selbst überlassen bleiben, um zu verstehen, wie die ökologischen Prozesse ablaufen“. Mit den übrigen 90 Prozent müsse so gewirtschaftet werden, dass zum einen der Wald als Raum für Natur- und Klimaschutz und zur Erholung erhalten bleibt und zum andern der Holzbedarf (1 t pro Einwohnern) gedeckt wird. „Wenn wir die Bewirtschaftungsziele in unserem Vorgarten (d.h. in unseren stadtnahen Wäldern) nicht mitdenken, wird es Holzimporte aus anderen Regionen der Erde geben, die den Klimawandel aktuell ignorieren, z.B. Brasilien. Lässt sich der Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 2°C begrenzen, wie das Pariser Klimaschutzabkommen es vorsieht, können wir weiteren „Kipppunkten“, d.h. unumkehrbaren Folgen der Erderwärmung, zuvorkommen. Dann werden unsere Waldökosysteme gute Anpassungsmöglichkeiten haben und es besteht die Chance mit unseren durch heimischen Buchenwald geprägten Ökosystemen eine stabile Zukunft zu finden.“
Auf Nachfragen der Bürgern machten die Experten deutlich, dass zur Erreichung dieses Ziels die lokale, die nationale und die internationale Ebene Hand in Hand arbeiten müssen. Marco Zerwas will den Kreis Recklinghausen klimaneutral aufstellen: „Dabei spielt die Haard eine große Rolle für den CO2-Ausgleich für alle Formen von CO2-Erzeugung, als Kühlzone, Schattenspender und Frischluftschneise.“ „Klimaneutralität passiert vor Ort. Kommunen, Kreise und kreisfreie Städte schaffen die Rahmenbedingungen für das Windrad, die energetische Sanierung der Schule, das Radwegekonzept, die Durchgrünung der Stadt, die Photovoltaikanlage auf dem Dach des Feuerwehrhauses“, unterstreicht Anton Hofreiter. Darüber hinaus gelte es auf nationaler und internationaler Ebene, bestehende Klimaverträge, internationale Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt, Menschenrechtsabkommen und Handelsabkommen miteinander zu verknüpfen: „Mit dem Import von billigem Rindfleisch aus zerstörten Regenwäldern oder von Stahl aus China erweisen wir dem Klima, dem Artenschutz und dem Arbeitsschutz einen Bärendienst.“
„Die anstehende Kommunalwahl ist eine der wichtigsten, um weiteren Kipppunkten zuvorzukommen“, fasst Felix Banaszak zusammen. Am 13. September wird auch das Ruhrparlament gewählt – eine Institution, die z.B. ein ruhrgebietsweites Radwegenetz schaffen könnte, um den Pendlerverkehr zunehmend von der Straße auf das Rad zu verlagern, und den ÖPNV durch eine bessere Taktung stärken könnte.
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