Römisches Haltern: Vergangenheit und Zukunft
Vor 2000 Jahren gaben die Römer ihren Stützpunkt in Haltern auf. Doch die römische Geschichte der Seestadt ist deshalb noch lange nicht zu Ende geschrieben: Auf einer archäologischen Tagung in Münster stellten Wissenschaftler jetzt aktuelle Erkenntnisse aus der Lebenswelt der hiesigen Legionäre vor - und gaben einen Ausblick darauf, wie sich das Gesicht Halterns in Zukunft wandeln wird.
Die Toten erzählen Geschichten: Was für Laien eher nach Material für einen Gruselfilm klingt, ist für Historiker und Archäologen eine alltägliche Erfahrung. Aus den sterblichen Überresten von Menschen ferner Tage, von den Umständen und den Begleitgaben ihrer Bestattungen können die Wissenschaftler Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen. So schließen sich die Lücken in unserem Verständnis längst vergangener Zeiten.
Manchmal gibt es auch überraschende Erkenntnisse. "In Haltern wurden Militärs und Zivilisten ohne Unterschied auf den gleichen Friedhöfen bestattet", erklärte Dr. Stephan Berke im Rahmen einer archäologischen Fachtagung in der Münsteraner Speicherstadt am Montag. Berke, Experte für provinzialrömische Archäologie an der Uni Münster, stützte sich dabei auf die jüngsten Grabungen südlich der Weseler Straße. Legionäre, Frauen und Kinder auf dem gleichen Gräberfeld - das war im Militärstaat Rom keine Selbstverständlichkeit. Und noch etwas anderes fiel bei der Untersuchung der Bestattungen ins Auge: "An keiner anderen Stelle nördlich der Alpen konnten wir so viele Nachweise für Klinen aus den Gräberfeldern gewinnen", betont der Archäologe.
Reiche Totenbetten als Zeugnisse römischer Kultur
Klinen - das waren oftmals reich verzierte Ruheliegen, die im Alltag der Römer als normale Alltagsgegenstände dienten. Reiche Römer, wie etwa die Offiziere im Halterner Lager, besaßen oft Klinen, die eher einem Kunstwerk ähnelten, als einem einfachen Bett. Nach ihrem Tod wurden die Besitzer auf diesen Liegen dem Feuer übergeben, so dass sich nicht verbrannte Stücke der Möbel in der dann bestatteten Asche wiederfinden. Und schon diese kleinen Reste zeugen vom Kunsthandwerk der Römer: Fein modellierte Gesichter, Fantasiewesen, Teile von kleinen Statuen, Zierwerk – zeitlose Dekorationen, die uns bis heute erhalten sind und den Archäologen über den gesellschaftlichen Status des Verstorbenen und über den Grad der Zivilisierung in einer Region berichten können.
Trotz der kurzen Bestandsdauer des Römerlagers – Experten sprechen von zehn bis 16, maximal 21 Jahren – mussten die Legionäre in ihrem Außenposten in Germanien kaum auf die Vorzüge der römischen Zivilisation verzichten. Neben den Klinenresten zeugen Glasfunde, Keramik und sogar über die Jahrhunderte erhalten gebliebene Datteln und Feigen in den Gräbern für einen hohen Lebensstandard.
Diesen galt es zu schützen: Rund um das Militärlager „Aliso“ in Haltern spannte sich ein breiter Verteidigungswall. „Massive runde Holzpfosten von etwa 20 Zentimeter Durchmesser wurden rund 120 Zentimeter tief im Erdreich verankert“, erklärte die Archäologin Dr. Bettina Tremmel. Das innen mit Erde gefüllte, massive Festungswerk aus Holz war von Türmen überwacht und nach außen von zwei breiten Spitzgräben geschützt. „Der innere Graben war etwa zwei Meter fünfzig tief und fünfeinhalb Meter breit, der äußere Graben etwas flacher“, so Tremmel. In einem Modellpanorama im Römermuseum können die Besucher den Aufbau der Wallanlage heute schon im kleinen Maßstab nachvollziehen.
Römisches Westtor wird bald wieder aufgebaut
Bei einem kleinen Modell geht natürlich der wehrhafte und beeindruckende Charakter der römischen Festung ziemlich verloren. Doch schon bald wird sich das in Haltern ändern: Das Westtor des Römerlagers soll im Maßstab 1:1 wieder auferstehen. „Wir bleiben dabei so nah wie möglich am Original“, erklärte Dr. Ing. Kees Peterse. Der Experte für römische Architektur hatte bereits bei ähnlichen Rekonstruktionen international Erfahrungen gesammelt und stellte auf der Tagung erstmals die Pläne für den kommenden Römerpark Haltern vor. Nach ausführlicher Analyse der Pfostengruben konnten die Wissenschaftler die Höhe von Türmen und Mauerwerk bestimmen und die Erkenntnisse in die Rekonstruktion einfließen lassen. „Wir haben beispielsweise keinen Grund zu vermuten, dass die Tor- und Zwischentürme unterschiedlich hoch gewesen sind“, so Peterse. Das Aussehen der Türme konnte durch Vergleiche mit zeitgenössischen Bildwerken, etwa auf der Trajanssäule in Rom, nachempfunden werden. Einen ersten Eindruck des kommenden Bauwerks gab der Experte mit Hilfe eines Computermodells.
So werden die Besucher Halterns zu ersten Mal nach 2000 Jahren wieder eine Mauer nach römischem Vorbild sehen können. Das Tor wird dabei aber offenstehen – denn was die Germanen früher aus Aliso heraushalten sollte, soll ihre Nachfahren heute als Gäste in die Seestadt locken. Lebendige Geschichte als Tourismusmagnet: Haltern hat den Römern heute mehr zu verdanken als vielleicht je zuvor.
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Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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