Auschwitz-Gedenken: Misshandelt, ermordet, verbrannt

Dieses Bild entstand am 27. Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau, dem Tag der Befreiung. Über eine Million Menschen waren an diesem Ort ermordet worden. In Haltern und Dorsten wurde am Sonntag diesem Verbrechen, dem auch Mitbürger aus den Gemeinden zum Opfer gefallen waren, gedacht. Foto: Bundesarchiv
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  • Dieses Bild entstand am 27. Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau, dem Tag der Befreiung. Über eine Million Menschen waren an diesem Ort ermordet worden. In Haltern und Dorsten wurde am Sonntag diesem Verbrechen, dem auch Mitbürger aus den Gemeinden zum Opfer gefallen waren, gedacht. Foto: Bundesarchiv
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„Aus dem Generalgouvernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die Juden nach dem Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig.“ Hinter diesen knappen Zeilen, die Goebbels im März 1942 in sein Tagebuch schrieb, verbirgt sich millionenfaches Leid. Ruhige, aber wichtige Veranstaltungen erinnerten am Wochenende an dieses Unrecht.

Auf der Straße bespuckt, aus ihren Häusern gezerrt, ihre Wohnungen in Brand gesteckt: Am 9. November 1938 fiel ein entfesselter Mob überall in Deutschland über seine jüdischen Mitbürger her. Szenen wie aus einem Alptraum spielten sich auch in Dorsten und Haltern ab.

Mit Fackeln zogen aufgestachelte Dorstener zum jüdischen Gemeindehaus an der Wiesenstraße, rissen die Einrichtung heraus und schleppten wertvolle religiöse Gegenstände, Kleidung und Möbel auf den Marktplatz, wo sie alles unter Johlen verbrannten. SA-Leute in Wulfen trieben eine hilflose Frau, die Kleider halb vom Leib gerissen, unter Schlägen und Erniedrigungen aus dem Ort.

In Haltern wurden Menschen aus ihren Wohnungen gezerrt und verprügelt, die Scheiben zerschlagen und die Einrichtung verwüstet. Selbst vor den Toten auf dem Friedhof, Halternern jüdischen Glaubens, machte der Wahn nicht Halt: Grabsteine wurden zerstört, Gräber entweiht. Eine Gruppe jüdischer Kinder, darunter der spätere Holocaust-Überlebende Alexander Lebenstein, wurde nur mit Glück nicht in ihrem Versteck zwischen den Gräbern entdeckt. Andere versteckten sich in Schuppen oder Gartenhäusern, in Todesangst vor den Häschern.

Nachbarn wurden zu Tätern

Als am Morgen nach der Nacht, in der Nachbarn zu Tätern wurden, das zersplitterte Glas in ganz Deutschland auf den Bürgersteigen schimmerte, war der höhnische Begriff von der „Reichskristallnacht“ schnell geboren. Doch niemand bestrafte die Täter. Vielmehr nutzten die Nazis das Attentat auf einen Botschafter durch einen jungen Juden, dessen Eltern enteignet und nach Polen deportiert worden waren, als Vorwand, um den Opfern die Schuld zuzuschieben. So hieß es in der Dorstener Volkszeitung am 11. November 1938: „Der ruchlose Mord an dem Gesandtschaftsrat von Rath durch einen Juden löste auch hier in Dorsten Stürme der Entrüstung und der berechtigten Empörung aus. Die Polizei sah sich schließlich genötigt, die hier im Amtsbezirk wohnenden Juden im Interesse ihrer eigenen Sicherheit in Schutzhaft zu nehmen.“

Schutzhaft war dabei die beschönigende Festnahme unschuldiger Bürger, die erst dann aus der Haft kommen konnten, nachdem sie ihr Hab und Gut zu Schleuderpreisen an sogenannte „Arier“ verkauft hatten. So bereicherten sich viele Menschen auf Kosten der Opfer, denen nicht nur Häuser und Geschäfte genommen worden waren, sondern die auch noch für die ihnen angetanen Schäden an die Täter bezahlen mussten.

Ein Alptraum. Aber was danach kam, war noch viel schlimmer.

Auf Juden und andere sogenannte „Volksfeinde“, darunter Homosexuelle, Behinderte, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie "Zigeuner", später dann auch als „Untermenschen“ deklarierte Polen und Russen aus den besetzten Gebieten, wartete ein mit kalter Bürokratie vorbereiteter und industriell durchgeführter Massenmord. Dieser geschah in so unvorstellbarem Ausmass, dass er auch heute trotz erdrückender Beweislast, Tausender Zeugen, zahlloser Akten und Befehle und historischen Aufarbeitungen noch immer von manchen Menschen geleugnet, verharmlost oder bestritten wird.

Um an dieses Jahrhundertverbrechen zu erinnern, versammelten sich Menschen in Haltern und Dorsten am Sonntag zu verschiedenen Veranstaltungen. 68 Jahre zuvor, am kalten Vormittag des 27. Januar 1945, hatten die vorrückenden russischen Truppen im schlesischen Auschwitz die Tore zum Vernichtungslager Birkenau geöffnet.

Auschwitz - ein Symbol

Selbst den kriegsgeschundenen Russen erschien der Weg ins KZ wie der Gang durch die Tore der Hölle. Tote und sterbende Häftlinge, zu Skeletten abgemagert und von Krankheiten befallen, lagen in den Baracken. Wer noch laufen konnte, war zuvor von den Deutschen auf Todesmärschen nach Westen getrieben worden. Der Fund von zehntausenden Paar Schuhen und sieben Tonnen Menschenhaar ließen die Befreier ahnen, was hier passiert war. Zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen waren alleine hier in Auschwitz ermordet worden. Der Name „Auschwitz“ wurde zum Symbol für den Holocaust, das Foto der Bahngleise und des Haupttores zum Bild des unfassbaren Bösen.

Erinnerung statt Wut

68 Jahre später sind die meisten Täter bereits tot, und auch von den Überlebenden sind nur noch wenige übrig. Alexander Lebenstein, der letzte jüdische Holocaust-überlebende aus Haltern, schloss vor fast genau drei Jahren, am 28. Januar 2010, seine Augen für immer. Trotz seiner Erfahrungen hatte er sich mit Haltern später wieder versöhnt und war in seinen letzten 15 Lebensjahren zum Botschafter für Verständigung, Aussöhnung und Erinnerung geworden. „Hass wird nur den Hasser zerstören“, sagte der Mann, der vor seiner Rückkehr nach Haltern geglaubt hatte, niemals vergeben zu können. Im Gespräch mit jungen Schülern habe er eine neue Perspektive entdeckt: „Ich konnte ihnen helfen, von der Schuld zu heilen, die sie von den Handlungen ihrer Vorfahren trugen und sie konnten mir helfen zu lehren, dass mein Hass und meine Wut mich schließlich zerstören würden.“

Das Andenken von Alexander Lebenstein ist nicht nur im Namen der Halterner Realschule lebendig. Als sich Menschen am Sonntag auf dem jüdischen Friedhof versammelten, gedachten sie auch dem Mann, der über sein eigenes Leid und seine eigene Wut hinwegsehen konnte, um jungen Menschen von einer Zeit zu erzählen, an der sie keine Schuld haben, aber aus der sie Lehren ziehen sollen. „Zu einer kostbaren Kultur gehört das Erinnern“, sagte Pastor Martin Ahls an diesem regnerischen Tag.

In Dorsten sorgten junge Menschen dafür, die Erinnerungen an einen anderen wichtigen Überlebenden wachzuhalten. In einem von Landrat Cay Süberkrüb und Dorstens Bürgermeister Lambert Lütkenhorst eröffneten Lesemarathon trugen 32 Schüler des Paul-Spiegel-Berufskollegs die Memoiren ihres großen Namensgebers vor. In seinem Buch „Wieder zu Hause?“ berichtet Spiegel über die Schreckenszeit und Verfolgung, die Ermordung seiner Schwester, die Angst vor der Entdeckung im Versteck bei flandrischen Bauern und die Zeit seines Vaters im Vernichtungslager Auschwitz.

„Wir müssen uns erinnern“, schrieb einst die Schriftstellerin Marguerite Duras, „damit sich das nie wiederholt.“

Autor:

Oliver Borgwardt aus Dorsten

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