725 Jahre Stadt Haltern (2): Ein Dokument der Freiheit
In diesem Jahr feiert Haltern ein kleines Jubiläum: Vor 725 Jahren verlieh der Bischof von Münster, Everhard von Diest, der kleinen westfälischen Gemeinde die niederen Stadtrechte und die Erlaubnis, eine Mauer zu bauen. Im Sommer wird Haltern an diese Erhebung mit einer großen Feier erinnern. Wir tun dies schon jetzt: Eine Sonderserie im Stadtspiegel wird einige der wichtigsten Stationen in der langen Geschichte der Stadt beleuchten. Im zweiten Teil unserer Serie geht es um das Dokument, das Haltern endlich zur Stadt erhob.
Das Land an der Lippe hatte sich gewandelt. Die bleichen Knochen von fünfzig Generationen hatten ihr letztes Bett in westfälischer Erde gefunden, seit die letzten Legionäre ihre hastige Flucht nach der Varusschlacht angetreten hatten.
Die Händler aber, die im Jahre des Herrn 1289 mit ihren schweren Holzkarren über die sandigen Wege nach Haltern ziehen, wissen nichts von Varus und dem Schicksal seiner Legionen. Sie interessieren sich vielmehr für die dünnen Rauchsäulen am Horizont, die feine dunkle Striche in den Himmel zeichnen. Wo Rauch ist, brennen Feuer, und wo viele Feuer brennen, leben viele Menschen. Die Siedlung vor ihnen ist so ein Ort mit vielen Feuern. Schon von weitem hebt sich eine graue Steinkirche aus dem weißbraunen Meer der Fachwerkhäuser heraus. Haltern hat einen Markt, und ein Markt bringt Profit. Die Handelskarren rumpeln weiter, das Ziel vor Augen.
Römische Kaiser ohne Legionen
Im ausgehenden 13. Jahrhundert hat sich die politische Situation an der Lippe völlig verändert. Längst stehen sich nicht mehr Römer und Germanen gegenüber. Es ist viel skurriler: Die Nachfahren jener Germanen, die einst die Legionen aus dem Land verwiesen, sehen sich nun selbst in der Nachfolge der römischen Cäsaren. Auf dem Thron sitzt ein alter, aber mächtiger Mann, der sich als „rex romanorum“, als König der Römer, ansprechen lässt. Mit Augustus hat Rudolf von Habsburg aber nicht viel gemein. Seine Macht muss er sich mit einer Institution teilen, deren Lehre die vielen Götter der alten Römer und Germanen längst abgelöst hat: Die Kirche vertritt den wahren, den einzigen Glauben dieser Zeit, und ihr Personal ist sich dieser Macht bewusst. Denn die Männer Gottes sind ehrgeizig.
So ein Mann ist Everhard von Diest. Als Sohn eines brabantischen Adligen war er die kirchliche Karriereleiter vor allem im Raum Aachen hinaufgestiegen und hatte es zum Probst gebracht. Eine höhere Beamtenposition mit gutem Auskommen, aber sollte es das gewesen sein? Nicht für Everhard. Nach dem Tod des Münsteraner Bischofs ergab sich 1272 eine große Chance. Mit viel Einsatz und politischen Winkelzügen setzte sich Everhard gegen einen Mitbewerber durch, bis er nach drei Jahren endlich den Hirtenstab in Händen hielt.
Machtmensch durch und durch, versucht Everhard seitdem die Position seines Bistums auf alle denkbaren Weisen zu verbessern. Dabei fällt sein Blick auch auf Haltern. Zwar verdienen die Bischöfe von Münster schon seit über 120 Jahren ziemlich gut an den Einkünften eines Haupthofes an dieser Stelle, aber das war doch sicherlich steigerbar? Durchaus: Die Zauberformel der damaligen Zeit passt auf ein einziges Pergament, und dieses Dokument verspricht nichts weniger als Freiheit.
Denn Freiheit ist in Haltern zu dieser Zeit noch ein sehr flüchtiges Gut. Es war noch kein Menschenleben her, als Bergbossendorfer Knechte oder Mägde noch völlig selbstverständlich an das Flaesheimer Kloster verkauft werden konnten. Wer aber ein Jahr lang in einer rechtmässigen Stadt gelebt und gearbeitet hat, darf deren Bürger werden, und niemand kann ihn dann mehr einfordern oder verkaufen. Kein Wunder, dass Städte wie Köln oder Dortmund in dieser Zeit einen unglaublichen Boom erleben. Die Einwohner hier bestimmen selbst über ihr Schicksal, und sie treiben überaus erfolgreich Handel. Von solch einem Wirtschaftsaufschwung will auch Everhard profitieren. Am 3. Februar 1289 greift er zu Feder und Tinte.
Marktfriede, Recht und persönliche Sicherheit
Der Bischof erlaubt den Halternern mit seiner Unterschrift, ihre Stadt mit einer Mauer zu umgeben, um die Bürger darin zu schützen. Diese Mauer ist zugleich Rechtsgrenze: Innerhalb dieser Wände kann niemand mehr einfach so von einem missgünstigen Grafen oder eigenmächtigen Ritter verhaftet werden, denn die Halterner können nun selbst über ihre Gesetze wachen. Noch besser: Ein Händler, der zum Markttage in die Stadt kommt, muss weder Pfändung noch Verhaftung fürchten, sondern darf frei seine Waren anbieten. Und wenn ein Bürger stirbt, erbt ab sofort nicht der Landesherr, sondern seine Nachkommen - der Reichtum bleibt in Haltern. Eine solche Stadt muss neue Bewohner und Händler einfach anziehen wie der Honigtopf die Fliegen, und so wächst auch der Geldbeutel des Bischofs, dessen Handelshof in der Stadt natürlich unangetastet bleibt. Eine Hand wäscht schließlich die andere.
So ist es für Everhard von Diest zunächst vor allem ein günstiges Geschäft, Haltern die Stadtrechte zu verleihen. Für die Halterner ist es aber der Beginn einer neuen Epoche – festgehalten auf einem Dokument der Freiheit.
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725 Jahre Haltern
Die große Sonderserie im Stadtspiegel
Episode 1: Der zerschlagene Traum vom kleinen Rom
Episode 2: Ein Dokument der Freiheit
Episode 3: Von Haltern an den Rand der Welt
Episode 4: Ein stiller Wächter
Episode 5: Die bleichen Finger des Krieges
Episode 6: Mit Volldampf in die Zukunft
Episode 7: Eine Zeit der Schande
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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