Straßenschilder und Tafeln weisen auf Gelsenkirchener Schicksale im Nationalsozialismus hin
Erinnerungen erhalten

Der Leopold-Neuwald-Platz befindet sich schräg gegenüber des Hans-Sachs-Hauses. | Foto: Stadt Gelsenkirchen
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  • Der Leopold-Neuwald-Platz befindet sich schräg gegenüber des Hans-Sachs-Hauses.
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Im November 2019 hat die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Mitte entschieden, den neu gestalteten Platz an der Ebertstraße nach dem Sinti-Mädchen Rosa Böhmer (1933-1943), die in der Zeit des Nationalsozialismus mit ihrer Familie ermordet wurde, zu benennen. In diesem Zusammenhang erarbeitete das Institut für Stadtgeschichte mit dem Max-Planck-Gymnasium im Rahmen eines Bildungsprojektes eine Erinnerungsorte-Tafel. Eine Geschichts-AG hatte sich dazu mehrere Monate intensiv mit der Familiengeschichte von Rosa Böhmer beschäftigt.

 Anhand von Archivunterlagen aus dem Stadtarchiv sowie Interviews, mit Roman Franz, dem Vertreter der Roma-Sinti-Union NRW, bereitete die Gruppe nicht nur die Erinnerungsorte-Tafel mit vor, sondern drehte auch einen Film über ihre Recherche. Für die Einweihung der Tafel im Mai dieses Jahres hatten die Schüler auch eine Rede vorbereite. Die Corona-Pandemie machte eine feierliche Einweihung des Rosa-Böhmer-Platzes dann leider unmöglich.
Wo lange eine Baustelle war, kann seit einigen Wochen der Rosa-Böhmer-Platz aufgesucht werden. Eine Tafel schildert das Schicksal von Rosa Böhmer und ihrer Familie. Im Zuge der Neugestaltung des gesamten Areals rund um die Ebertstraße wurden auch die Erinnerungsorte-Tafeln von Fritz Rahkob und Leopold Neuwald überarbeitet bzw. erneuert.
Alle drei Tafeln können über die Homepage der Stadt Gelsenkirchen eingesehen werden: https://www.gelsenkirchen.de/de/Stadtprofil/Stadtgeschichten/Erinnerungsorte/
In diesen Tagen wurden auch die neuen Straßenschilder im Umfeld der Ebertstraße angebracht.

Das kurze Leben von Rosa Böhmer

Rosa Böhmer kam am 22. September 1933 in Gelsenkirchen-Schalke zur Welt. Rosas Vater Karl war Musiker, ihre Mutter Anna war als Kleinhändlerin tätig. Rosa war Deutsche, wie ihre Geschwister und ihr Vater, die Mutter stammte aus Belgien; alle waren katholisch getauft.
Als Angehörige der Sinti gehörte ihre Familie schon lange vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten zu den Ausgegrenzten der Gesellschaft. Im „Dritten Reich“ verschärften sich die Gesetze und Verordnungen gegen Sinti und Roma. Im Nazi-Jargon wurden sie als „arbeitsscheu“ und „asozial“ bezeichnet und für ihre Not wurden sie selbst verantwortlich gemacht.
Wegen der beengten Wohnverhältnisse und auch, weil die Familie staatliche Unterstützung erhielt, führte das Fürsorge- und Gesundheitsamt regelmäßige Kontrollbesuche durch. 1937, im Alter von vier Jahren wurde Rosa in ein Kinderheim eingewiesen und zwei Jahre später als Pflegekind zu dem Ehepaar Johannes und Theresia Hunke in Hövelhof/Kreis Paderborn vermittelt.
Die Pflegeeltern kümmerten sich innig um Rosa. Im Frühjahr 1943 bereiteten sie die Erstkommunion des Mädchens vor. Doch Rosas Name stand mit auf der Namensliste, als in Gelsenkirchen die Deportationen der Sinti und Roma nach Auschwitz behördlich organisiert wurden.
Eine Fürsorgerin holte die Neunjährige am 5. März 1943 direkt von der Schule ab und brachte sie nach Gelsenkirchen zu ihrer Mutter und ihren acht Geschwistern. Verzweifelt versuchten Rosas Pflegeeltern, das Mädchen zurückzuholen, doch die Nachfragen waren erfolglos. Die Kriminalpolizei riet dem besorgten Ehepaar sogar, anstelle des „Zigeunerkindes“ doch ein „arisches Waisenkind“ in Pflege zu nehmen.
Der Deportationszug erreichte am 13. März 1943 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Mutter und ihre Kinder wurden in das sogenannte Zigeunerlager gebracht. Innerhalb weniger Monate waren alle Mitglieder Familie Böhmer tot.
Karl Böhmer, Rosas Vater, war schon am 9. Dezember 1941 im Konzentrationslager Niederhagen-Wewelsburg ums Leben gekommen. Die Registratur in Auschwitz zeichnet die Todesdaten der weiteren Familienmitglieder nach: Werner (7 Monate) starb am 24. März 1943, eine Woche nach der Ankunft in Auschwitz. Am 19. April starb Albert (3 Jahre). Die Kinder Sophie (4 Jahre), Karl (7 Jahre) und Elisabeth (10 Jahre) starben im Juli 1943. Rosas Tod ist am 13. August 1943 notiert. Sie starb zehn Tage nach ihrer Schwester Marie (5 Jahre). Anna Böhmer (34 Jahre), starb am 16. Dezember 1943, Willy (9 Jahre) kam am 10. Januar 1944 ums Leben. Und auch wenn der Tod von Sonia (13 Jahre) nicht registriert wurde, kann als sicher gelten, dass auch sie in Auschwitz ermordet worden ist.
Rosa Böhmer und ihre Familie teilen das Schicksal von Tausenden Sinti und Roma – Männer, Frauen und Kinder, – die unter dem Rassenwahn der Nationalsozialisten litten und sterben mussten.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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