Im vergangenen Jahr 2011 war zu erleben, wie die Namensgebung öffentlicher Straßen sich zu einem hoch emotionalisierten Kampf um die Deutung von Stadtgeschichte und den Widerstand gegen nationalsozialistisches Unrecht entwickeln kann.
Zwei Straßennamensvorschläge der Grünen hatten heftige Kontroverse in den Lokalteilen von WAZ/NRZ ausgelöst.
Im Stadtbezirk I war der in den zwanziger rund dreißiger Jahren in Essen lebende und schreibende Bergarbeiterschriftsteller Hans Marchwitza als Namensgeber einer Straße im Universitätsviertel vorgeschlagen worden. Später wurde als Alternative die 1933 von Nationalsozialisten ermordete Altenessener Widerstandskämpferin Käthe Larsch vorgeschlagen, die jetzt auch tatsächlich in Essens Straßenkarten aufgenommen wurde. In beiden Fällen jedoch war heftigem Gegenwind zu kontern, denn sowohl Hans Marchwitza wie auch Käthe Larsch waren zu ihren Lebzeiten Kommunisten.
Insbesondere seitens der in Essen Ton angebenden WAZ wurde die Parole ausgegeben, Kommunisten, selbst wenn sie Widerstand gegen den Hitler-deutschen Unrechtsstaat geleistet hätten, verdienten derartige Ehrungen nicht.
Der nachfolgende Artikel untersucht deshalb eine Namensgebung, die zwar nicht von der Lokalzeitung kritisiert wird, deren Änderung aber seit Jahrzehnten überfällig ist:
Eine Nazi-Namensgebung
Im Juli 1933 hatten die Nationalsozialisten die bis dahin unauffällig kleine Straße „Am Stadtgarten“ zur „Admiral-Scheer-Straße“ hochbefördert.
Die "Admiral Scheer-Str." und die "Skagerrakstr." neben Saalbau und Stadtgarten sind auf den ersten Blick imposante Adressen in einer Großstadt, die einige hundert Km von Nord- und Ostseeküste entfernt ist.
Ob Admiral Scheer allerdings nach fast 80 Jahren für unsere renommierte Philharmonie, das Sheraton-Hotel oder den Stadtgarten die richtige Adresse sein kann, ist zu bezweifeln. Eine vergleichbare Visitenkate mit der Adresse z.B. eines General-Feldmarschalls-Göring wäre heute sicher untragbar. Die tragenden Köpfe beider im 20. Jahrhundert von Deutschland verursachter Weltkriege sollten für Ehrungen tabu sein.
Fast 10 Jahre ist es jetzt her, dass ein Grüner Antrag im Beschwerdeausschuss und der Bezirksvertretung I scheiterte, hier einen demokratisch- pazifistischen Namensschnitt zu vollziehen und als neue Benennung z.B. „Kurt Weill“ vorzuschlagen, einen bedeutenden deutschen Komponisten, den der NS-Staat in amerikanische Exil vertrieben hatte. Es könnte also durchaus die Zeit dafür gekommen sein, falsche Entscheidungen noch einmal besser zu bedenken.
Geschützdonner als Musik?
Insbesondere britische und amerikanische Philharmonie- oder Hotelbesucher dürften sich bis in die Gegenwart an die große Mordleistung des Admirals Reinhard Scheer erinnern, der von 1916 bis 1918 die deutsche Hochseeflotte führte. Der Admiral am Stadtgarten steht bis heute für die damals neue Strategie des „uneingeschränkten U-Boot-Krieges“, die weder neutrale Staaten, noch Rettung von Schiffbrüchigen mehr vorsah.
Seit Sommer 1916 versuchte die deutsche „Seekriegsleitung“ unter Admiral Scheer, England mit einer Seeblockade innerhalb von 6 Monaten auszuhungern. Nicht nur Kriegsschiffe, auch Handelsschiffe neutraler Staaten wie der USA wurden seitdem beim Kurs auf die britischen Inseln von deutschen U-Booten versenkt.
Damit wurden erstmals die direkten Kriegsauswirkungen von den Fronten ins Hinterland verlagert. Wie wir wissen, hat diese Kampfweise zwar für Hunger und Not in England gesorgt, der Krieg für „Deutschlands Platz an der Sonne“ der herrschenden Weltmächte wurde trotzdem verloren.
An der Gesamtzahl von 8,5 Millionen im Krieg von 1914-18 Gefallenen hatte die Seekriegsführung ihren wichtigen Anteil. Schließlich kommt Kurt Tucholskys Zitat, dass Soldaten natürlich Mörder seien, aus den Erfahrungen von Giftgas, Torpedos und Schützengräben im 1. Weltkrieg.
Zivilisiertes Töten?
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Fähigkeit, militärstrategisch effektvoll Krieg zu führen, im 2. Jahrhundert noch ausreichen darf, um ehrenvoll an repräsentativen Straßenzügen zu glänzen.
Admiral Reinhard Scheer war unbestreitbar ein kluger Flottenführer für die Kriegsziele seiner Majestät, Kaiser Wilhelms des II. Mit der letztlich unentschieden beendeten Seeschlacht am „Skagerrak“ hatte die deutsche Kriegsmarine die Hochseeflotte der Briten bezwingen wollen, um die eigene deutsche Vorherrschaft auf den Weltmeeren einzuleiten. Trotz dieses Patts wurde Scheer zum Kriegshelden stilisiert, da die zahlenmäßig weit überlegenen Engländer die nächtliche Flucht der deutschen Schiffe in ihre Nordseeheimathäfen nicht mehr verhindern konnten.
Der ebenfalls 1916 begonnene „uneingeschränkte U-Bootkrieg“ musste allerdings sogar gegen den Widerspruch der Berliner Reichsregierung nur mit Unterstützung der späteren Nazi-Helfer Ludendorf und Hindenburg durchgesetzt werden.
Torpedos voraus
Noch 2 Jahre nach Kriegsbeginn im August 1914 war die hochmoderne wie teure Hochseeflotte weitgehend harmlos in ihrem Häfen verblieben, während andernorts schon der Stellungskrieg im Matsch der Schützengräben tobte. Für unmittelbare Zwecke der Eroberungsfeldzüge der deutschen Armee wurde sie militärstrategisch eher als Fehlinvestition gewertet.
Erst mit Übergabe der Befehlsgewalt an Admiral Reinhard Scheer, wurde die Flotte tatsächlich als Angriffsinstrument genutzt. Seit Februar 1916 Oberbefehlshaber der kaiserlichen Hochseeflotte, wollte Scheer militärische Erfolge der Marine vorweisen, um nicht gegenüber dem Landheer an Einfluss zu verlieren.
Die Blockadeversuche deutscher U-Boote gegen die britischen Inseln hatten bis dahin nur unzureichende Ergebnisse erzeugt. Auch die Beschießung britischer Küstenstädte konnte mit ein paar zerstörten Häusern keinen wesentlichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen gewinnen.
Partnerstadt Sunderland
Noch Mitte Mai 1916 hatte Scheer erwogen, die britische Küstenindustriestadt Sunderland mit Kreuzern zu beschießen. Damit wollte er die sogenannte "Grant Fleet" der Briten aus den Basishäfen im Norden Schottlands vor die Geschütze deutscher Kampfschiffe locken. Warum der Herr Admiral diese Alternative zur Skagerrak-Schlacht schließlich verworfen hat, ist hier unbekannt. Nähere Betrachtungen der schicksalhaften Entscheidung wären sicherlich ein interessantes Thema für den Jugendaustausch mit Essens heutiger Partnerstadt Sunderland - vielleicht beim Zeltlager im Stadtgarten.
Skagerrak-Schlacht
Admiral Scheer konnte die britische Seestreitmacht schließlich im Nordseegebiet zwischen Dänemark und Norwegen herausfordern. Ergebnis des deutsch-britischen Seegemetzels waren am Tag und der Nacht des 31. Mai 1916 schließlich mehrere versenkte Schiffe, auf deutscher Seite knapp unter 3000 elendig verbrannte und ersoffene Matrossen. Der britische Flottenchef Sir John Jellicoe musste 7000 seiner tapferen Jungs abschreiben.
Da die zahlenmäßig weit überlegenen Briten die deutschen Schiffe schließlich zur Flucht in die Heimathäfen zwangen und die deutsche Propaganda die gelungene Flucht vor der riesigen angelsächsischen Armada als Erfolg feierte, erklärten beide Seiten diese Metzelei zum Kriegserfolg. Novemberrevolution 1918 und der erzwungene Sturz von Kaiser Wilhelm II. kamen schließlich unmittelbar einer von Admiral Scheer noch geplanten aussichtslosen 2. Seeschlacht gegen England zuvor.
Rücksichtslos versenken!
Die unentschieden beendete Skagerrak-Schlacht veranlasste Scheer, stattdessen den "uneingeschränkten U-Boot-Krieg" gegen England und seine Verbündeten wieder aufzunehmen. Schon seine Vorgänger hatten 1915 mit dieser Kriegführung die britische Versorgung aus Übersee kappen wollen. Im Mai 1915 war allerdings der englische Passagierdampfer "Lusitania" mit 1200 Menschen an Bord von deutschen U-Booten vor der irischen Küste versenkt worden. Unter den Opfern befanden sich auch 128 BürgerInnen der noch neutralen USA. Da die deutsche Seekriegsleitung nicht vorschnell die USA als verbündete Kriegspartei der Briten aufs Schlachtfeld rufen wollte, wurde nach dem "Lusitania Unfall" und amerikanischen Protesten wieder die Seekriegsordnung eingehalten. Solche Ängste seiner als "schlaff" geltenden Vorgänger in der Admiralität plagten Scheer im Sommer 1916 nicht mehr. Der Kriegseintritt der USA wurde in kauf genommen.
Grenzen des Kriegsrechts
Die Assoziation zum "totalen Krieg", den NS-Reichspropagandaminister Dr. Göbbels ab Februar 1943 im 2. Weltkrieg verkündete, ist naheliegend. Schon im 1. Weltkrieg kümmerten sich deutsche Soldaten wenig um die Völkerrechtsregeln der Kriegsführung. Die hätten z. B. bedeutet, nur Schiffe feindlicher Nationen anzugreifen und Handelsschiffe neutraler Staaten nicht zu versenken. Außerdem gebot es klassisches Seekriegsrecht, zumindest überlebende Schiffbrüchige versenkter Wracks als Kriegsgefangene an Bord zu nehmen.
Der insbesonderee von der kaiserlichen Marine vorangetriebene U-Boot-Krieg führte diese Kriegsregel jedoch ad absurdum. Die vollgestopften Blechbüchsen hatten kaum ausreichend Raum und Luft für Mannschaften, Torpedos und Proviant. Dort Platz freizumachen für zusätzliche Schiffbrüchigen war schon ingenieurtechnisch nicht vorgesehen.
Idol der Kriegsmarine
Für die NS-Machthaber war es 1933 in Essen naheliegend, den technisch versierten, wie skrupellosen Admiral Reinhard Scheer zum Vorbild der wiederaufzubauenden Kriegsmarine zu erheben. Vermutlich geschmückt mit einer Rede des frisch ernannten NS- Oberbürgermeisters Reismann-Grone wurde bereits am 8. Mai 1933 eine "Admiral-Scheer-Str." nebem dem Saalbau eingeweiht. 44 Jahre lang war sie Spaziergängern friedlich als "Am Stadtgarten" bekannt gewesen. Im Juli 1933 musste nach 42 Jahren die benachbarte "Nikolausstr." dem martialischen "Skagerrak" weichen".
Zwar war Scheer kein Mitglied der NSDAP, sondern unterstützte deren späteren Koalitionspartner DNVP - Deutsch-Nationale-Volkspartei. Vor seinem Tod 1928 hatte der Admiral im Ruhestand allerdings kräftig in den VVVD, den "Vereinigten Vaterländischen Verbänden Deutschlands" für seinen republikfeindlichen "Nationalverband Deutscher Offiziere NDO" getrommelt. Bestrebungen dieses NDO waren eindeutig gegen die Einwanderung sogenannter „fremdrassiger Elemente", dem Kampf gegen den Friedensvertrag nach verlorenem 1. Weltkrieg und natürlich gegen dem Marxismus gerichtet.
Zurückhaltung nach 45
Nach anderen fehlgeschlagenen Grünen Vorstößen, blutige Kommißköppe wie "von Seeckt" oder "Hindenburg" von Essener Straßenschildern zu vertreiben, wirkt der Angriff auf einen richtigen Admiral natürlich vermessen. Außer Münster leistet sich in NRW allerdings keine andere Stadt „ Admiral-Scheer“ auf ihren Straßenschildern ( und selbst dort wird diese Benennung von Gewerkschaftsseite öffentlich heftig kritisiert). Weder in Hamburg noch in Berlin gibt es derartige Adressen. Dafür müssen wir laut Telefonbuch-Recherche nach Mainz, Regensburg oder in die tiefste Provinz nach Hof, Amberg und Aurich marschieren. Diese Zurückhaltung ist hoffentlich gerade in Reinhard Scheers militärisch-politischer Karriere begründet.
Kanonenfutter
Ein würdiger Ersatz wäre schnell gefunden. Nicht nur der Komponist Kurt Weill, auch der als Matrose der Handelsflotte zwangsweise in die Kriegsmarine gepresste hervorragende Schriftsteller Theodor Plievier könnten z.B. die Stelle des Admirals einnehmen.
Mit den Romanen "Des Kaisers Kulis" und der "Der Kaiser ging, die Generäle blieben" hat Plievier 1929 und 32 aus eigenem Erleben die grausame Wirklichkeit der einfachen Mannschaften in der kaiserlichen Marine dargestellt. Die Namen derjenigen, die für deutsche Eroberungen verheizt wurden, gehören auf die Straßenschilder, und nicht die berufsmäßigen Mörder.
Walter Wandtke
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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