Dschungelarbeit mitten in der Großstadt
Ein Tagesablauf, der unter die Haut geht! -
Bewegend zu beobachten, wie die 45-jährige Martina mit verklärtem Lächeln dicke, dunkle Erdkrümel vom Umbra-Kunstbetrieb-Parkettboden fegt. Dabei umfasst sie zart den Besenstil, als wäre er ihr Tanzpartner. Eine Stunde zuvor packte sie eine Axt im angrenzenden Pfarrhaus-Garten, schlug immer wieder zu, als wenn es um ihr Leben geht. Indirekt geht es um ihr Leben und das von drei Ex-Häftlingen: Endlich Freiheit mit Kunst statt Zelle…
Zum ungewöhnlichen Projekt rief Umbra-Chef Reimund Neufeld auf. Schnell motivierte er im Essener Westen Schüler, Unternehmer, in den Schulferien zu kommen. Er begeisterte Schauspieler, Theaterpädagogen, Künstler für seine Arbeit – nämlich Wiedereingliederung von Ex-Knastfrauen in die Gesellschaft. Wie das geht? Unüblich - eben durch Kunst.
Sofort mit dabei ist Claudia Lüke. Die freischaffende Gelsenkirchener Künstlerin betrachtet kritisch den arg gerupften Pfarrhaus-Garten, der vor Tagen entrümpelt wurde: Gefällte faule Bäume, morsche Büsche. Gebündelter Müll am Mauerwerk.
14 Tage später. Tatort Freitag, 13. April. Der „nackte“ Pfarrhausgarten soll jetzt bekleidet werden mit Kunst-Möblierung. Nö, kein Lieferwagen steht vor der Tür. Selbst ist der Mann, die Frau. Quasi aus Nichts was Nützliches gemeinsam schaffen lautet die Vorlage. Alle müssen ran. Auch die Ex-Inhaftierten. Claudie Lüke gibt Impulse. „Was wird gewünscht? Bett, Sofa, Stuhl…“ Ideen, Skizzen werden gesammelt. Was geht – was nicht. „Wir sind hier im Dschungel. Haben nur Seile, Holz, Moos, Blätter. Außer Handsäge und Axt nix.“
Und haste nicht gesehen - in stundenlanger gemeinsamer, schweißtreibender Plackerei wächst ein wunderschöner, weicher Sitz, wohlig wie ein Himmelbettchen. Mit viel Spaß und Ehrenarbeit. Beim liebevollen Blick zurück versichert die Künstlerin: „So ein Projekt beginnt immer mit kleinen Schritten. Der Bumerang kommt bestimmt zurück, wenn die Teilnehmenden erzählen, wie cool gemeinsames Schaffen ist.“
Das bestätigen die Schüler Claire Lahaye und André Antpöhler. Der 14-Jährige sägte gleichlange Pflöcke, die15-Jährige stemmte das Holz, das wiederum am Ende zugespitzt werden musste. Tolle Teamarbeit. „Perfekt abgestimmt. So wurden wir an die Kunst herangeführt. Lohnenswert auf jeden Fall. Wir werden wieder kommen.“ So sieht’s ebenfalls Julia Neufeld, Bühnenbildnerin. Beipflichtung von Björn Fuchs, Fotodesign – der die Dschungelstunden mit Kamera und Klicks dokumentiert.
Schauspieler Giampiera Piria brachte danach mit seinem Stück „Warten“ Nachdenkzeit. Sechs Personen handelten synchron. Warum „Warten“? „Damit verbringen Inhaftierte ihre Zeit.“ Mit Warteposen wurde die Choreographie geführt; ergänzt durch einen Walzer. „Einem Warte-Ballett. Jeder findet Aufmerksamkeit bei seinem Nachbarn. Wenn etwas Gemeinschaftliches passiert, kommt es immer knallermäßig an.“
Sehen sich Martina, Gabi, Sabine in dem Trip „Warten“ wieder? „Absolut“, bestätigt Martina, die wie die Kolleginnen ca. sechs und mehr Jahre auf Freiheit warteten. „In Haft vergeht die Zeit furchtbar quälend. Tag für Tag. Man kann sich nicht ablenken. Nichts. Ich habe viel vermasselt. Immer wieder rein und raus aus dem Gefängnis.“ Sie schluckt. „ Ich bin ungewollt auf dieser Welt. Zuhause begann es – mit Drogen. Mathe und Kunst wollte ich gerne studieren. Auf der Hauptschule landete ich. Lehrer verspotteten mich als die aus dem Knast. Noch nie erhielt ich so ein Angebot wie hier im Umbra-Kunstbetrieb. Das werde ich mir nicht verscherzen. Reimund Neufeld setzt sich wahnsinnig für uns ein. Enttäuschen will ich ihn und mich nicht.“
Drogen wurden auch für die 48-jährige Gabi wiederholt zum Verhängnis. „Jetzt habe ich eine sechs-monatige Therapie abgeschlossen plus Nachsorge. Im Kunst-Betrieb ist es einfach klasse. Es ist nicht Gang und gäbe, dass sich jemand so für uns einsetzt!“
Doch Neufeld ist ein Macher der leisen Töne. „Es ist nicht die Masse sondern die Klasse der Arbeit, die hier getan wurde. Eine runde Sache.“ Ein Tag von 365 Tagen im Jahr…
Fotos: Michael Gohl / West Anzeiger Essen
Autor:Ingrid Schattberg aus Essen-West |
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