Kleine Parteien als demokratische Alternative
Der Mythos von der verlorenen Stimme

Foto: Demokratie lebt vom mitmachen! Fotos v. Ulrike Leone & Andreas Lischka (Pixabay) - Montage: S.Everding
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Blickt man in der Wahlkabine auf den Stimmzettel, so findet man sowohl bei einer Kommunalwahl, wo es um die Zusammensetzung des Stadtrats oder den Bürgermeisterposten geht, als auch bei der im September bevorstehenden Bundestagswahl, neben den bekannten Großen auch stets eine Vielzahl an kleinen Parteien. Diese finden sich in den Wahlumfragen der Medien später meist nur unter dem Begriff „Sonstige“ wieder. Dabei bringen Piraten, V-Partei, ÖDP, Tierschutzpartei und Co. oftmals frische und unverbrauchte Sichtweisen und Zukunftsideen ein. Lesen Sie hier ein Plädoyer für die Underdogs der politischen Landschaft und warum diese einen Gewinn für die Demokratie darstellen.

Argument 1: Finanzielle Unterstützung

Parteien nehmen erst dann am System der staatlichen Teilfinanzierung teil, wenn sie bei der letzten Bundestags- oder Europawahl mindestens 0,5 % bzw. bei der letzten Landtagswahl mindestens 1,0 % der gültigen Stimmen erhalten haben. Ist dieses Kriterium erfüllt, erhalten sie jährlich bis zu 0,86 € für jede auf ihre jeweilige Liste abgegebene Stimme (Zweitstimme). Diese Gelder nutzen Kleinparteien vor allem, um Ihre öffentliche Wahrnehmung zu steigern und somit mit Ihren Zielen und Visionen für Wähler*innen sichtbarer zu werden, denn gerade Wahlkämpfe kosten viel Geld.

Argument 2: Ideen „Übernahme“ durch große Parteien

Auch wenn es kleine Parteien oft nicht schaffen in den Landtag oder gar in den Deutschen Bundestag einzuziehen, so werden ihre Ideen und Vorschläge gerne mal von den großen Parteien „übernommen“. Gerade wenn Parteien oder Einzelkandidierende zu einem Thema oder mit einer Position einen besonders hohen Zuspruch bei den Wähler*innen erhalten, bleibt dies in den Schaltzentralen der Macht nicht unbemerkt.

Argument 3: Fokussierung auf neue Themen

So schaffen es selbst vergleichsweise geringe Wahlerfolge kleinerer Parteien, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die bislang eher im Windschatten der Regierungspolitik lagen: So folgte beispielsweise auf die ersten Prozente von Bündnis 90/ Die Grünen eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema Umweltschutz in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn oder die Wahlerfolge der Republikaner in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zwangen die Regierung zur intensiveren Thematisierung des Themas Asyl und Zuwanderung.

Argument 4: Aktivierung von Nichtwähler*innen

Politikverdrossenheit ist nicht erst seit diversen Spenden- oder Lobbyskandalen ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft und das Schimpfen auf „die da oben“ an der Tagesordnung, sodass viele Wählerinnen und Wähler erst gar nicht zur Wahl gehen. Gerade Kleinparteien schaffen dank differenzierter Themen und neuer Perspektiven oft erstmals wieder in die Lebenswirklichkeit von Teilen der Bevölkerung einzudringen, die von vielen etablierten Teilen der Politik schon lange abgeschrieben wurden.

Argument 5: Hohe Fach- und Themenkompetenz

Viele kleinere Parteien und Gruppierungen haben starke thematische Schwerpunkte und die ehrenamtlichen Politiker*innen setzen sich mit großer Leidenschaft für ein oder mehrere „Herzensthemen“ ein. Oftmals vereinen diese durch die aktiven Mitglieder und Unterstützer*innen eine enorme thematische Fachkompetenz. Oder würden Sie einer Seniorenpartei kein enormes Hintergrundwissen für die Belange von Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland und der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) keine fundierte Expertise in diesen drei Themenfeldern zutrauen? In vielen dieser Parteien steht der Idealismus für das Sachthema oftmals an erster Stelle. Oftmals gehen diese dann mit Maximalforderungen zu einem bestimmten Thema in den Wahlkampf, aber tun das die Gewerkschaften oder Autoverkäufer*innen nicht?

Wenn es so viele gute Argumente für kleine Parteien gibt, warum besteht dann eine 5 % Hürde bei vielen Wahlen?

In die 16 Landtage oder gar in den Bundestag schafft es aktuell so gut wie keine der Kleinparteien, denn das deutsche Wahlrecht hat eine Art Sperre eingebaut: Mindestens 5 % der gültigen Stimmen sind so etwas wie der „Türsteher“ vor vielen Parlamenten. Diesen zu überwinden fällt vielen politischen Gruppierungen äußerst schwer, denn oftmals fehlt der personelle Hintergrund flächendeckend Kandidierende aufzustellen und zusätzlich in jedem Bundesland bis zu 2.000 Unterstützungs-Unterschriften zusammenzubekommen, um überhaupt erst auf dem Stimmzettel vertreten zu sein.

Die Fünf-Prozent-Hürde geht dabei auf die Angst zurück, dass zu viele Klein- und Kleinstparteien ein Parlament quasi unregierbar machen würden.

Das Abschlussplädoyer

Selbstverständlich werden diese Argumente nicht alle überzeugen, ihr „Kreuzchen“ jenseits einer etablierten Partei zu setzen. Die Stimmabgabe für eine der Großen sollte jedoch auch nicht als Begründung für den Glauben daran dienen, dass es die Wunschpartei eh nicht schaffen wird in das jeweilige Parlament einzuziehen. Kleinparteien oder auch unabhängige Direktkandidaten bringen viele neue Ideen und sogar einen Idealismus in die deutsche Demokratie ein, der vielen Parteien über die Jahrzehnte leider gänzlich abhandengekommen ist. Wer den „Kleinen“ keine Chance gibt, sollte das Argument, dass sich politisch ja eh nichts ändern würde, besser in der Schublade lassen.

Digitale Werkszeuge wie der Wahl-o-Mat oder auch diverse Internetseiten helfen bei der individuellen Suche nach einer Partei, bei der man sich mit den eigenen politischen Ansichten am besten aufgehoben fühlt.

Autor:

Sebastian Everding aus Dortmund-Süd

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