Dinslakener erfährt Schicksalsschlag
Wie Andy sich für seine Familie zurück ins Leben kämpft
Ein normaler Feriennachmittag in Dinslaken. Familie Müller sitzt gemeinsam am Küchentisch, Sohn Philipp (12) hat Kuchen besorgt. Dass die Familie so zusammensitzen kann, ist ein kleines Wunder. Denn im vergangenen Jahr erkrankte Familienvater Andy schwer und kämpfte lange um sein Leben.
Familie Müller hat uns ihre Geschichte erzählt.
Eine Reportage über eine starke Familie, die sich nicht aufhalten lässt.
Von einem auf den anderen Tag war alles anders
Durch eine Sepsis im April 2019, ausgelöst durch Streptokokken, verlor Andy beide Unterarme und beide Beine. Die Erkrankung kam wie aus dem Nichts. Zwar habe er sich zuvor etwas müde und erschöpft gefühlt, dies aber für die Anzeichen einer Erkältung gehalten, berichtet Andy. Nachts wurden die Symptome dann aber so stark, dass seine Frau Ivonne den Notarzt rief. Mit dem Rettungswagen wurde Andy ins ev. Krankenhaus in Dinslaken gebracht, Ivonne erinnert sich noch genau an den Moment, in dem sie ihren Mann an die Sanitäter übergab: „Rückblickend dachte ich: Das hätte auch ein Abschied für immer gewesen sein können“. Im Krankenhaus überschlugen sich dann die Ereignisse. Andy ging es immer schlechter. Schon in den Morgenstunden wurde er auf die Intensivstation gebracht. Fieberhaft versuchten die Ärzte, die Ursache für Andys Zustand zu finden. In der Zwischenzeit schaltete Andys Körper auf Überlebensmodus: Nur noch die wichtigsten Organe wurden versorgt – seine Arme und Beine starben langsam ab. Ein Umstand, der sich nicht mehr aufhalten ließ. Andy hat an diese dramatische Situation keine Erinnerungen, er war die ganze Zeit über sediert. Seine Frau Ivonne erinnert sich aber ganz genau. Ihre Sorgen und Hoffnungen, alles was sie in dieser schweren Zeit gefühlt hat, hat sie in einem Tagebuch festgehalten.
Da Andys Arme und Beine nicht mehr durchblutet wurden, wurde er Anfang Mai auf die Intensivstation des Krankenhauses Bergmannsheil in Gelsenkirchen verlegt, wo ihm seine Gliedmaßen nacheinander amputiert wurden. Aufgrund von Andys schlechtem Zustand barg jede der Operationen ein großes Risiko. Eine schreckliche Situation für Ivonne, die sich neben der Sorge um ihren Mann auch um ihre drei Kinder kümmern musste. Die Amputation des linken Unterarms fiel ausgerechnet auf den Geburtstag der jüngsten Tochter Julia (7). „Ich habe den Kindern immer erzählt, was gerade mit ihrem Papa passiert“, berichtet Ivonne. Auch wenn die Kinder ihren Vater in dieser Zeit nicht besuchen konnten, habe sie ihnen ganz ehrlich erklärt, wie es um ihn stand.
Andy kämpfte sich zurück ins Leben
Aber Andy kämpfte und überstand alle Operationen. Als er dann im Krankenhaus aufwachte, war der Schock für ihn groß. In den ersten Wochen nach den Amputationen fiel er in ein tiefes Loch. „An manchen Tagen hat er mich nicht einmal angesehen“, erinnert sich Ivonne, die jeden Tag zu ihrem Mann in die Klinik fuhr. Andy musste akzeptieren, dass er sein altes Leben nicht zurückbekommen konnte. Auch als Handwerker würde er nicht mehr arbeiten können. Geholfen hat ihm seine Familie, die es schaffte, Andy aus seinem Tief herauszuholen. Obwohl Kinder nicht als Besucher auf der Intensivstation zugelassen waren, war es der sehnlichste Wunsch von Sohn Philipp, endlich seinen Vater zu besuchen. Ivonne kämpfte dafür, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Tatsächlich schaffte sie es, ihren Sohn einmal in der Woche mitbringen zu dürfen. Von da an ging es auch Andy langsam besser und sein Lebenswillen kehrte mehr und mehr zurück. Bald erhielt Ivonne auch die Besuchserlaubniserlaubnis für die jüngste Tochter, so dass die ganze Familie Andy besuchen konnte. Ivonne ist sich sicher: „Die Kinder haben ihm gezeigt, wofür es sich lohnt zu leben“.
Die Wand in seinem Krankenzimmer war übersät mit Bildern und Karten von Freunden und Bekannten, zum Vatertag kam ein großes Plakat von seinen drei Kindern hinzu. Auch Ivonne hatte ein Plakat für Andy angefertigt. ‚Du brauchst keine Hände, um mein Herz zu halten‘ steht darauf, daneben ist ein Foto der beiden angebracht. Viele der Bilder hat die Familie bis heute aufgehoben.
Mit Motivation in die Zukunft
Aufgeben war keine Option mehr für Andy. Von Gelsenkirchen aus ging es für ihn Anfang Juli weiter in eine Klinik in Köln, wo mit der Physiotherapie begonnen wurde. Nach der langen Zeit, in der Andy nur liegen konnte, musste er sich beispielsweise das eigenständige Sitzen mit viel Training wieder erarbeiten. Seine Familie ließ Andy weiterhin Kraft schöpfen. Und tatsächlich schaffte er es, sein erstes großes Ziel zu erreichen: Er konnte bei der Einschulung von Tochter Julia dabei sein.
Anfang Oktober konnte Andy dann endgültig nach Hause entlassen werden. Nun wurde alles in die Wege geleitet, damit er möglichst bald Handprothesen bekommen konnte. Zunächst wurden Schäfte gebaut und er konnte Prothesen von verschiedenen Herstellern testen. Im Dezember bekam Andy dann Testprothesen mit nach Hause, die er bis zum Januar behielt. Nachdem die Krankenkasse die Prothesen bewilligt hatte, wurden sie von dem Medizintechnik-Unternehmen ‚Vincent Systems GmbH‘ speziell für Andy angefertigt. Bei den Handprothesen handelt es sich um ein spezielles Modell aus Titan, mit dem Andy nicht nur greifen sondern in Zukunft auch Unterarmgehstützen benutzen kann. Denn auch das Gehen mit Prothesen möchte Andy lernen. „Es gibt keine andere Möglichkeit, als nach vorne zu schauen“, sagt er. Die Handprothesen sind mit Sensoren ausgestatten, die es Andy ermöglichen, seine neuen Hände mittels der Muskelstränge im verbliebenen Teil seiner Arme zu steuern. Das erfordert viel Übung und die Prothesen müssen immer wieder ganz individuell angepasst werden. Mitte Juni diesen Jahres sollte er die fertigen Prothesen dann endlich nutzen können. Doch die Schäfte passen nicht mehr richtig und rutschen, da die Stümpfe von Andys Unterarmen sehr kurz sind. Daher wird nun nach einem Weg gesucht, die Prothesen auch am Oberarm zu befestigen, damit Andy sie endlich verwenden kann.
Doch Andy lässt sich nicht entmutigen, denn er hat schon das nächste Ziel vor Augen: Wenn seine Handprothesen endgültig angepasst sind, beginnt die Planung an seinem Arbeitsplatz. Dann wird er nämlich wieder in der Firma arbeiten, in der er auch vor seiner Erkrankung angestellt war. Seine Stelle wird dafür auf reine Bürotätigkeit umgestellt. Aber nicht nur für seinen Beruf möchte Andy seine Selbstständigkeit zurück erlangen. Vor allem will er für seine Familie da sein. „Die Kinder zur Schule bringen oder zum Fußball begleiten, Einkaufen gehen, das alles habe ich früher auch gemacht und will es auch in Zukunft wieder machen können“, erklärt er.
Um das zu können, fehlt Andy jedoch zurzeit ein wichtiges Hilfsmittel: Momentan ist er auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen. Doch die Kosten für das Modell, das er benötigt, werden von seiner Krankenkasse nicht übernommen, da es in der Schweiz hergestellt wird und in Deutschland noch nicht als Hilfsmittel zugelassen ist. Mit seinem derzeitigen Rollstuhl ist Andy bereits zweimal nach hinten umgekippt. „Da er nur noch einen kleinen Teil seiner Oberschenkel besitzt, fehlt ihm das Gegengewicht, um den Rollstuhl ausbalancieren zu können“, erklärt Ivonne. Der ‚Scewo Bro‘, so heißt der Rollstuhl aus der Schweiz, kann hingegen nicht kippen. Und er würde einen weiteren Vorteil für die Familie bringen: Da das Gerät über eine eingebaute Treppenraupe verfügt, könnte Andy mit dem ‚Scewo Bro‘ Treppen wider selbstständig bewältigen. Das würde den Alltag enorm erleichtern, da somit auch die Treppen zur Wohnung der Familie kein so großes Hindernis mehr darstellen würden.
Um den Rollstuhl zu finanzieren, hat Familie Müller nun einen Spendenaufruf gestartet. Unter https://www.betterplace.me/scewo-bro-fuer-andy kann für die Familie gespendet werden. Familie Müller hofft, auf diese Weise den perfekten Rollstuhl für Andy zu bekommen und blickt zuversichtlich nach vorne. Denn für sie steht fest: Sie lassen sich durch nichts unterkriegen.
Autor:Julia Albustin aus Voerde (Niederrhein) |
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