"Geld allein macht nicht unglücklich"

Als der „Heimathirsch“ mit Geweih-Kappe und wortgewaltiger Gastgeber aus den WDR-„Mitternachtsspitzen“ hat sich der Kabarettist Jürgen Becker weit über sein geliebtes Köln hinaus eine große Fan-Gemeinde schaffen können.

Keiner kann so gut wie Jürgen Becker die religiösen Besonderheiten und Ursprünge vieler liebgewordener Rituale anschaulich erklären: “Ja, was glauben Sie denn?“, heißt sein aktuelles Programm. Sein brillanter und zugleich Lachtränen erzeugender Parforce-Ritt durch alle wichtigen Weltreligionen ermöglicht einen ganz neuen Zugang zu Altvertrautem. Und vielleicht bisher völlig Unverständlichem. „Gott ist schon in Ordnung, aber das Bodenpersonal... Und: Jeder Jeck is anders“, sind seit Jahrtausenden bewährte Kölner Toleranz-Rezepte. (Die schon die Römer mürbe gemacht haben sollen.)

Am 10. September um 20 Uhr in der Kathrin-Türks-Halle kommt mit Jürgen Becker ein wirklicher Vertreter dieser „Leben- und Leben lassen“-Philosphie zu uns an den ja auch nicht ganz intoleranten Niederrhein. Wir sprachen vorher mit dem Meister.

Niederrhein Anzeiger: Sie schauen auf ein bewegtes und in keiner Weise gewöhnliches Leben zurück. Sie sind Mitbesitzer einer alternativen Druckerei, haben bei dem Kölner Traditionsunternehmen „4711“ eine Lehre gemacht und anschließend dort in der Werbeabteilung gearbeitet („Mit Tosca kam die Zärtlichkeit“). Haben mit der heute legendären Stunksitzung ein Gegenmodell zum früher allmächtigen Kölner Karneval mitbegründet. Und gehören zu den führenden rheinischen Kabarettisten (bzw. sind der führende rheinische Kabarettist?). Ein Satz von Ihnen hat mich besonders beeindruckt (seine ganze Tiefe erfasst man erst im Laufe der Zeit): „Geld allein macht nicht unglücklich!“ Wann, wo und vor allem wodurch kommen einem solche elementaren Erkenntnisse?

Jürgen Becker: Als Kabarettist fügt man Sachen zusammen, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören. Und das Rheinland ist kein schlechtes Pflaster, um die Grundprinzipien des Humors von der Pike auf zu lernen. Hier leben auch viele Kabarettisten. Bei der Stunksitzung haben wir Menschen, die mit Karneval nichts am Hut hatten über die Ironie zum Schunkeln gebracht. Denn auch in einem Alternativen oder Linken lauert ein Jeck - aber jeder Jeck is ja bekanntlich anders. Also auch was zusammen gebracht was eigentlich nicht zusammen gehört.

Niederrhein Anzeiger: Was viele nicht wissen, Sie sind seit langem sozial engagiert, kümmern sich um Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen und leben vor, wie man mit Witz, Intelligenz, Beharrlichkeit und auch den richtigen Kontakten zum Ziel kommt.

Jürgen Becker: Seit ein paar Jahren gehe ich mit meinen Mitternachtsspitzen Kollegen Wilfried Schmickler und Uwe Lyko in Hauptsschulen und arbeite dort mit den Jugendlichen. Wir gehen los und suchen Ausbildungsplätze. Und wir stehen auch mit unseren guten Namen für die Kids grade. Das heißt aber auch umgekehrt, dass die sich anstrengen um uns keine Schande zu machen. Das klappt gut. Heute morgen habe ich noch in einem Café in der Südstadt (Köln) einen Kaffee getrunken, da macht ein Mädchen aus unserem Projekt eine Lehre und sie macht das toll. Da freut man sich, weil auch Ergebnisse zu sehen sind. Ich bin gegen die Spaltung der Gesellschaft, so wie die FDP das betreibt oder wie das Hamburger Bürgerbegehren gegen die sechsjährige gemeinsame Primarschule.
Das spaltet. In Italien gibt man seinen ganzen Reichtum für die Sicherung seiner Wohnviertel aus. Ich bin dafür das Geld vorher auszugeben, für Ausbildung und Integration von Jugendlichen in unsere Gesellschaft. Die müssen zum Teil ihre eigenen Eltern kompensieren und sich ohne Hilfe durch die Schule schlagen. Die leisten viel unter extrem schlechten Bedingungen und müssen ihre Chance in unserer Gesellschaft bekommen. Und es macht auch Spaß! Wir haben in manchen Abschlussklasse eine 50% Vermittlungsquote erreichen können. Vorher waren es vielleicht 2-3 % die einen Ausbildungsplatz bekommen haben.

Niederrhein Anzeiger: In Ihrer Arbeit für die „Mitternachtsspitzen“ kommen Sie mit den unterschiedlichsten Kabarett-Künstlern und/oder deren Kunstfiguren zusammen, Schmickler, Lyko (Knebel, „Loki und Smoky“ resp. „Uli aus Deppendorf“). Und vielen wechselnden Kabarett-Gästen: Wie werden Figuren entwickelt? Und kann man überhaupt über Kollegen lachen?

Jürgen Becker: Ja, sicher. Z.B. der Uli aus Deppendorf. Das war ursprünglich ein Sketch von mir zur Wahlkampfberichterstattung. Da haben wir mit Wilfried Schmickler eine ganze Reihe draus gemacht. Und Ulrich Deppendorf war ja auch mal bei uns und hat sehr gelacht. Bei Loki und Smoky war das so: Der Uwe Lyko hat mal den Helmut Schmidt nachgemacht und der Wilfried Schmickler ist der Loki ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Erst wollte Uwe Lyko nicht so recht, der will immer nur den Knebel machen, der ist konservativ. Aber dann hab ich gesagt, wenn du das nicht machst, dann mach ich es. Und da hat er es dann doch gemacht (Er ahnte. dass es ein Erfolg werden könnte...).

Niederrhein Anzeiger: Vielen Dank für das erfrischend offene Gespräch und viel Spaß in Dinslaken. Wir freuen uns auf Ihren Auftritt. Übrigens: Ulrich Deppendorf ist hier zur Schule gegangen...

Karten (19-24 Euro) für Jürgen Becker: „Ja, was glauben Sie denn?“ gibt es in allen bekannten VVK-Stellen und der Stadthalle, Bürgerbüro Dinslaken (Tel. 02064-66-222) und der Karten-Hotline: 0203-491410. Text und Interview: cd / Foto: Ag.

Autor:

Günter Hucks aus Dinslaken

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