"Boar, bist du hässlich!" - Oder: die Schöne und das Biest (2.0)
"Boar, bist du hässlich!" Ein Satz, der sich in Isabelles Gehirn eingebrannt hat, der dort lebt, der dort immer noch sein Unwesen treibt, nagt, frisst, angreift und dennoch ein für alle Male besiegt ist.
Traurigkeit und Leere zeichnen die Augen der 22-jährigen Studentin, als sie diese Worte wie ein Mantra repetiert. Immer wieder hatte sie es gehört, "Hässlich, hässlich, hässlich". Hässliche Worte, unwahre Worte, Worte, die nie wieder jemand zurücknehmen kann. Denn was einmal gesagt ist, steht unwiderruflich im Leben desjenigen geschrieben, an den es gerichtet wurde.
Meine Augenbrauen mögen sich nicht senken vor Staunen, das mich sprachlos gegenüber soviel Härte macht. Vor mir sitzt ein zierliches Mädchen, dunkelbraunes Haar fällt über ihre Schultern, die kleine spitze Nase wirft einen leichten Schatten auf ihre Wange. Die Sonne steht in ihren grünlich schimmernden Augen, ihr Rücken ist gestreckt, doch die Schultern krümmen sich noch immer fast unmerklich nach vorne. Sie erzählen von harten Tagen, erzählen von Tagen, an denen sie sich in sich selbst verstecken wollte.
"Mein Therapeut hat mich einmal gefragt, was ich wählen würde, dürfte ich mir eine Superkraft aussuchen. Ich sagte, ich wünschte, ich könnte mich unsichtbar machen."
Nachdenklich betrachte ich Isabelle. "Und was würdest du dir heute wünschen?", möchte ich wissen? "Ich würde mir wünschen, immer die Wahrheit zu hören, so eine Art menschlicher Lügendetektor zu sein."
Lange hatte sie mit den Beleidigungen, den Beschimpfungen und seelischen Quälereien ihrer Mitschüler zu kämpfen, konnte morgens kaum aufstehen, zwang sich Tag um Tag in die Schule. Doch verriet sie niemandem etwas davon, ertrug es, litt still, aß nicht mehr, hungerte immer weiter ab, verschloss sich.
"Warum der Lügendetektor?", möchte ich weiter wissen. Ich würde endlich ganz genau wissen, warum dies geschehen ist. Warum ich so gequält wurde, hätte damals zu Tage bringen können, was ich heute weiß." Denn hinter den Beleidigungen, hinter dem Hass und der Lust am Verletzen standen verkrüppelte Persönlichkeiten, die selbst voller Zweifel, Unsicherheit und Komplexen waren. "Sie kompensierten ihre eigene Unzulänglichkeit, vielleicht ihre Einsamkeit zu Hause, vielleicht das Desinteresse der eigenen Eltern." Im Grunde sind sie genauso Opfer, Ergebnis einer Wirklichkeit, die zu solch einer Deformation von Mitmenschlichkeit führt.
Isabelle wirkt reflektiert, klug, versöhnlich und doch komme ich nicht umhin, immer und immer wieder den Schmerz in ihren Augen zu lesen.
"Es hat nie aufgehört, ich war sehr lange in Therapie, und bin es in gewisser Weise heute immer noch." Isabelle studiert Psychologie, möchte später einmal selbst eine Praxis für Kinder eröffnen. Ein Weg, den sie als Heilung empfindet, an Menschen das wieder gut zu machen, was ihr selbst angetan wurde. Aber geht das, kann man auf diesem Wege sich selbst heilen?
"Ich glaube, dass ich aus meinen eigenen Erfahrungen und der therapeutischen Aufarbeitung sehr viel gelernt habe, vielleicht viel mehr, als man in einem Studium lernen kann. Ich habe eine Sensibilität entwickelt, die mir hilft, Verhaltensprozesse viel besser verstehen zu können und so Menschen zu helfen, die nicht mehr weiter wissen", so die 22-jährige Studentin.
In dem Namen "Isabelle" steckt "belle". "Belle" bedeutet "die Schöne". Isabelle ist schön, nicht nur äußerlich, sie ist vor allem innen schön, eine Schönheit, die man mit dem Herzen sieht.
Autor:Regina Katharina Schmitz aus Dinslaken |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.