AK 2011 | Tor 22: Entspannungstext gegen Weihnachtsstress

Atmen Sie ein. Schließen Sie die Augen. Atmen Sie aus.

Sie sind an einem Strand. Ein weiter weiter weiter Strand ohne störende Badegäste und Strandkörbe. Es ist ein strahlender warmer Tag. Die Sonne ist blendend, aber angenehm. Vor Ihnen liegt der azurblaue Ozean. Es ist nahezu still. Nur hier und da hört man Möwen und Greenpeace-Aktivisten kreischen; das Meeresrauschen übertönt diese jedoch und ummantelt Ihre Gedanken. Atmen nicht vergessen! Sie nähern sich dem Ozean, bis ihre Zehen das Wasser berühren. Spüren sie die Naturgewalten durch Ihre Fersen. Sie werden eins mit dem Wasser. Ignorieren sie Unrat und Schiffsabfälle, die gelegentlich angespült werden. Sie sind das Wasser. Das Wasser sind Sie. Eins. Sie fließen. Ihre Gedanken zerfließen.

Atmen Sie tief ein. Konzentrieren sie sich auf Ihre Beine. Erfassen Sie mit Ihren flüssigen Gedanken Ihre unteren Extremitäten, bis Sie nur noch Wasser und Beine sind. Denken Sie sich Ihre Beine flüssig. Zerfließen Sie. Atmen Sie zwischendurch auch mal aus. Ihre Beine sind der Ozean. Nun fehlt noch der Rest des Körpers. Gehen Sie bei den Armen wie bei den Beinen vor. Sie fließen. Ihre Arme und Beine sind der Ozean. Sie sind ein Torso. Gleiten sie in den Ozean. Atmen Sie ein. Es ist ein Entspannungstext, Sie können Ihre Lungen somit nicht mit Meerwasser vollpumpen und einen qualvollen Tod sterben, nur um wie Abfall angespült zu werden und am Strand von spielenden Kindern mit Stöcken inspiziert zu werden. Atmen Sie aus.

Sie sind ein Fisch. Keine störenden Arme und Beine mehr. Sie und und der Ozean sind eine Verbindung eingegangen. Sie schwimmen durch ihn hindurch, wie es Fische vorziehen. Atmen Sie ein. Sie haben alle Merkmale eines Fisches, abgesehen von der Quecksilbervergiftung und der Grätenfreiheit. Die Sonne weist Ihnen wie eine gewaltige Schreibtischlampe den Weg durch das unendlich flüssige Blau. Das Wasser schützt Sie vor Hautkrebs. Atmen Sie aus.
Als Fisch sind sie sehr geschickt im Umgang mit Meeren und Sie haben das Gefühl, als könnten Sie fliegen. Tun Sie es doch einfach. Schwimmen Sie zur Meeresoberfläche. Im Hintergrund vernehmen Sie sanfte Synthi-Klänge einer erschwinglichen Entspannungs-CD. Steigen Sie empor! Raus aus dem Meer! Sie sind nicht nur ein Fisch - Sie sind ein fliegender Fisch. Atmen Sie ein.
Langsam, aber zielstrebig fliegen Sie wie ein Vogel auf die Sonne zu und gleiten derweil über das sagenhafte Meer. Unter Ihnen sind leckende Bohrinseln und japanische Waljäger, doch das kümmert Sie nun nicht mehr, da Sie das Fischdasein hinter sich gelassen haben. Atmen Sie aus. Der Himmel und Sie sind eins. Jeder Flügelschlag entlastet Ihre geschundene, gestresste Seele. Jeder weitere Meile über dem Meer lässt Sie die Alltagssorgen vergessen - außer jene, die sich nicht ausblenden lassen, wie z.B. die hohen Mietschulden. Atmen Sie ein.

Sie fliegen über Länder und Gebiete, die sie nur aus Arte-Dokumentationen kennen. Da Sie ein Vogel sind und eins mit dem Himmel, werden Sie in manchen Teilgebieten wie eine Art Gottheit behandelt. Sie genießen den Machtrausch und gönnen sich ein paar Menschenopfer. Atmen Sie aus.
Manche Gebiete lassen sich nicht täuschen und erkennen Ihre ursprüngliche Gestalt, doch Sie sind viel zu schnell, um Spendengelder verteilen zu müssen. Atmen Sie ein.
Sie sehen alles. Sie sind eine Art Gottheit, sehen sie es ein. Sie sind so entspannt, dass Sie selbst auf diese Ideen kommen. Die Sonne gibt Ihrer Gestalt eine goldene Umrandung und sie lassen sich selbst feiern. Sie werden Casting-Show-Sieger, US-Präsident und ein Feiertag wird nach Ihnen benannt. Alles ist gut, bis auf die üblichen Terrorzellen und den Welthunger. Atmen Sie aus.

Zurück zum Meer, wo Sie herkamen. Zur finalen Zerfließung ... Werden Sie eins mit der Welt. Schenken Sie sich der Welt; Die Welt wird Sie dafür entlohnen. Der immerblaue Ozean rauscht vor Freude. Konzentrieren Sie sich. Entspannen Sie sich. Lösen Sie sich. Lösen Sie sich auf. Zerstreuen Sie sich. Streuen Sie sich.

Atmen Sie ein. Öffnen Sie die Augen. Atmen Sie aus.
Und nun zurück ins Gemenge.

Autor:

Oliver Peters aus Dinslaken

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