Auf ein Wort
"Zum Glück leben wir in einem Land, in der das Recht auf freie Meinungsäußerung herrscht und niemand wegen seiner Meinung verfolgt werden darf"
Der 54-jährige IT-Fachmann Ingo Kramarek ist Stadtverordneter und Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses im Rat der Stadt. Gleichzeitig administriert er die Facebook-Gruppe "Dinslaken Aktuell". Im Gespräch mit dem Niederrheinanzeiger nimmt er zu aktuellen Zensur-Vorwürfen Stellung, die ihn auch mit der Kritik konfrontieren, seine Doppelfunktion als Ratsmitglied und Facebook-Gruppen-Administrator für seine eigenen politischen Ziele zu missbrauchen und kritische Stimmen mundtot machen zu wollen.
Sehen Sie Ihr Doppel-Engagement als Ratsmitglied und Administrator der Facebook-Gruppe Dinslaken Aktuell als einen potenziellen Interessenkonflikt?
Ingo Kramarek: Vor mehr als 6 Jahren habe ich die Facebook-Gruppe „Dinslaken-aktuell“ übernommen. Damals war nicht vorhersehbar, wohin sich das entwickeln würde. Ich hatte auch noch keine klaren Ziele, sondern habe die Gruppe als „grüne Wiese“ gesehen, die man vollkommen neu bespielen kann. Die Gruppe entwickelte sich rasant, bald werden es 23.000 Mitglieder sein. Sie ist eine der größten Facebook-Gruppen in NRW. Im Laufe der Jahre hat diese Gruppe viele gute Ideen hervorgebracht.
Leider sind aber auch viele Ideen verpufft, weil sich niemand für die Umsetzung verantwortlich fühlte. Damals habe ich mit einigen Leuten die Ideen aufgegriffen und versucht zu realisieren. Klei-ne Projekte, Nachbarschaftshilfen und Events wurden umgesetzt. Später waren es dann auch größere Projekte. Dazu zählen die Versorgung der Obdachlosen mit der Gründung der Wunderfinder, die Gründung der Bürgerhilfe Dinslaken, der Seniorenwunschbaum und der Kost Nix Laden. All das sind Projekte, die in Dinslaken-aktuell und mit meiner persönlichen Unterstützung entstanden sind.
Auch wenn das heute von einigen geleugnet wird, so ist es doch ein Stück Dinslakener Geschichte, die wir mit Dinslaken-aktuell geschrieben haben. Für viele Projekte habe ich mich auch persönlich eingesetzt, habe Kontakte geknüpft und dadurch viele Missstände in Dinslaken mitbekommen. Mir wurde bewusst, dass in vielen Fällen nur die Politik etwas verändern konnte. Aus diesem Grund habe ich die Parteienwelt in Dinslaken näher betrachtet, die großen und kleineren Parteien und auch die Wählergemeinschaften. Ich suchte nach Möglichkeiten, die Probleme, Meinungen und Wünsche der Dinslakener Stadt Gesellschaft direkt in die lokale Politik mit einfließen zu lassen. Bis dahin war mein Weg in die Politik nicht geplant. Im Gegenteil. Auch ich hatte von der Berliner Politik die Nase gestrichen voll.
Das war vor zwei Jahren. Somit bin ich auch bewusst keiner Partei, sondern der Wählergemeinschaft Unabhängige Bürgervertretung Dinslaken (UBV) beigetreten. Einer der Hauptgründe war, dass es in der Wählergemeinschaft UBV keinen Fraktionszwang gibt. In der UBV fühlte ich mich in meinen Entscheidungen frei und habe dort auch viele Unterstützer und Mitstreiter gefunden. Hier sah ich die größten Potentiale, um in der Stadt etwas verändern zu können.
Wenn Sie mich also fragen, ob ich in meiner Rolle als Administrator einen Interessenkonflikt sehe, kann ich hier mit einem ganz klaren „Nein“ antworten.
Wie kommen die Zensur-Vorwürfe gegen Sie zustande?
Ingo Kramarek: Die Vorwürfe der Zensur sind schlichtweg falsch und unsinnig. Es fand und findet keine Zensur in Dinslaken-aktuell statt und ich habe die Stadt auch nicht dazu aufgerufen, Zensur zu üben oder Kritik zu löschen.
Was diverse Leute natürlich nicht davon abhält, laut “Zensur!!” zu schreien, weil sie in Dinslaken - aktuell die Regeln einhalten müssen. Und die sind eindeutig: Beleidigungen, Diffamierungen, Hetze, Sticheleien, Provokationen und ähnliches sind nicht erlaubt! Wer gegen diese Regeln verstößt, wird gebeten, sie einzuhalten. Wer mehrmals dagegen verstößt, wird ausgeschlossen. Dies ist keine Zensur.
Meine jüngsten Kommentare auf der Facebook-Seite der Stadt Dinslaken wurden dann m.E. ab-sichtlich falsch interpretiert und die Sache künstlich aufgeputscht mit dem klaren Ziel, einem „politischen Gegner“ zu schaden und Rache für einen vermeintlichen Rauswurf zu üben. Dabei wurde vollkommen außer Acht gelassen, dass es in meinen Kommentaren nicht um mich, sondern um den Umgangston im Allgemeinen ging. Seit Wochen wurde dort, auf der Facebook Seite der Stadt, immer wieder von den gleichen Leuten die gleichen Parolen gepostet und der Umgangston wurde zunehmend respektloser und beleidigender. Das sind nach meinem Verständnis keine „Meinungs-äußerung“ mehr gewesen und darauf habe ich aufmerksam gemacht. Auch habe ich erfahren, dass bereits Kommentare von der Stadt ausgeblendet wurden. Auch die Neue Rhein Zeitung (NRZ) musste auf Ihrer Seite einige Kommentare ausblenden. Mitglieder des Stadtrates haben klare Aufträge der Wählerinnen und Wähler und vor allem auch eine Vorbildfunktion. Dazu gehört aber sicherlich nicht, andere Menschen, Parteien oder Wählergemeinschaften in aller Öffentlichkeit zu diffamieren. Soviel zum Thema Demokratie, Meinungsfreiheit und Zensur.
Warum haben Ihre Kritiker aus Ihrer Sicht Unrecht?
Ingo Kramarek: Wie bereits gesagt, gibt es Regeln, die einzuhalten sind. Die Vorwürfe der Zensur sind also an den Haaren herbeigezogen. Natürlich gesteht keiner gerne Fehler ein. Teilweise wissen viele auch gar nicht, was sie falsch gemacht haben. Ihnen fehlt oft auch das Unrechtsempfinden, denn solche Äußerungen werden nicht aus der Perspektive des anderen gesehen. Aber Unwissenheit schützt ja bekanntlich nicht vor Strafe. Damit so eine große Gruppe, mit fast 23.000 Mitgliedern, funktioniert, müssen wir schnell und konsequent reagieren. Zeit für lange Diskussionen bleibt uns dann nicht. Die Menschen haben auch eine Eigenverantwortung und wir erwarten, dass sie die Grundregeln kennen und beherrschen.
Ich möchte hierzu mal ein paar Beispiele anfügen, die die Hintergründe unserer Arbeit etwas ver-anschaulichen und die unseren Kritikern zum größten Teil nicht bekannt sind.
Ein Thema, das immer wieder hochkommt, sind Aufrufe zu Spendenaktionen. Auf Grund von vielen unseriösen Aufrufen und zum Schutz unserer Mitglieder haben wir in unseren Gruppenregeln fest verankert, das Spendenaufrufe bei uns nicht zulässig sind.
Nun kommt ein Frisörladen aus Dinslaken mit der Idee „Haareschneiden für einen guten Zweck“. Sicherlich eine gute und auch lobenswerte Idee. Aber laut unseren Regeln in Dinslaken-aktuell nicht zulässig und deswegen haben wir den Aufruf in unserer Gruppe auch nicht zugelassen. Daraufhin haben die Initiatoren und einige Anhänger einen Shitstorm gegen uns losgetreten, statt unsere Regeln zu respektieren. Es entstand nicht nur ein erheblicher Imageschaden, sondern auch eine „Ableger-Gruppe“. Hinzu kam aber auch, dass viele plötzlich ihren Rauswurf bei uns provozierten, um dazu zugehören. Um sich in die Reihe der „Vertrieben“ einreihen zu können. Es kam hier zu erheblichen Bedrohungen, Anfeindungen und Beleidigungen.
Auch das Thema „Private Fahndungsaufrufe von vermissten Personen“ ist ein Dauerthema, bei dem es immer hoch emotional zugeht. Hier wird auch die Verantwortung eines Admin-Teams sehr deutlich. Vor ein paar Jahren haben wir – ausnahmsweise - einen privaten Fahndungsaufruf zugelassen, in dem eine Mutter schrieb, dass ihre Tochter von der Schule nicht nach Hause kam. Das Mädchen war 7 Jahre alt und wurde mit einem Foto gesucht. Ganz viele Menschen teilten die Fahndung und die Mutter erhielt unzählige Hinweise auf den Aufenthalt ihrer Tochter und konnte sie auch noch am gleichen Tag finden. Uns kam die Sache damals sehr eigenartig vor und so haben wir bei der Polizei zu der Vermisstenanzeige nachgefragt und etwas recherchiert. Was wir dabei erfahren haben, hat uns schockiert. Die Mutter war alkohol- und drogenabhängig und sie hatte das Sorgerecht für ihre Tochter wegen Gefährdung des Kindswohl verloren. Das Kind lebte zu dieser Zeit bei Pflegeeltern und sollte von der Mutter dort auch nicht gefunden werden. Das ging natürlich ordentlich daneben. Seitdem haben wir auch hier klare Gruppen-Regeln für uns eingeführt. Mittlerweile sind private Fahndungsaufrufe auch per Gesetzgebung nicht mehr zulässig. Leider wollen und können die Betroffenen das nicht akzeptieren, was ich persönlich sogar verstehen kann, wenn man wirklich in so einer Notsituation steckt. Aber stattdessen wird uns vorgeworfen, wir seien herzlos und es wird wieder mal in den diversen anderen Gruppen „Stimmung“ gegen uns gemacht.
Als letztes Beispiel noch ein aktuelles Thema. Es wurde ja auch behauptet, dass ich Mitglieder einer Partei oder Mitglieder aus dem Stadtrat willkürlich sperren gelassen habe. Das ist natürlich auch völliger Unsinn. Wir haben Leute gesperrt, die gegen unsere Gruppenregeln, die Netiquette, den Facebook Gemeinschaftsstandards oder gegen ein Gesetz verstoßen haben. Fakt ist, dass Stadträte bei uns keine Immunität besitzen und das für sie die gleichen Regeln gelten, wie für alle anderen Mitglieder auch. Eigentlich bin ich sogar sehr schockiert, dass wir in der Tat nun schon fünf Stadträte aus drei Parteien sperren mussten und aktuell auch noch gesperrt haben.
Dazu muss man aber auch sagen, dass die betroffenen Personen diese Sperren schon weit vor der letzten Kommunalwahl erhalten haben und zwei von Ihnen zu der Zeit noch keine Stadtverordnete waren. Wie ich bereits sagte, haben wir als gewählte Vertreter Vorbildfunktion. Und so soll-ten sich auch alle verhalten. Denn das ist, was Wählerinnen und Wähler von Stadtverordneten erwarten können.
Würden Sie angesichts der Kritik erneut so handeln, wie Sie ge-handelt haben oder müssen Sie in der Rückschau eigene Fehler einräumen?
Ingo Kramarek: Es gibt in der Tat einen Fehler, den ich gemacht habe. Genaugenommen habe ich sogar vier Fehler gemacht, die ich so nicht mehr machen würde und werde.
1. Ich habe Leuten vertraut, die das skrupellos ausgenutzt haben.
2. Ich habe zu lange über viele Beleidigungen und verbale Attacken hinweggesehen.
3. Ich habe vor zwei Jahren, als Friedensangebot, alle sperren in Dinslaken-aktuell aufgehoben.
4. Ich habe mich für Leute eingesetzt, für die Loyalität ein Fremdwort ist.
Sehen Sie die Chance für einen Dialog mit Ihren Kritikern, der die Wogen glätten könnte?
Ingo Kramarek: Für einen Großteil der gesperrten Nutzer gibt es sicherlich auch eine Möglichkeit, die Sperren aufzuheben. Wir müssen aber zu einer sachlichen Ebene zurückfinden. Und man muss die Regeln kennen und akzeptieren. Anhand der aktuellen Hetzkampagnen kann ich den Willen dazu allergings nicht bei allen erkennen. Diese Möglichkeit hat es übrigens immer gegeben. Wir haben auch mit ganz vielen Leuten, auf sachlicher Ebene, einen Konsens gefunden und Sperren nachträglich aufgehoben.
Wie interpretieren Sie die Grenzen des Grundrechtes der Meinungsfreiheit?
Ingo Kramarek: Zum Glück leben wir in einem Land, in der das Recht auf freie Meinungsäußerung herrscht und niemand wegen seiner Meinung verfolgt werden darf. Meinungsfreiheit ist eine gute Sache und auch enorm wichtig. Aber das Wort wird oft falsch interpretiert. Auch wenn jede Person ein Recht auf seine Meinung hat folgt daraus aber nicht, dass man auch das Recht hat, diese Meinung überall kund zu tun. Und wenn wir in Dinslaken-aktuell Beiträge ablehnen oder löschen, dann ist das keine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Dann wurden Beiträge gelöscht, die durch die Meinungsfreiheit nicht geschützt sind, weil sie die persönliche Ehre einer Person verletzen oder beleidigen oder auch verleumden.
Jeder kann seine Meinung ja weiterhin äußern – vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln und kritisiert fair. Und wenn wir in unserer Gruppe zum Beispiel jemanden – aus welchen Gründen auch immer – sperren oder Kommentare löschen, beschneiden wir ihn nicht in seiner “Meinungsfrei-heit”. Dies hat damit überhaupt nichts zu tun. Wir hindern nur jemanden daran, gegen die Regeln zu verstoßen.
Niemand wird daran gehindert, ganz einfach eine eigene Facebook Gruppe zugründen um darin all das zu schreiben, was sie schreiben wollen. Ob dies dann den Gemeinschaftsstandards entspricht, muss jeder Admin dann selbst entscheiden.
Vielleicht darf ich noch darauf hinweisen, dass es mittlerweile auch Urteile gibt, die besagen, dass Beleidigungen, Verleumdungen und falsche Tatsachenbehauptungen unzulässig sind. Wenn es bei Kritik nicht mehr um die Sache geht, sondern nur darum, jemanden lächerlich zu machen oder zu beleidigen, dann ist die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht.
Wenn wir also in Zukunft wieder einen Kommentar oder Beitrag in Dinslaken - aktuell löschen, dann darf man sich auch gerne über uns ärgern und uns auch doof finden. Mit einer Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung oder Zensur hat das aber alles nichts zu tun.
Sind die Sozialen Medien aus Ihrer Sicht für unsere Demokratie Segen oder Fluch?
Ingo Kramarek: Aus meiner Sicht sind es nicht die Sozialen Medien, die unsere Demokratie gefährden. Facebook und Co sind nur Werkzeuge und Mittel zum Zweck. Schaden richten eher diejenigen an, die mit dem Werkzeug nicht umgehen können oder es missbrauchen. Aber auch das wird sicherlich ein Thema im Ausschuss für Digitalisierung werden. Viele Menschen fordern zwar mehr Digitalisierung aber ist ihnen auch bewusst, was das bedeutet? Denn auch der Umgang mit der Digitalisierung muss gelernt werden, wie ja die jüngsten Ereignisse deutlich zeigen.
Wie beurteilen Sie als IT-Fachmann und Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses mit Blick auf ihre Stadt die Chancen und Risiken der Digitalisierung?
Ingo Kramarek: Der Digitalisierungsausschuss hat noch gar nicht Fahrt aufgenommen und wir verstricken uns schon in persönliche „Kleinkriege“. Der Anfang war gut und ein erster gemeinsamer Antrag für eine Digitalstrategie wurde von fast allen Parteien und Wählergemeinschaften auf den Weg gebracht. Den gemeinsamen Antrag habe ich als Meilenstein für den Ausschuss und dessen Fortschreibung gesehen.
Dinslaken braucht dringend eine kurzfristige Strategie und eine langfristige Agenda um eine „High-Tech-Stadt“ zu werden. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zum Werkzeug der Digitalisierung machen lassen, sondern begreifen, dass die Digitalisierung unser Werkzeug ist, das wir benutzen können um viele Dinge des täglichen Lebens leichter zu machen. Dabei muss aber stehst der Mensch im Mittelpunkt stehen. Für den Erfolg des Ausschusses sind Mitglieder nötig, die auf der sachlichen Ebene bleiben und gemeinsam mit mir als Vorsitzenden Dinslaken digital nach vorne bringen wollen. Alles andere kostet Dinslaken am Ende den dringend benötigten Anschluss an die digitale Zukunft.
Bitte, erlauben Sie mir hier bitte noch einen persönlichen Hinweis: Wir sind Menschen, mit echten Gefühlen, Freunden und Familien, die hier in dieser Stadt leben und ihre Freizeit für die Allgemeinheit opfern. Das machen wir gerne und aus Überzeugung. Wir sind keine abstrakten und gefühlsneutralen Dinge oder Algorithmen, die einem starren Muster folgen. Wir erwarten für unsere Arbeit auch keinen besonderen Dank, aber etwas mehr Respekt und auf keinen Fall weitere Anfeindungen und Beleidigungen.
Autor:Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr |
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