Resümee der CSD-Demos im Kreis Wesel
Vera van Oyen: Versuche, Kontakte zu anderen aufzubauen, sind häufig mit Ängsten verbunden
Im August hatten engagierte Köpfe zur Teilnahme an kleineren CSD-Veranstaltungen im Kreis Wesel aufgerufen. Und trotz recht guter Teilnahme wurde das Thema insgesamt eher auf kleiner Flamme gekocht. Das Thema? Welches Thema?
Wir reden von LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender. Die deutsche Abkürzung ( lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) lautet LSBT. Ergänzt durch ein *I* oder neuerdings immer öfter durch ein "Q", das für den Begriff "queer" steht, der alle vorgenannten Umschreibungen in einem Wort zusammenfassen soll.
Anglizismen hin oder her - viele Menschen tun sich nicht nur mit solchen Abkürzungen schwer, sondern erst recht mit den gesellschaftspolitischen Themen dahinter. Ein Interview mit Vera van Oyen, der Organisatorin der August-Demos, soll Licht ins Dunkel bringen.
dibo: Wie war die Resonanz in den unten genannten vier Städten?
Vera: Wir haben uns über jedes einzelne Gesicht auf der Demo gefreut. In Moers waren wir knapp über 50 Personen, in Wesel haben wir die 150 geknackt und in Dinslaken waren wir noch 85 Menschen. Zwischen den Demonstrationsorten haben wir einen Bustransfer von Demo zu Demo organisiert und viele sind auch alle Städte mitgezogen.
dibo: Ist der Themenkreis LSBT in niederrheinischen Kleinstädten schwierig?
Vera: In ländlichen Räumen ist generell „jugendlich“ sein schon eine Herausforderung. Das Freizeitangebot für junge Menschen ist oft an den Geldbeutel der Eltern oder den öffentlichen Nahverkehr gekoppelt. Versuche, Kontakte zu anderen jungen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* oder Inter* aufzubauen, sind häufig mit Ängsten verbunden: Was hat das für Konsequenzen für mich? Wird meine Familie darauf angesprochen werden? Was ist mit Mobbing, oder Ausgrenzung im Alltag? Die Anonymität, die in Großstädten Fluch und Segen ist, fehlt in diesen Regionen oft gänzlich und lässt Hemmschwellen sich zu öffnen und selbstbewusst durchs Leben zu gehen wachsen. In kleineren Städten haben die Häuserwände gefühlt Augen und Ohren, weshalb einige unserer Treffs von jungen Menschen besucht werden, die nicht unmittelbar aus der jeweiligen Stadt kommen.
LSBT*I* Arbeit ist überregionales Arbeiten, auch damit hier Netzwerke und Kontakte unter gleichaltrigen möglich gemacht werden. Denn ich bin dagegen, dass junge schwule vom Niederrhein ihre Ersten Erfahrungen mit einem Mitvierziger aus dem Ruhrgebiet haben, warum nicht ein netter anderer gleichaltriger Kerl aus dem Dorf nebenan? Und auch junge Lesben sollten im ländlichen Raum nicht erst wissen, wie es sich anfühlt bei einer Frau im Arm einzuschlafen, wenn sie in größere Städte abgewandert sind. Ich hätte mir damals solche Kontakte und Erfahrungen gewünscht, viel früher, immerhin verpasst man sonst einen wichtige Teil seiner Jugend und der eigenen Identitätsentwicklung.
dibo: Viele Menschen empfinden schon diese Kürzel als kryptisch. Was sagen Sie dazu?
Vera: Ganz ehrlich, ja es ist kryptisch, aber nicht mehr als Kürzel wie „MfG“ oder „ABM“. Einige Menschen empfinden es eben einfach nicht als relevant genug, um sich damit zu befassen und das ist okay. Die Schwierigkeit besteht darin in einem gesellschaftlichen Miteinander nicht Leute zu verlieren, die mitgenommen werden können. Das heißt aber eben nicht nur, dass die Menschen, die gegen Gendern oder Neopronomen sind, weiter im Diskurs wahrgenommen und gehört werden sollten, sondern eben auch, dass die Menschen, die bisher durch Sprache keine ausreichende Repräsentation finden, neue Wege gehen dürfen. Sprache ist immer im Wandel und wir erleben gerade einen spannenden Prozess, bei dem wir das Ziel, aber noch nicht endgültig den Weg kennen. Das Ziel ist inklusive Sprache zu sprechen.
dibo: Stehen Sie im Austausch mit Behördenvertretern?
Vera: Selbstverständlich, denn wir sind mit unseren LSBT*I* Jugendzentren teil der Offenen Jugendarbeit und freier Träger der Jugendhilfe. Das heißt konkret, das wir auf unterschiedlichen Ebenen mit den Strukturen auf Landes, Kreis und Regionalebene vernetzt und im stetigen Austausch sind. Beim diesjährigen CSD im Kreis Wesel hatten wir Unterstützung durch unsern Kooperationspartner dem SlaM and Friends Moers e.V., hier zu nennen Vorsitzender Sascha Roncevic, welcher auch auf Landesebene in der Queer SPD engagiert ist (immer noch?). Auch die Stadt Dinslaken hat Unterstützung durch die AJA (Aufsuchende Jugendarbeit) geleistet und in jeder der besuchten Städte hatten wir eine Repräsentation der Kommune.
In Moers sprach der örtliche Bundestagsabgeordnete Jan Dieren. Ebenfalls dabei waren der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion Atilla Cikolu und der JusoVorsitzende aus Neukirchen-Vluyn Marco Jakob. In Wesel hielt der SPD-Stadtverbands-Vorsitzende Martin Wegner eine Rede, sowie die stellvertretende Bürgermeisterin der Kreisstadt Wesel Birgit Nuyken. In Dinslaken sprach der erste stellvertretende Bürgermeister Eyüp Yildiz neben weiteren jungen Aktivist:innen aus dem gesamten Kreis Wesel.
Und da hört es nicht auf. Teilweise werden wir zu Gesprächen als Expert:innen eingeladen, aber wir suchen natürlich auch immer den Austausch und das Gespräch, gerade wenn es um Stabilisierung oder Erweiterung von Angeboten für junge LSBT*I* geht.
dibo: Ist ein Christopher Street Day die beste Methode, um auf LSBT-Belange aufmerksam zu machen?
Vera: Ein Christopher Street Day ist, auch wenn er bunt und schillernd begangen wird – eine Demonstration. Und ich persönlich bin sehr dankbar, dass wir in unserer Demokratie die Gelegenheit haben, eine Versammlung anzumelden, die von der Polizei begleitet und beschützt wird. Denn das war oft notwendig.
In Geldern wurden unsere Redebeiträge von religiösen Fundamentalisten gestört und uns
zugerufen, man solle uns doch vergasen. Im Kreis Wesel wurden wir angeschrien und angepöbelt - und das sind die harmlosen Beispiele, die aber dennoch teilweise strafrechtlich belangbar sind. Spätestens der tragische Tod von Malte C. nach dem queerfeindlichen Angriff auf dem Münsteraner CSD zeigt deutlich, dass die Gewaltbereitschaft gegenüber der Community nicht nur existiert, sondern zu realen Taten führt. Viele sind dadurch verunsichert, gerade junge Menschen. Unsere Angst ist, dass sich Menschen nicht mehr trauen „Stop“ zu sagen, obwohl dort offensichtlich etwas schief läuft. Wir versuchen mit unseren Anlaufstellen und Themen in den Treffs zu empowern, Wissen zu vermitteln, wie auch schwierige oder gefährliche Situationen gehändelt werden können. Gerade öffentlich sichtbar sein ist da das wichtigste Mittel, denn auf einer Demo für seine Rechte einzustehen kann ein unfassbar stärkendes Gefühl sein.
Und ja, genau deswegen ist eine Demonstration eine gute Form Missstände anzuprangern, Gleichberechtigung auf allen Ebenen zu fordern und den blinden Flecken der Gesellschaft eine Plattform zu bieten. Wir nutzen die Mittel der Demokratie, um mit ihr eine Veränderung zu erzeugen.
dibo: Gibt’s eigentlich noch gesellschaftliche Gewaltprobleme in Bezug auf diese Minderheiten?
Vera: Nur so am Rande, Wir sind übrigens knapp 7 bis 11 Prozent der Weltbevölkerung und damit durchaus eine realistische Größe, weshalb ich das Wort „Minderheit“ an dieser Stelle unpassend finde. Wir sind viele und mitten in der Gesellschaft. Ich glaube fast alle Besucher:innen unserer Jugendzentren können von individuellen Gewalterfahrungen Sprechen, die sie nur gemacht haben, weil sie Teil der Community sind.
Dabei reicht es, von Klassenkammrad:innen ins Gesicht gespuckt zu bekommen, bis hin zu körperlicher Gewalt im Elternhaus nach einem Outing. Wir reden hier von jungen Menschen
zwischen 14 und 26 Jahren, Menschen, die unter Umständen noch nicht einmal darüber nachgedacht haben, was Gewalt, also nicht nur physische Gewalt, auch Ächtung, Ausgrenzung, Nichtbeachtung z. B. nach Outing in Familie, überhaupt ist. Mir persönlich fallt es oft schwer beinahe täglich von Angriffen auf Schwule Paare oder Übergriffe auf Trans*frauen und Lesben zu lesen.
Ich bin natürlich auch in einer Medien-Bubble, die mir genau solche Beiträge durch den Social Media Feed jagt. Aber die Realität meiner Arbeit in den Jugendzentren zeigt mir, dass es eben kein Randphänomen ist. Wir brauchen allerdings viel häufiger die Anerkennung, dass eine Tat aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität passiert ist. Das ist leider in Deutschland eine Seltenheit und müsste besser erfasst werden.
dibo: Was konkret hat sich zum Positiven verändert?
Vera: Die Akzeptanz bei jüngeren Menschen ist enorm gestiegen. Wir gehen regelmäßig an Schulen und andere Bildungseinrichtungen, klären dort über das so angeblich kryptische „LGBTI*“ auf und
versuchen, Begegnungen zu erschaffen, Verständnis füreinander zu erzeugen. Und wenn ich in jüngere Klassen gehe, merken wir, dass bei beleidigenden Kommentaren andere Mitschüler:innen eingreifen und ein Statement setzen. Diese Generation hört hin, sieht nicht weg und sagt aktiv etwas, wenn sie Ungerechtigkeit erkennt. Das ist eine großartige Entwicklung, die wir weiter vorantreiben wollen.
dibo: Wie man hört, stehen manche Parteien Ihrer Sache grundsätzlich abwehrend gegenüber.
Stimmt das?
Vera: Ja, dass stimmt und ich kann mir interessantere Gesprächspartner:innen als Gauland oder Weigel vorstellen. Die demokratischen Parteien sind allerdings durchweg für Vielfalt und Akzeptanz, vielleicht nur in unterschiedlicher Ausgestaltung. Und genau an dieser Ausgestaltung arbeitet die Ampelkoalition zu Gunsten der lange Zeit nicht gehörten Gesellschaftsgruppen. Wir freuen uns, über die vielen guten Gespräche, die wir immer wieder mit der Politik führen.
dibo: Welche behördliche Blockade würden Sie gerne morgen aufheben, wenn Sie könnten?
Vera: Ich persönlich würde mir wünschen mehr als eine Person heiraten zu dürfen, oder zumindest leichter, eine partnerschaftliche Bindung welche vom Gesetzt anerkannt wird eingehen zu können. Was aber für die meisten Menschen viel wichtiger ist, ist mehr Freiheit in der sexuellen Identität und die Abschaffung bürokratischer Hürden in diesem Bereich. Es darf kein Privileg sein, sich Termine und Wege zum psychologischen Gutachten leisten zu können, geschweige denn von den Kosten für die Personenstandsänderung allgemein. Ich will dass das endlich kostenfrei wird.
dibo: Bitte richten Sie ja einen kurzen Appell an alle queeren Menschen am Niederrhein - und an alle Anderen!
Vera: Mein Apell: Seid laut und bunt und wunderbar. Schaut nicht weg, wenn etwas passiert, was ihr nicht gut findet, werdet aktiv und wehrt Euch, oder schützt Andere, die dazu gerade nicht in der Lage sind. Habt vertrauen in Euer Gefühl, denn es ist echt und richtig so. Und lernt einander zuzuhören, anzunehmen, was gesagt oder erbeten wird, seien es neue Namen, oder geänderte Pronomen. Die Welt wäre so viel besser, wenn alle nicht immer so ernst und verkrampft auf dem „das war schon immer so“ beharren würden.
Und komm vorbei, im together Dinslaken, Kleve, Krefeld, Mülheim an der Ruhr, Essen und
Gelsenkirchen. Du bist nämlich nicht alleine!
Was ist überhaupt "queer"?
Das Adjektiv queer ['kwɪə(ɹ)] ist eine anglizistische Sammelbezeichnung für Personen, Handlungen oder Dinge, die durch den Ausdruck ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eine Abgrenzung zur gesellschaftlichen Cisgender-Heteronormativität bewirken. Früher wurde queer im Sinne von „sonderbar, eigenartig, suspekt“ verwendet, um Homosexuelle abzuwerten. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird queer als ins Positive gewendete Selbstbezeichnung vor allem nicht-heterosexueller Menschen gebraucht. (Quelle: )
Christopher Street Day (CSD)
Der Christopher Street Day (CSD) ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Intersexuellen. An diesem Tag wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstriert. Die größten Umzüge anlässlich des CSD im deutschsprachigen Raum finden in Berlin und Köln statt.
Die Bezeichnung Christopher Street Day ist nur in Deutschland, Teilen Österreichs und der Schweiz üblich. In englischsprachigen und romanischen Ländern wird meist von Gay Pride und Pride Parades gesprochen, während in slawischsprachigen Ländern die Gedenktage für LGBTI-Menschen meist Gleichheitsparaden genannt werden, wie beispielsweise die Parada Równości in Polen.
(Quelle: wikipedia)
Kontakt
Vera van Oyen
Kulturpädagogin & -managerin B.A.
Jugendmitarbeiter:in am Niederrhein
Ich bin 29 Jahre alt, arbeite seit 2 Jahren beim SVLS e.V. (Trägerverien vom together) und arbeite in
meiner Freizeit an Bastelprojekten und meinem Haus in Weeze.
Autor:Dirk Bohlen aus Hamminkeln |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.