Satire zur Fußball WM2010: Pelle und ich
Pelle und ich saßen auf der Wiese in der Nähe unseres Hauses. Es war ein sonniger Tag am Wochenende und wir plauderten wie gewohnt über die Ereignisse der zu Ende gehenden Woche. Pelle begleitet mich schon seit ich denken kann, ist immer für mich da und versteht mich wie kein anderer auf der Welt. Er sieht zwar etwas alt und abgenutzt aus, aber das macht ihn in meinen Augen nicht wertloser. Pelle ist ein Ball, nein, mehr noch. Er ist mein Ball und zugleich mein bester Freund.
Ich hatte ihm stets ein Gesicht aufgemalt. Dafür musste ich einen außergewöhnlich teuren, aber dafür wasserfesten Stift kaufen. Dank des Stiftes hielt so ein Pelle-Gesicht ca. einen Monat. Wenn es vollkommen verblasst war, malte ich einfach ein neues an dieselbe Stelle. Manchmal variierte der Gesichtsausdruck dabei. Wenn Pelle und ich z.B. Streit hatten, malte ich ihm böse dreinschauende buschige Augenbrauen.
Als Fußball missbrauchte ich Pelle nie. Es ist nicht gerade die feine Art, wenn man seine besten Freunde während eines Gespräches gegen die Schläfe tritt. Von daher belasse ich es dabei, ihn vor mich hinzulegen, das Gesicht in meine Richtung zu drehen und auf ihn einzureden. Pelle ist ein sehr stiller Typ und meist der Zuhörer. Wenn ich drüber nachdenke, muss ich sagen, dass er eigentlich noch nie Widerworte gegeben hat, was ihn zu einem höchst sympathischen Gesprächspartner macht.
Wir kennen keine Tabuthemen. Pelles ruhiger Art ist es zu verdanken, dass ich auch mal mein Herz ausschütten kann oder über meine Probleme reden darf. Die Jungs in der Schule reden immer nur von ihren Erfolgen, aber keiner will seine Schwächen zugeben. Ob sie auch einen Freund wie ich haben? Bei dem sie zugeben können, dass sie Angst vor der Dunkelheit haben?
Pelle lacht auch über alle meine Witze. Aber ich muss zugeben, dass ihm keine Wahl bleibt, da ich ihm meist ein Lächeln male.
Seinen Namen hat er übrigens von diesem weltbekannten Spieler namens Pele. Ich weiss, er heisst ein wenig anders, aber ich bin nicht so stark in der Schule gewesen. Jahrelang dachte ich, der würde Pelle heissen, da ich seinen Namen nur aus Panini-Alben oder dem Sportteil kannte. Aber mein Freund nimmt es mir nicht übel. Ich glaube sogar, ihm gefällt sein Name. So fühlt er sich ein Stückchen einzigartiger.
Pelle fragte mich schon oft, warum ich mir keine „richtigen“ Freunde suchen würde. Jungs in meinem Alter, vielleicht jemanden aus der Schulklasse. Er war sogar der Überzeugung, dass Mädchen auch durchaus ok seien, was ich zu dem Zeitpunkt für total hirnrissig hielt. Ich antwortete, dass ich mir nicht ganz sicher sei. Die anderen Jungs waren mir total fremd. Einige schienen ja ganz nett zu sein, doch ich glaubte, dass sie nichts mit mir zu tun haben wollten. Pelle meinte nur, dass ich mehr an mich glauben müsse, auch die anderen Jungs kochten nur mit Wasser. Kochen nur mit Wasser. Wieder einer dieser altklugen Pelle-Sprüche, die er manchmal vom Stapel ließ. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, stimmte jedoch zu, weil ich lieber wieder auf die Mädchen zurückkommen wollte.
Eines Tages kamen Martin und Sven, zwei Jungen aus der Nachbarschaft in meinem Alter, zu uns auf die Wiese. Ich mochte die beiden nicht, da sie stets auf Ärger aus waren und mich auch ständig aufzogen. „Redest Du wieder mit Deinem Ball, Arschloch?“ oder die Steigerung „Deine Mutter redet mit Deinem Ball, Arschloch“ musste ich mir öfters anhören.
Doch dieses Mal war alles anders. Sie fragten mich ernsthaft, ob sie sich Pelle ausleihen könnten, um mit ihm zu spielen.
„Ihr könnt euch ja gerne dazusetzen und an unserem Dialog teilnehmen, aber zum Treten ist er nicht in der Stimmung.“ sagte ich.
„Nun hör sich einer das an. Das ist ein Fussball, du Vogel. Mit Fussbällen spielt man und führt kein literarisches Quartett.“
„Das ist kein Ball. Das ist Pelle. Schau doch hin, wie er Dich angrinst.“
„Du hast doch nen Schatten. Pass auf, wenn Du nicht der einzige mit nem Ball hier weit und breit wärst, würden wir Dich wie üblich verprügeln. Also rück besser den Ball raus, sonst gibt’s blaue Augen.“
In dem Moment hörte ich Pelle flüstern:
„Nun mach schon. Das klingt nach Spaß.“
Ich traute meinen Ohren kaum und starrte Pelle ungläubig an.
„Jaja, ich weiss. Frag nicht weiter und sag denen, dass Du dann aber mitspielen willst. Los, Kumpel!“
Da ich so verdutzt war, schlug ich den beiden tatsächlich vor, ob ich mitspielen dürfte. Sie stimmten knirschend zu und wenige Minuten später stand Sven im Tor. Elfmeterschiessen. Martin gegen mich.
Martin riss Pelle aus meinen Händen. Ich fühlte mich unwohl, weil ich mir überrumpelt vorkam, doch Pelle grinste mir wie gewohnt vertrauenserweckend zu. Das schenkte mir Sicherheit. Martin setzte Pelle lieblos auf den Rasen und ging ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Ich drehte mich weg, da ich nicht zusehen wollte, wie er meinen besten Freund durch die Luft trat. Martins Tritt erzeugte ein dumpfes Geräusch, bei dem ich die Augen kurz zusammenkniff. „Toooor!“ brüllte Martin, ich drehte mich ungläubig um. Sven nahm Pelle an sich und rollte ihn mir zu. „Dann zeig‘ mal, was Du kannst“, spottete Martin und spuckte auf den Boden. Sven grinste mich blöde an, was mich schon ein wenig verunsicherte. Ich schaute Pelle kurz an, er grinste weiterhin, und flüsterte ihm zu: „Es tut mir leid, mein Freund.“ Da antwortete er, als ich gerade Anlauf nehmen wollte „Kein Problem, Kumpel. Denk‘ daran: Die kochen auch nur mit Wasser!“ Leicht irritiert ging ich drei Schritte zurück und blickte Richtung Tor. Kochen auch nur mit Wasser. Was meint Pelle eigentlich damit? Martin sagte noch „Los, mach, Du Loser“, da nahm ich Anlauf, holte aus und verfehlte Pelle. Ich trat ins Leere -und das mit solcher Wucht, dass ich ausrutschte und auf meinem Hintern landete. Direkt neben Pelle. Er grinste mich an. Kochen auch nur mit Wasser. Was für‘n Scheiß, dachte ich. Morgen kaufe ich mir einen Gameboy!
Autor:Oliver Peters aus Dinslaken |
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