Adventskalendergeschichte: Das Lächeln des Rentieres (Tor 18)
Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Fast so glücklich machend wie Schokolade, aber dafür kalorienarm.
24.12.2013 | 07:00 Uhr
Die Tage beginnen immer gleich für Gustav. Er liegt auf dem Rücken und starrt an die Decke. Die linke Seite des Doppelbettes ist frei, dort hatte seine Frau gelegen. Es sind bereits viele Jahre seit ihrem Tod vergangen, doch er hält alte Gewohnheiten bei.
Auch wenn sich der Tag bisher kaum von den anderen der letzten Jahre unterscheidet, so wird es der letzte dieser Art sein. Gustav möchte so nicht mehr erwachen. In einer Routine der Eintönigkeit, einsam und entbehrlich. Zuletzt fühlte er sich gar wie eine Belastung. Wenn beispielsweise hastige Menschen hinter ihm in einer beliebigen Warteschlange genervt seufzen, weil er nicht mehr so schnell kann – und es auch einfach nicht mehr nötig hat. Oft fragt er sich, wo die Leute nur so eilig hin wollen. Werden sie erwartet? Oder brauchen sie den Stress, diese nie enden wollende Anspannung? Vielleicht gaukelt man sich so Lebendigkeit vor.
Wobei sich Gustav trotz der Kritik im Klaren ist, dass genau diese Motivation ihm abhanden gekommen ist. Der Alltag hat ihn mürbe gemacht, um nicht zu sagen müde. Viele junge Leute spotten über ältere Bürger, die laut gängiger Vorurteile absichtlich die Wartezimmer der Arztpraxen belegen. Gustav macht das auch. Er besucht recht häufig seinen Hausarzt, jedoch nicht aus Langeweile oder weil er gar schwerkrank ist. Im Gegenteil, manchmal wünschte er sich, der Arzt würde etwas finden. Etwas, dass dem Treiben vorzeitig ein Ende setzt.
Warteschleife, Warteschlange, Wartezimmer. Wie viel Zeit verbringt der Mensch mit Warten. Gustav muss an „Warten auf Godot“ denken und schmunzeln. Eigentlich hat auch er viel zu lange gewartet, bis er zum Handeln bereit war. Insgeheim hoffte er stets, dass ihm jemand die Entscheidung abnehmen würde. Doch niemand hätte ihm den Schlaftablettencocktail überreicht und auf sein Wohl angestoßen. Diesen letzten Drink wird er selber zubereiten müssen.
One for my Baby ... and one more for the road.
Gustav muss an seinen Sohn Konstantin denken. Wie er von seinem Tod erfahren hätte. Wer hätte Gustav gefunden? Gar Konstantin selbst? Dieser Gedanke gefällt ihm gar nicht. Er möchte nicht, dass sein Sohn ihn so auffindet. Konstantin könnte sich sein Leben lang Vorwürfe machen, dass er sich nicht genügend gekümmert hätte. Doch das ist nicht Gustavs Absicht. Er will einfach mehr diesen Alltag ertragen müssen, doch dachte nicht an die Folgen so einer Tat.
Er wirft die Bettdecke zur Seite, steht langsam auf und macht sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Ohne zu zögern nimmt er sich die Schlaftabletten und geht damit ins Badezimmer. Gustav öffnet zuerst das Tablettenfläschchen und dann den Toilettendeckel; er schüttet alle Tabletten hinein und betätigt direkt die Spülung.
Zurück im Wohnzimmer stellt er die Flasche Scotch und den Adventskranz auf den Esstisch. Dort möchte er später mit seinem Sohn anstoßen. Auf bessere Zeiten.
Es gibt noch eine weitere Form des Wartens, an die Gustav denken muss. Die Vorfreude. Genau diese empfindet er, wenn er an den heutigen Abend denkt. Die war ihm immer am liebsten, ein Garant für einen Grund zu Freude. Ein Happy End mit Ansage. Vielleicht war der Anruf seines Sohnes so eine Ansage.
Zufrieden geht er in die Küche, um sich an das Frühstück zu machen. Er bereitet die Kaffeemaschine vor, steckt zwei Toastscheiben in den Toaster und schüttet ein Glas Multivitaminsaft ein. Plötzlich hält er inne.
„Oh je. Ich brauch ein Geschenk.“
Gustav schaut auf die Uhr. Schaut so aus, als müsse er zurück in die Warteschlange.
Fortsetzung folgt.
Autor:Oliver Peters aus Dinslaken |
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