Zukunftsmusik
Ihr Weg zum Museum führte die junge Frau über die Fußgängerzone ihrer Heimatstadt Dinslaken. Die Spiegelfassaden der Geschäfte erzeugten einen weitflächigen Eindruck. Eugenias Blick fiel auf einen der mit Sonnenenergie fahrenden viersitzigen Einkaufsbegleiter. Jeder konnte sie benutzen. Nur den Zielpunkt eingeben und schon wurde man wie von Geisterhand durch die Straßen der Stadt kutschiert. Doch heute war ihr mehr nach Laufen. Als sie am Neutor vorbeiging, blickte sie kurz auf das imposante Einkaufszentrum, welches ihr immer wieder gut gefiel. Doch das musste sie heute im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen.
Eugenia hatte sich mit ihrer Urgroßmutter verabredet. Für ihr Alter war diese noch recht gut beieinander. Zwar waren ihre Gesprächsthemen überschaubar und so gut wie immer in der Vergangenheit angesiedelt, doch heute hatte die Rückschau einen wichtigen Grund. Im Heimatmuseum war das Thema der Ausstellung "Meine Stadt im Wandel der Zeit." Und wer hatte aus der vergangenen Zeit noch Unmengen an Bildern?
Klar, ihre Omili.
Also noch mal einen Schritt zugelegt und schon konnte sie ihre Urgroßmutter auf der Terrasse eines beliebten Cafés in die Arme schließen.
Die Freude war auf beiden Seiten groß. Doch bevor sie aufbrechen konnten, versuchte Eugenia ihre Urgroßmutter davon zu überzeugen, nicht mit herkömmlichem Geld zu bezahlen, sondern mit Karte und dem dazugehörenden biometrischen Iris- oder Fingerabdruck.
"So einen Schnickschnack hat es in meiner Jugend nicht gegeben."
Eugenia seufzte kaum merklich. "Omili, keiner zahlt heute mehr mit echtem Geld."
"Doch ich, und Elke und Sabine und Wolfgang und………….."
Bevor ihre Urgroßmutter alle in ihrem Alter aufzählen konnte, die noch mit herkömmlichem Geld bezahlten, hatte Eugenia die Rechnung schon mit ihrer Karte beglichen.
Auf dem Weg zum Museum, den sie in einem der selbst fahrenden Wägelchen zurücklegten, kamen sie an dem Gebäude der Lokalzeitung vorbei.
"Zu meiner Zeit habe ich als Bürgerreporterin dort mitgeschrieben", sagte ihre Omili zum geschätzten tausendsten Mal.
"Ja Omili, ich weiß", erwiderte Eugenia zum ebenso vielten Mal.
Während der weiteren Fahrt suchte ihre Urgroßmutter schon mal vorsorglich in ihrer über dimensionalen Handtasche nach Kleingeld für den Eintrittspreis. Eugenia hatte eine Engelsgeduld, aber manchmal…
"Omili, lass mal stecken. Ich bezahle."
"Wieder mit diesem komischen Technikgedöns? Irgendwann nimmt das noch mal ein bitteres Ende mit diesem unseligen Fortschritt", sagte ihre Omili mit düsterer Stimme.
"Hast du denn die Fotos auch mitgenommen?" fragte sie ihre Urgroßmutter listig, um sie abzulenken.
"Kind, was denkst du von mir. Selbstverständlich." Und schon kramte sie aus den Tiefen ihrer Handtasche die Bilder hervor.
Eugenia hatte die Fotos schon oft gesehen und die Erklärungen der Motive der jeweiligen Bilder kannte sie fast auswendig. Aber es gab keinen Ausweg. Das Glitzern in den Augen ihrer Urgroßmutter ließ sie nicht unberührt, und deshalb sah sie sich die Lieblingsbilder ihrer Omili noch einmal ergeben an.
"Schau, das ist am Neutor vor dem Bau des Einkaufszentrums."
Ein graues, leer stehendes Gebäude war auf dem Bild zu sehen.
"Und hier der Stadtpark." Wo heute bunt angeleuchtete Wasserspiele zum Verweilen einluden, plätscherte auf dem Foto ein einsamer Wasserstrahl dahin.
"Schön war’s trotzdem, auf eine andere Art", resümierte ihre Urgroßmutter.
Bevor Eugenia sich noch alle anderen Bilder angucken musste, schob sie ihre Omili sanft auf den Eingang des Museums zu.
Nach Abgabe der Fotos an den hoch erfreuten Museumsleiter, und einer Stunde Führung durch die Ausstellung, gingen beide sichtlich zufrieden Richtung Stadtpark.
Irisierende Farben spiegelten sich in den Fontänen des Wasserspiels. Eine anmutige Melodie aus den unter der Erde installierten Lautsprechern drang an ihr Ohr. Elektronisch betriebene Plastikenten, die täuschend echt aussahen, zogen ihre Bahnen durch das Wasser. Mehrere Steinskulpturen in Form von Wildgänsen und Schwänen verteilten sich auf dem Rasen. Ja, das ist meine Welt, dachte Eugenia. So schön die Vergangenheit auch gewesen sein mochte, heute war alles besser.
Als sie diesem Gedanken noch nachhing, erblickte sie ihre Urgroßmutter die erstaunlich schnell auf den kleinen See zuging, in dem eine der Enten regungslos am Rand des Wassers trieb. Eugenia ahnte, was ihre Omili vorhatte. Sie wollte die Ente retten, da sie nicht wusste, dass diese künstlich war. Sie lief ihr nach, doch noch im Laufen sah sie ihre Urgroßmutter stolpern und mit dem Kopf auf eine der Skulpturen fallen. Eugenia stieß einen Schrei aus. Doch den hörte ihre Omili schon nicht mehr.
Autor:Petra Tollkoetter aus Dinslaken |
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