Literatur Hotel Preis 2012: Nadia Kraam "Tante Klara"
Glauben Sie an Sternzeichen? Angeblich soll bezogen auf Charaktereigenschaften etwas Wahres dran sein. Ich gehöre dem Sternzeichen „Steinbock“ an und ärgere mich des Öfteren über meine Ungeduld, die angeblich typisch für Steinböcke sein soll.
Diese Ungeduld offenbart sich vornehmlich in Sachen Beziehung, was mich besonders ärgert, denn erfahrungsgemäß ist speziell in diesem Gebiet Geduld gefragt. Ich bin gerade mal seit wenigen Monaten mit meinem Partner glücklich zusammen, sehne mich aber nach mehr als nur einer Wochenendbeziehung.
Erfahrungsgemäß ist eine glückliche Beziehung langlebiger, wenn sie langsamer angegangen wird. Pragmatisch gesehen hat man viel mehr Zeit, über die gemeinsamen Erlebnisse zu reflektieren und aneinander aus einer gewissen Distanz heraus zu betrachten. Außerdem steigert ein gewisser Abstand die Sehnsucht nach dem Partner und man freut sich umso mehr auf das Wiedersehen.
Alles schön und gut! In Worten gefasst klingt das alles ja sooo vernünftig und sooo erwachsen, aber seit wann um alles in der Welt hat Liebe etwas mit Vernunft zu tun?
Inzwischen habe ich es mir angewöhnt, mit meiner Vernunft, die ich mittlerweile Tante Klara (wohlgemerkt vom Begriff „Klarsicht“ abgeleitet) getauft habe, stundenlange Streitgespräche zu führen.
Wenn mich meine Ungeduld wieder mal überwältigt, möchte ich nichts lieber tun, als meine Sachen zu packen und mit ihm zusammenzuziehen, um jede freie Minute mit ihm zu verbringen. Aber Tante Klara versperrt mir jedes Mal das „Tor der Unvernunft“ und droht mit harten seelischen Sanktionen, so dass ich meine Absicht jedes Mal unterdrücke. Sie versteht mich einfach nicht! Sie begreift es nicht, dass ich es nach zwei Jahren Singlehaushalt einfach satt habe, meine Abende alleine vor dem Fernseher zu verbringen.
Nicht, dass ich meine Zeit nicht sinnvoll durch Sport, Freunde, Lesen oder anderen Aktivitäten zu vertreiben weiß, aber sie erkennt nicht, dass es mir an etwas Essentiellem fehlt. Ich vermisse das Gefühl, trotz eigener Wohnung, zu Hause angekommen zu sein, ich vermisse das sehnsüchtige Gefühl der stinknormalen Alltäglichkeit mit meinem Partner!
Auch wenn ich Tante Klara zu erklären versuche, dass die Verliebtheitsphase, so schön sie auch sein mag, für mich gleichzeitig mit enormer Anstrengung verbunden ist, sehe ich sie vor meinem geistigen Auge verständnislos den Kopf schütteln. Meistens ignoriere ich ihren zynischen körperlichen Ausdruck. Emphatisch war sie ja noch nie und deshalb illustriere ich ihr in aller Breite, dass die Verliebtheitsphase eine Phase des Werbens und des Umworben Werdens ist, in der man sich von seiner Zuckerseite zeigt, nur damit eine positive Bestätigung des eigenen Selbstwertes erfüllt wird. In dieser befristeten, hochgradig sensiblen Zeitspanne, setzt man sich doch nur unter Druck, weil man davon ausgeht, dass der Partner jedes Wort auf die Waagschale wirft. Hinzu kommt, dass diese intensive Stimulation aller Sinne doch kaum auszuhalten ist! Ich merke wie ich mich in Rage rede, aber nach wie vor stoße ich bei „Tantchen“ auf taube Ohren.
Auch wenn Sie mich jetzt für gestört halten, würde ich am liebsten diesen, im Großen und Ganzen schön, anstrengenden Zustand des Verliebtseins überspringen, ganz ehrlich!
Mit Mitte dreißig, von zahlreichen Beziehungserfahrungen „gezeichnet“, auch wenn sie alle lehrreich und mehr oder weniger romantisch waren, möchte ich endlich über diese anfängliche Phase hinaus und endlich das Gefühl des Angekommenseins erleben! Ich rede hier nicht von äußerlichen Dingen wie „Trauschein“, sondern von Werten. Vom Gefühl des Miteinanderlebens und Altwerdens. Ich spreche auch von Alltagsstress, von Auseinandersetzungen, von Nöten und Sorgen und von gemeinsamer, anstrengender Konfliktbewältigung. Spätestens nach diesen Zeilen halten Sie mich für völlig übergeschnappt, weil jeder normale Mensch, diese Zeit so lange wie möglich hinauszuzögern versucht, aber was soll’s, so bin ich nun mal!
Tatsache ist, dass ich nicht mehr träumen will, ich will mir keine Illusionen machen, die nie in dieser Form auftreten werden. Ich will nicht mehr warten, geduldig und ach so vernünftig sein und andere glückliche Paare darum beneiden, wenn sie ihr zehnjähriges Beziehungsjubiläum feiern!
Ich möchte gemeinsam mit meinem Partner die Entscheidung treffen, wann die Zeit reif ist und mich dabei von allen äußeren Zwängen befreien, die mir vorschreiben, wann es „normal“ ist, mit dem Liebsten ein gemeinsames Nest einzurichten und zukünftige Pläne zu schmieden!
Verflixt noch mal, ich bin erfahren genug, lebe hier und heute und will mein Glück jetzt genießen! Was ist falsch daran, auf das Bauchgefühl zu hören und etwas zu wagen, wofür es sowieso keine Garantie gibt?
Irgendwann, so hoffe ich insgeheim, wird Tante Klara es leid sein, gegen meine Ungeduld anzukämpfen und dann, ja dann ist meine Zeit gekommen, endlich die Koffer zu packen und mit meinem Liebsten zusammenzuziehen!
Es war das Klingeln an der Tür, was mich, zugegeben aus dem einseitigen Diskurs mit Tante Klara, herausriss.
Als ich die Tür öffnete, stand mein Liebster mit zwei gepackten Koffern vor der Tür. Selbst Tante Klara wurde ganz fahl im Gesicht!
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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