Literatur Hotel Preis 2012: "Mord und Totschlag" von Bettina Röttger

Bettina Röttger.

Hmm: Schwingen in meinem Netz. So sehr mich dieses Schwingen im ersten Moment auch immer wieder überrascht, sofort stellen sich alle Funktionen der erfolgreichen Jägerin in mir ein. Meine Sinne schärfen sich schlagartig, meine Augen justieren die Beute. Ich nähere mich. Ich bin hungrig. Will meine Klauen in sie versenken, sie umgarnen, aufsaugen. Jeder meiner Schritte ist überlegt. Sie zappelt, war zu unbedarft. Was geht in ihr vor. Ist sie gespannt? Verängstigt sie die plötzliche Falle? Breitet sich langsam Unbehagen in ihr aus? In ihr, die eben noch so unbedarft hereingeflogen kam und keck ihres Weges ging. Kommt schon die dunkle Ahnung in ihr auf, dass dies nicht nur ein Fehltritt war? In mir wächst schaurig schöne Erregung. Bis.

Bis schlagartig Hitchcocks Musik in die Dusche einfällt. Ein schriller Mädchenschrei hallt zwischen den Fliesen, fährt mir in Mark und Beine. Ich taumele, falle. Falle tief.

Aber ich wäre nicht die, die ich bin, würde ich mich nicht instinktiv fangen. Der Schrei vibriert in mir, klingt in Wellen aus. Und schon beginne ich tanzend mich erneut zu konzentrieren. Lässig schwinge ich mich auf: zu ihr. Ich orientiere mich schnell. Es wird nicht mehr lange dauern. Vorfreude – da ist sie wieder. Mit jeder weiteren Bewegung auf sie zu. Gleich wird sie mich kennen lernen. Gleich mir erliegen. Gleich mein sein. Sie zuckt! Hmm…..!

Was ist das? Sie zuckt, ja! Aber auch ich zucke, ich verjage mich erneut: Ohrenbetäubender Lärm hallt im Raum. Auf Knopfdruck. Stimmen:

„Wo?“, klingt es dunkel nach einem Vorhaben. „Da, Papa!“ Und es ist besiegelt.

Das Netz unter uns, unter ihr und mir, vibriert. Wind kommt auf. Nein. Nein, das ist gar kein Wind! Sog. Das ist Sog! Ich kann mich nicht mehr halten. Panik erfasst mich. Meine Augen taumeln. Alle meine Augen taumeln.

Ausweglosigkeit, so also fühlt sie sich an. Mein Herz wird eng. Ein schwarzer Schlund, im Durchmesser kaum größer als ich, dicht vor mir. Schlagartig packt mich übermächtige Anziehungskraft, schluckt mich hinein in totale Dunkelheit. Nur der Lärm bleibt, nichts als Lärm um mich herum. Mein Atem wird flacher. Benommen nehme ich nur Enge wahr.

Dann, mit einem Male: Stille. Aber sie ist nicht angenehm, diese Stille. Sie gruselt mich: Sie ist nicht nur, sie kriecht in mich hinein. Mir schwinden die Sinne.

Neben mir ein Zappeln, ein Zucken. Sie! Auch sie ist hier! Reflexartig versenke ich meine Klauen in sie. Ohne Not. Zu schwach bin ich schon mein Werk zu beenden, meine erlegte Beute zu verspeisen. Die staubige Stille fließt unaufhaltsam in meine Adern.

Wie durch wattierte Schallwände hindurch nehme ich eine traurige, perplexe Stimme wahr:

„Ist sie tot, Papa?“

Autor:

Bettina Röttger aus Dinslaken

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