Literatur Hotel Preis 2012: Ingo Knosowski "Hoffnung kalter Finger"
Irgendjemand musste Horst Wapelhorst verraten haben.
Wer?
Mutter? Vater?
Egal.
Auf jeden Fall saß er jetzt in einer einen Quadratmeter großen, blassgelben, nach ungewaschenen Kollegen riechenden - dafür aber freistehenden - Kabine mit einem kleinen Loch und einer Abrissrolle Pappkarten vor sich und erteilte Parkerlaubnisse. Und das hatte Horst Wapelhorst sich so nicht vorgestellt. Als er sich für die Kunst und gegen das Friseurhandwerk entschieden hatte. So nicht. Aber es ließ sich wahrscheinlich nichts machen.
Den ganzen Tag über hatte es nach Regen gerochen, doch nichts war geschehen. Kein Tropfen. Trotzdem kaum Kundschaft.
Wapelhorst hatte seinen Träumen nachgehangen, den Phantasien von wilden Ritten über bleiche Steppen, er frei und irgendwie nutzlos. Nutzlos für all diejenigen, die Profit aus seiner Existenz schlagen wollten. Wie der Parkplatzbesitzer. Oder Papa. Und Mama natürlich. Aber darüber wollte Wapelhorst lieber nicht nachdenken.
Er schaute auf die einzelnen Tropfen Kondenswasser, die langsam an den beschlagenen Scheiben um ihn herum herunter liefen - wie Fett auf einer rauen und nur leicht schiefen Ebene.
Und dann kam sie.
Schob das Ticket in die Durchreiche. Berührte leicht seine schweißige Hand. Sprach. Was, war Wapelhorst gleich. Sie war das Mädchen.
Das blonde, kurzhaarige Mädchen von damals. Horst Wapelhorst musste sich bücken auf seinem Quadratmeter, um durch das Loch zu stieren, der billige Bürostuhl mit den schwarzen Plastikrollen schlug hinter ihm an die Blechwand. Er wusste, dass er lächelte. Sie hatte heute Morgen für den ganzen Tag bezahlt und jetzt, zum Mittag – was für eine herrliche Fügung; wäre sie abends gekommen, er hätte vielleicht schon Feierabend gehabt. Deus lo vult.
Sie war es. Das Mädchen, mit dem er all die Abenteuer erlebt hatte. Bei dem ein leichtes Nicken reichte, um zu sprechen und zu verstehen. Das wunderschöne, frische Mädchen, dessen Lachen in seinem Leben nachhallte - wie ein ewiges Versprechen auf eine Zukunft in ekstatischem Glück und beruhigter Sicherheit. Das Mädchen, von dem er immer dachte, es sei ihm versprochen, weil er es kannte.
Schon als Kind, als Jungen, als jungem Mann und auch als Erwachsenem war sie ihm des Nachts erschienen, in Zeiten des Erwachens oder des Wieder-Wegschlummerns, wenn er sich noch einmal auf die Reise machte, in die Wälder, die fremden, unwirklichen Wälder. Sie war da, um ihn zu pflegen, wenn er verletzt war: nach einem dieser großen Kämpfe. Sie lachten gemeinsam nach all den heroischen Siegen, die sie in seinen Träumen errungen hatten – und nach den Flügen durch die Welt, nur einen Meter über einer harten, sie fliehenden Erde, unfehlbar und keinem Gesetz unterworfen. Sie war das Mädchen. Aber anscheinend wusste Sie das nicht. Sie nahm ihn nicht wahr – wie ging das? Wie konnte sie diesen Moment nicht als das begreifen, was er war: die Erfüllung allen Sehnens. Auch des Ihren, dessen war sich Wapelhorst so bewusst wie er noch nie in seinem Leben etwas klar hatte.
Als sie langsam zu ihrem Wagen ging, war Wapelhorst bereit, ihr die Augen zu öffnen. Er war jetzt 36 Jahre alt. Die Liebe seines Lebens und dann so einfach weg? So nicht! Das Mädchen, dass ihm von höheren Mächten anvertraut, angetraut – oder sogar eingebläut worden war? Versprochen. Wenn nicht jetzt, dachte er. Das war aber auch schon alles. Diese Entschlossenheit war ihm fremd. Egal. Und Denken war jetzt auch irgendwie zu viel. Er griff zum Türknopf. Versuchte ihn zu drehen, um die Tür zu öffnen. Das Scheißding klemmte. Wapelhorst hörte seine pfeifende Atmung, ein cholerisches Gniihihihi, rüttelte an der Blechtür wie ein liebeskranker Silberrücken - und begann, mit dem Knie kleine Beulen in das dünne Metall zu drücken.
In seiner Verzweiflung und sehbehindert durch die milchigen Glasscheiben, bemerkte er nicht, wie sich die Frau mit den kurzen blonden Haaren umwandte, einen amüsierten Blick auf das wackelnde und rumpelnde Parkplatzwächterbehältnis warf; er hätte ihr Lächeln sehen können - und es hätte ihm wahrscheinlich nicht gefallen. Wenn er bei Sinnen gewesen wäre.
Wapelhorst weinte stattdessen. Als er der Tür einen Kopfstoß gab, öffnete die sich endlich gnädig. Das Blut, das Horst Wapelhorst danach von seiner Stirn in die Augen lief und den Parkplatz in ein rotschwammiges Lavafeld verwandelte, störte ihn nicht. Nur mit dem Herzen sieht man wirklich, sei mutig, Wapelhorst, lauf, Horst, lauf. Die Frau schwebte die letzten Meter zu einem Hochdachkombi – Wapelhorst hastete hinterher und schrie nach ihr. Rief: Bitte. Rief: Bleiben Sie stehen. Bitte. Bitte.
Und sie blieb stehen. Drehte sich um und Wapelhorst dachte: ich habe Dich tausendmal gesehen, Schönheit, ich weiß um Dich. Wapelhorst öffnete den Mund, um ihr alles zu sagen, was sie doch bestimmt tief in ihrem Innersten schon längst wusste. Aber sie kam ihm zuvor.
Wenn sie mich weiter belästigen, rufe ich die Polizei, sagte sie etwas schrill.
Wapelhorst hörte nicht zu, kam näher. Blieb stehen. Vor ihr.
Sie hob ihr Knie schnell und trocken und in Wapelhorsts Hoden. Der knickte weg, ohne Luft, sackte auf den Boden, wie hingerichtet.
Sie ging zu ihrem Auto, öffnete die Tür, drehte den Schlüssel, fuhr an, blieb wieder stehen, ließ die Seitenscheibe hinunter – und rief: zieh die Schranke hoch, du Penner.
Es hatte endlich zu regnen begonnen.
Wapelhorst richtete sich auf, schwankte zu seinem Parkplatzwächter-Häuschen, drückte den Knopf für die Schranke und setzte sich. HOFFNUNG, schrieb er mit kaltem Finger auf die beschlagene Scheibe. Es waren allerdings kaum Leute auf den Straßen, die Spaß an der Entzifferung wirrer Spiegelschriften haben. Bei dem Wetter.
Ingo Knosowski (Jahrgang 1967) ist Reporter von Beruf, lebt in Bochum und
arbeitet für verschiedene Radiosender, verheiratet, drei Kinder.
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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