Literatur-Hotel-Preis 2011: Claudia Paswark "Tollpatsch"

Claudia Paswark.
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Heute ist ein guter Tag zum Ablästern. Mein Opfer: Freddy! Ich habe den Namen unseres Katers extra geändert, damit er sich auch in Zukunft noch auf die Straße trauen kann, ohne dass jemand sagt: "Ist das nicht der X, der Tollpatsch aus der Geschichte von Claudia Paswark?" Da Autoren erfahrungsgemäß einen zarten Hang zu Übertreibungen haben, halte ich es auch aus diesem Grund für angemessen, so zu tun, als schreibe ich von einem fiktiven Tier.
Sie müssen wissen, Freddy ist ein kastrierter Kater von sechseinhalb Kilo Lebendgewicht, also eher weniger geschmeidig. Trotzdem versucht er immer wieder, elegant zu wirken.
Kraftvoll – dynamisch springt er auf die Anrichte unseres Wohnzimmerschrankes und genießt stolz die neu gewonnene Aussicht. Dass er dabei bereits eine kleine Glasvase und eine filigrane Kerze umgeworfen hat, scheint er nicht zu bemerken. Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, setzt er sich auf die Trockenblumen und schaut mich Beifall heischend an.
In diesem Moment wünsche ich, ich hätte ihn "Patsch" genannt. Dann könnte ich ihn gleichzeitig loben und ihm trotzdem sagen, was ich von ihm halte: "Das ist ja super, toll, Patsch!" Stattdessen kränke ich seine zarte Katerseele mit den barschen Worten: "Runter, Freddy, aber sofort!"
Die entsprechende Geste meines ausgestreckten Fingers macht die Erniedrigung komplett.

Wieder auf dem Boden der Tatsachen beschließt Freddy, mich durch Nichtachtung zu strafen. Erhobenen Hauptes schreitet er an mir vorbei zum Sofa, wo er sich mit einem kühnen Sprung zum Schlafen niederlegt, wobei er sich wie eine Schnecke einrollt. Wenig später geht ihn alles nichts mehr an...
Wenn ich meinen Kater so betrachte, wird mir immer ganz warm ums Herz, und ich denke, er hat jetzt etwas von kleinen Kindern: Schlafend sind sie ja so süß!
Neulich abends saß ich vor dem Fernseher und war fasziniert von den bunten Bildern, als Freddy durch die geöffnete Terrassentür stolzierte. Erst setzte er sich neben mich – natürlich auf die Zeitung – und ließ sich kraulen. Dann fand er das Fernsehprogramm offensichtlich eher einschläfernd und verschwand galant unter einem Tuch, das ich über den kleinen Wohnzimmertisch gebreitet hatte. Dieses besagte Stück Stoff ist bodenlang, damit es das Chaos verbirgt, das ich unter dem Tisch vergraben habe.

Das sich lustig bewegende Tuch lenkte mich für einen Moment von den Fernsehbildern ab. Ich konnte es nicht lassen, meinen Kater durch den Stoff zu pieken, woraufhin er mit den Tatzen reagierte. Durch diese eher ruckartigen Bewegungen fiel ein Bilderrahmen um, den ich gerade erst auf den Tisch gestellt hatte. Was jetzt geschah, sah urkomisch aus. Wussten Sie eigentlich, wie schreckhaft Katzen sind? Das kleinste unerwartete Geräusch, und sie sind weg. So auch in diesem Fall. Nur, dass man keinen Kater sehen konnte. Der hatte sich offensichtlich bei seiner hektischen Aktion nicht aus dem Tuch
befreien können, sodass jetzt ein schwarz-rotes Stoffgeschoss durch die geöffnete Wohnzimmertür Richtung Haustür vorbeisauste, eine lange Schleppe hinter sich herziehend. Wie er es geschafft hat, vor der verschlossenen Tür zum Halten zu kommen, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht hat ihn ja mein schallendes Gelächter ausgebremst.

Genüsslich langsam ging ich dorthin, wo der Kater stecken musste. Die dicke Beule, die sich unruhig hin und her bewegte, sah zu komisch aus. Als er versuchte, trotz Tuch an der Tür zu kratzen, wegen des rutschigen Stoffes aber wenig erfolgreich war, hatte ich ein Einsehen. Vorsichtig zog ich, bis Freddys Kopf zum Vorschein kam. Ausgesprochen hübsch, der Kater mit langem Kleid.
Dafür schien er jetzt aber keinen Sinn zu haben, sondern schaute mich nur flehendlich an. Na gut, man ist ja Tierfreund. Nachdem ich die Haustür geöffnet hatte, galoppierte der Kater so schnell davon, dass er meine glucksenden Worte bestimmt nicht mehr gehört hat: "Das war super, toll, Patsch!"

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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