Literatur Hotel Preis 2011 - Bettian Röttgen "Brandgefährlich"
Traurig schien sie. Ja, Trauer war es eigentlich, das Geheimnis in diesem reglosen Gesicht, eingewoben in diesen faltigen Grauschleier ihrer Haut.
Einen zeitlupenartigen Moment quoll aus ihrem Mund grauer Qualm und tauchte ihre Nase in Nebel, Farbton in Farbton. Nur die kränklichen, rötlichen Knötchen darauf gingen nicht darin unter. Nur die kleinen, fast rundlichen, tief innen liegenden Augen, behielten auch jetzt ihr recht intensives Feuer.
So, so, antwortete sie und dabei kam etwas Bewegung in ihren Schaukelstuhl, die wollene Decke verzog sich etwas. Ihre schmale, in längliche Falten gelegte kräftige Hand mit den erhabenen Adern zog etwas daran.
Ja, dachte ich. Für mehr gab mir ihr Konterfei keine Orientierung, war da kein Entgegenkommen.
Ich saß da. Mit meinen ausgesprochenen Sätzen, mit ihrem Soso.
Erledigt, war ein Gedanke, doch mich fesselte ein erwartungsvolles Gefühl an meinen harten Stuhl. Ein bekanntes Gefühl. Ich erwarte tatsächlich noch immer etwas von dieser eingefallenen Frau. Und immer wieder dasselbe. Absolution ?
Vielleicht soll es sie sein, die das Zuzweitsein beendet, vielleicht soll sie die Ketten lösen, die mich auf meinem unbequemen Stuhl halten. Nur „Ja, dann tschüss“ zu sagen, ihrem Körper dann zum Abschied etwas näher zu kommen, ihn ziellos andeutungsweise zu drücken, so vorzugehen würde ein ungelöstes Gefühl in mir hinterlassen. Vielleicht warte ich auf eine Bemerkung, die mir das Recht gibt mich abzuwenden. Warte ich darauf ?
Ein leichter, kühler Luftzug streift meine Hände, meine Wangen. Ein Impuls lässt mich die Hände auf meine Oberschenkel schlagen und in die Aufrechte stützen. Jetzt richtet sich das Blau ihrer Augen auf meinen Körper; als mein Kopf sich hebt, hebe ich ihren Blick mit mir hinauf.
Du gehst ?, fragt sie.
Ja, entschuldige, aber ich habe noch einen Termin.
Schaue ich auf die Uhr ? Nein, wohl nicht, denn ich sehe das Kraut in der Ritze zwischen den Holzbohlen.
Ich komme mal in der nächsten Woche vorbei und kümmere mich um das Unkraut. Vielleicht bringe ich Simon mit. Ok!?
Ich beuge mich zu ihr hinunter. Und da überrascht sie mich. Behutsam, aber deutlich nimmt sie mein Gesicht in beide Hände. Die Zigarette, denke ich, wo ist die Zigarette? Sie wird ein Loch in die Decke brennen….ihre Augen fangen beharrlich meine ein, die sich entziehen wollen wie ein Hengst dem Reiter. Etwas fester wird ihre Berührung, etwas ruhiger wird mein Blick, so nah. Die Zigarette….wenn sie die Decke in Flammen setzt….Ihre Daumen streicheln über meine Wangen, Wärme steigt in ihren Augen auf. Mein Junge, schwach und liebevoll hüllt mich diese Stimme ein,…und bei mir immer noch der Gedanke an die Zigarette, fast ärgert es mich, ausgerechnet jetzt, wie soll ich mich einlassen….und doch bin ich mit der nächsten Berührung, der zärtlichen Hand, die sich erneut auf meine Wange legt, und doch wäre ich ganz ihr Sohn…als meine Hände ihre greifen, als ich ihre Hände zurück in ihren Schoß lege.
Es wird alles gut, Mama, mach Dir keine Sorgen. Mein Blick kontrolliert die Frau, die Decke, den Boden nach der Zigarette. Weg ! Hm !
Ich geh dann jetzt Mama, sage ich, aber wie als wenn sie sich wieder in ihr unsichtbares Trauerhaus zurückgezogen hätte, nickt sie nur noch kaum merklich.
Die Hände in ihrem Schoß, denke ich noch, als ich mich die Stufen der Veranda seitlich hinunterbewege, das passt nicht.
Fluchtgedanken bestimmen mich. Meine Schritte Richtung Auto werden schneller. Etwas Räudiges hat mein Abgang. Ein geschundener Köter setzt sich ans Steuer.
Weg! Weg hier. Der Motor bäumt sich auf, als ich Gas gebe. Sehr gut, findet mein männliches Ego, aber jetzt nicht übertreiben, etwas zurückschalten. Die Reifen drehen leicht durch.
Nächste Woche komme ich wieder. Etwas Normalität wird auch Simon nach der Trennung gut tun. Wir zu zweit bei der Oma. Das geht. Zu tun ist genug, denke ich mit einem letzten Blick, einem Nicken ins Leere zum Abschied, in diesem immer heruntergekommeneren Haus. Mit dem Selbstmitleid kehrt meine Rolle wieder.
Ich drehe das Radio an. Nachrichten. Wirtschaftskrise. Der Vertragsabschluss gestern war haarig. Fast hätten wir es nicht geschafft. Brüderich, ein neuer Kollege, hat eine gute Figur gemacht. Ohne ihn wär.s schwierig geworden. Ich meine das auch in Rüdigers Blick gesehen zu haben.
Zwischen die Worte des Nachrichtensprechers und meine Erinnerungen an die gestrige Konferenz drängelt sich der Klingelton des Handys. Ich schalte die Freisprechanlage ein. Meik, höre ich die bekannte Stimme. Sachlich, forsch. Ganz der Unternehmer.
Rüdiger, antworte ich. Immer auf dieselbe Art. Überrascht und doch damit rechnend. Was gibt.s ?
Stör ich, vergewissert er sich kurz meiner Aufmerksamkeit. Nein will er hören.
Zu gestern, Meik, ich habe Milborn hier sitzen. Es gibt noch 2, 3 Aspekte, die geklärt werden sollten. Ich denke, eine Formalität. Kannst Du in mein Büro kommen ?
Ich schaue auf die Uhr, diesmal treffe ich sie.
In einer halben Stunde ? antworte ich.
Wunderbar, höre ich Rüdiger antworten, der sicher auch nicht mit einer anderen Antwort gerechnet hat. Dann bis gleich.
Ende des Gesprächs. Selbst mein Kopf schaltet kurz aus.
Mit dem Lied kehre ich bewusst in den Straßenverkehr zurück. Ich schalte das Handy ganz ab.
Unser Lied, spüre ich, während Beine unter Röcken vor mir die Straße überqueren. Ein quengelndes Kleinkind mit Teddy im Arm wird hinterher gezogen. Grün, sagt mir die Hupe meines Hintermannes und wenig später muss ich mich schon einordnen. Mein Blick schweift an unserem Wolkenkratzer hinauf, ich biege in die Tiefgarage ein. Der Pförtner nickt mir freundlich zu, öffnet die Schranke.
Mein Parkplatz ist für mich da. Ich streife mein Jackett über, richte mich kurz in der Seitenscheibe her.
Mein Autoschlüssel in der Hand und noch ein Gruß zum Pförtner, dann verschwinde ich im Bankgebäude. Der Fahrstuhl ist mit Teppichware ausgelegt. Nimmt mich auf. Ruhe macht sich breit. Ich bin leicht angespannt. Aber es wird schon nichts Gravierendes sein.
Helen sieht mich sofort, nickt freundlich. An ihrem Blick ist nichts wirklich Dramatisches abzulesen. Professionalität, das schon. Sie weiß Bescheid. Sie weiß, dass der Chef mich erwartet. Sieht aber auch sofort, dass sie mir nichts mehr erklären muss, kann also gleich den Hörer abnehmen, als es klingelt.
Ich gehe an ihrem Empfang vorbei, überlege kurz, ob ich erst in meinem Büro vorbeischaue, entscheide mich aber anders, biege also nach rechts zu Rüdigers Büro ab, nicht nach links.
Herr Baumgart, höre ich Helens Stimme über die Bürotische hinweg. Herr Baumgart, noch einmal, als ich mich umdrehe. Ich sehe ihre Hand auf der Sprechmuschel. Ihr Gesicht fixiert mich. Sie kann nicht einordnen, was geschieht, das sehe ich. Mit ihrem Blick zu mir fixiert sie sich. Oder hält sie mich fest ?
Herr Baumgart….ihre Mutter,….ihr Haus,…..Herr Baumgart, ein Herr Bonewitz ist am Apparat und sagt, das Haus ihrer Mutter brennt.
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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