Eigenheim
Die roten Dachziegel des schmucken freistehenden Hauses leuchteten warm in der Morgensonne. Eine schmale Frau unbestimmten Alters trat aus der Eingangstüre und schlug den Weg Richtung Stadt ein. Über ihre Schulter blickend, genoss sie diesen idyllischen Anblick. Jahrelang hatte sie sich krumm gelegt um das Haus abzubezahlen. Auch wenn noch lange kein Ende in Sicht war, fühlte sie sich in diesem Augenblick fast glücklich. Doch vor ihr lagen mühevolle Stunden harter Arbeit. Der Gedanke daran, ließ ihre Stimmung schlagartig sinken. Manchmal war ihr alles zuviel. Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste. Es fiel ihr zunehmend schwerer, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Auch ihr Mann arbeitete hart. Das erkannte sie auch an.
Die Arbeit im Haus und der größte Teil der Gartenarbeit blieb jedoch an ihr hängen. Wie gerne hätte sie einmal einen Dank in Form von Blumen, oder eine andere Wertschätzung ihrer Mühe bekommen. Doch sie wollte nicht undankbar sein. Ihre Kinder waren wohlgeraten, ihr Mann bodenständig und treu. "Aber das kann doch nicht alles in meinem Leben gewesen sein" murmelte sie vor sich hin. "Ich war doch früher eine gut aussehende Frau. Und auch heute kann ich mich noch sehen lassen."
Um diesen trüben Gedanken zu entfliehen, beschleunigte sie ihren Schritt. Der Wind zerrte an ihrem Haar. Über Nacht war es Herbst geworden. War es Anfang oder Mitte Oktober? Sie wusste es nicht. Ein Tag war wie der andere.
Jetzt schmerzte auch noch ihr rechter Fuß. Den Wunsch nach einem Auto hatte sie erst gar nicht zur Sprache gebracht. Sie wusste schon die Antwort. Die schweren Einkaufstüten an ihrem Fahrrad wurden ja alleine von ihr nach Hause gebracht. Außerdem war ihr Mann froh, seine Wochenenden auf der Terrasse oder in seinem Werkzeugkeller zu verbringen. Aber sie sehnte sich manchmal nach spontanen Ausflügen. Ins Auto setzen und mit unbekanntem Ziel losfahren, einen Spaziergang an einer Promenade mit neuer Kleidung in der sie sich wohl fühlte, das wünschte sie sich. Und noch so viel mehr. "Gerda, jetzt reicht es" rief sie sich zur Ordnung. Wer aus ihrem Bekannten- und Verwandtenkreis hatte schon solch ein schönes Haus. Und dafür musste man eben Opfer bringen.
Nach einem halbstündigen Fußweg kam sie endlich an ihrer Arbeitsstätte an. Die Fabrik lag drohend vor ihr. Stundenlange monotone, schweißtreibende Arbeit erwartete sie. Aber sie wusste ja wofür sie das alles machte. Tief Luft holend ging sie hinein.
Irgendwann ist auch einmal der längste Arbeitstag vorüber. Nachdem sie zu Hause angekommen war, ging sie in die Küche und kochte sich einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand betrat sie das Wohnzimmer. Der große helle Raum mit dem herrlichen Blick in den Garten, war der Dreh- und Angelpunkt der Familie. Doch es war niemand da. Sie war alleine. Das ganze Haus schien wie ausgestorben. Ihr Mann und die Kinder hätten längst zu Hause sein müssen. Das einzige Geräusch kam von einer Fliege, die träge um ihren Kopf flog.
Leichte Panik erfasste sie. Nachdem sie im Garten und im Keller niemanden gefunden hatte, und vergeblich im Zimmer ihres Sohnes und ihrer Tochter gesucht hatte, breitete sich Übelkeit in ihr aus. Ihr wurde schwindelig. Mit letzter Kraft öffnete sie ihre Schlafzimmertüre und erstarrte. Ihr Mann stand mit einem Blumenstrauß in der Hand vor ihr und grinste sie an. Die Augen ihrer Kinder leuchteten. Alle Freunde und Verwandte waren auch da und hielten brennende Wunderkerzen in den Händen. "Zum Geburtstag viel Glück" klang es aus ihren Kehlen. Die Erleichterung und die Freude traf sie wie ein Schlag. Ihren Aufprall auf dem gepflegten Parkettboden spürte sie schon nicht mehr.
© pefito
Autor:Petra Tollkoetter aus Dinslaken |
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