Diamorphinbehandlung in Essen
Eine unsägliche Debatte um die Errichtung eines Hilfeangebots für suchtkranke Menschen

Eine unsägliche Debatte um die Errichtung eines Hilfeangebots für suchtkranke Menschen

Es wurde in den vergangenen Tagen mehrfach über die geplante Diamorphinambulanz in Essen geschrieben.

Ich bin als Sozialarbeiter über 43 Jahre in verschiedenen Einrichtungen der Suchthilfe tätig gewesen, unter anderem auch in den Jahren 1980 bis 1991 als stellvertretender Leiter der damaligen Krisenhilfe jetzt Suchthilfe Direkt in Essen. Dort habe ich den Aufbau der Methadonsubstitution in NRW mit initiiert und damals eng mit Herrn Prof. Gaspar in der Rheinischen Hochschulklinik zusammengearbeitet.

Zuletzt war ich Geschäftsführer und Vorstand der Suchthilfe in Wuppertal und habe dort in den Jahren 2018/2019 mit Herrn Dr. Plattner eine Diamorphinambulanz in unseren Räumen aufgebaut.

Aktuell unterstütze ich Herrn Dr. Plattner beim Aufbau weiterer Ambulanzen, in dem ich den Kontakt zu den örtlichen Suchthilfeeinrichtungen moderieren möchte.

Viele Suchthilfeeinrichtungen befassen sich schon seit 20 Jahren mit der Forderung einer Ergänzung der Methadonsubstitution. Dies begründet sich in der Tatsache, dass viele Methadon Patientinnen/Patienten trotz der Behandlung mit Methadon einen weiteren Suchtmittelkonsum mit Heroin oder anderen Medikamenten/Stoffen betreiben. Schon seit Jahren ist bekannt, dass ein nicht geringer Teil dieser Patientinnen/Patienten mit der Diamorphinbehandlung einen besseren Allgemeinzustand aufweisen würden. Dies wurde in dem Forschungsbericht ausdrücklich bestätigt.
siehe: www.heroinstudie.de

Die seit 13 Jahren bestehenden hohen sicherheitstechnischen und sonstigen fachlichen Auflagen für den Betrieb einer Diamorphinambulanz und die damit verbundenen erheblichen finanziellen Aufwendungen, machen es sowohl Suchtmedizinern als auch Suchthilfeeinrichtungen bisher nicht möglich, eigenständige Diamorphinangebote aufzubauen.

In meiner Dienstzeit in Wuppertal haben wir über 10 Jahre lang versucht ein eigenständiges Angebot zu entwickeln. Dies ist uns auch aufgrund der Verweigerung der Kooperation von örtlichen Kliniken und weiterer Suchtmediziner/innen nicht geglückt.
Erst in der Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Plattner konnte dieses Behandlungsangebot in Wuppertal errichtet werden. Dabei waren selbstverständlich die Träger der örtlichen Suchthilfe und die Städtischen Behörden mit in die Planung eingebunden.

Uns war zu diesem Zeitpunkt klar, dass natürlich nicht nur Wuppertaler Bürgerinnen und Bürger dieses Behandlungsangebot wahrnehmen werden. Dies war auch ausdrücklich erwünscht, denn der organisatorische wie auch personelle Aufwand bedingt eine bestimmte Anzahl von Patientinnen/Patienten. Da dieses Angebot im ländlichen Raum nicht vorhanden ist, müssen die Klientinnen und Klienten der Suchthilfe dann in die Städte ausweichen, in dem dieses Angebot vorgehalten wird. Man würde auch keinem schwerkranken Patienten im Klinikum Essen die Behandlung verweigern, der an seinem Wohnort kein entsprechendes Behandlungsangebot vorfindet. Dies muss auch für die Gruppe der suchtkranken Menschen gültig sein.

Die gemachte Hinweis auf die Größe der Ambulanz und die damit verbundene Suggestion einer Überlastung des Umfeldes lässt außer Acht, dass gerade die Größe der Einrichtung und die dort eingebundenen Angebote wie z. B. Aufenthaltsmöglichkeiten zu einer Entspannung im Umfeld führen werden.

Gleichzeitig ist hier ebenfalls deutlich hervorzuheben, dass neben der Behandlung durch die Ärztinnen und Ärzte auch eine umfassende Betreuung durch fachkundige Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bzw. Sozialarbeiterinnen/Soziarbeiter gewährleistet ist.

Vor diesem Hintergrund bin ich mehr als erschreckt, wie sich die Debatte in Essen gestaltet.
Im Vorfeld der Planung haben Herr Dr. Plattner und ich den Versuch unternommen, Kontakt zu den örtlichen Akteuren der Suchthilfe aufzunehmen. Ich habe vor dem Hintergrund meiner eigenen Tätigkeit in Essen den Kontakt mit den „alten Kolleginnen und Kollegen“ gesucht. Meine mehrfachen Kontaktversuche wurden schlichtweg ignoriert und ich habe bis heute keine Reaktion erhalten. Auch eine schon jetzt vor Ort tätige Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin der Diamorphinambulanz wurde bei dem Versuch der Kontaktaufnahme von der Suchthilfe Direkt abgewiesen.

Das nun in der Presse beschriebene Szenario basiert meiner Einschätzung nach auf Annahmen und Befürchtungen, welche sich in der Praxis bisher nicht widerspiegeln. Die genannte Anzahl von Patientinnen/Patienten in Essen ist meiner Einschätzung nach schon deswegen unrealistisch, da die behandelnde Ärztinnen und Ärzte einige der von ihnen mit Methadon behandelten Patientinnen/Patienten dann an die Diamorphinambulanz abgeben müssten. Es gibt bei der Auswahl der Patientinnen und Patienten klare Vorgaben, wer überhaupt eine solche Behandlung in Anspruch nehmen darf. Letztlich sind es die Betroffenen, die sich für die eine oder andere Behandlung entscheiden können.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Erfahrungen an den schon jetzt bestehenden Ambulanzen in Düsseldorf (ca. 200 Patientinnen/Patienten), Wuppertal (ca. 140 Patientinnen/Patienten), Unna/Holzwickede (ca. 200 Patientinnen/Patienten) und mit Iserlohn einer Kleinstadt (ca. 130 Patientinnen/Patienten) hinweisen. An diesen Standorten sind keine wesentlichen Störungen zu verzeichnen. Auf diese Erfahrungen möchte ich ausdrücklich hinweisen.

Nicht nachvollziehbar ist die Kritik an der Arbeit von Herrn Dr. Plattner, dem pauschal „reines Gewinnstreben“ unterstellt wird. Behandeln denn jetzt die anderen Suchtmedizinerinnen und Suchtmediziner die Patientinnen/Patienten kostenlos und begnügen sich mit einer „Spendenbescheinigung“. Dieser Teil der Debatte wird aus meiner Sicht sehr unredlich geführt.
Dass es bei dieser völlig fehlenden Kooperationsbereitschaft um reine Besitzstandswahrung zu Lasten der Patientinnen und Patienten geht, wird verschwiegen.

Herr Dr. Plattner und seine Kolleginnen und Kollegen haben sich die Orte als mögliche Standorte ausgewählt, an denen es die örtlichen Suchthilfeeinrichtungen bisher nicht fertiggebracht haben, ein entsprechendes Angebot zu installieren. Dabei ist die Kooperation mit den örtlichen Trägern eine wesentliche Grundhaltung von Herrn Dr. Plattner und seinen Partnerinnen und Partnern.

Dieser Wunsch nach einer Kooperation wird aber von den in Essen handelnden Institutionen abgewiesen. Es gibt offensichtlich keine Bereitschaft zu einem Dialog.

Nun wurde bekannt, dass die Stadt Essen in der Einrichtung Suchthilfe Direkt eine Diamorphinambulanz für 30 bis 40 Patienten aufbauen möchte. Dies mit einer sachlich und fachlich absurden Begründung: Nur Patienten mit einer Methadonunverträglichkeit würden für die Diamorphinbehandlung in Frage kommen. Abgesehen von der abzulehnenden Reduzierung auf ausschließlich Essener Patientinnen und Patienten, stehen die hohen Investitionen für den Aufbau und das Betreiben einer Diamorphinambulanz in keinem Verhältnis zur künstlich kleingehaltenen geringen Anzahl der Patientinnen und Patienten.

Die Stadt zeigt, ebenso wie die Suchthilfe, keinerlei Gesprächsbereitschaft. Sie erkennt offensichtlich nicht die innovative Erweiterung des Angebotes für die potenziellen Patientinnen und Patienten. Das sich durch das Betreiben einer freien Arztpraxis gleichzeitig ergebende hohe Einsparpotential wird ignoriert. Vor dem Hintergrund der prekären kommunalen Finanzen, ist diese Haltung nicht nachvollziehbar und als sträfliche Vernachlässigung zu bezeichnen.

Zusammenfassend möchte ich betonen, dass die Heraufbeschwörung von Horrorszenarien im Umfeld einer solchen Praxis jeder Grundlage entbehren und für die Weiteerentwicklung der innovativen Hilfsangebote kontraproduktiv sind. Mit der seit Jahren laufenden Arbeit der bestehenden Diamorphinambulanzen, wird dies jederzeit überprüfbar nachgewiesen. Es handelt sich bei den Patientinnen und Patienten einer Diamorphinambulanz um Menschen, die, mit fachlicher Unterstützung, letztlich selbst entscheiden sollten, welche Form der Hilfe/Behandlung sie annehmen möchten. Dies ist ein auch für diese Benachteiligten gültiges Menschenrecht.

Die von der Suchthilfe Direkt und der Stadt Essen propangierte Entscheidung, nur Essener Bürgerinnen und Bürger in der dort geplanten Diamorphinambulanz zu behandeln, wäre eine fachliche Fehlentscheidung und zeigt eine zutiefst unethische Arbeitshaltung.

Deshalb ist mein Appell an die beteiligten Institutionen und Behörden, setzten wir uns zusammen und lasst uns einen fachlichen und sachlichen Dialog über die im Sinne der Patientinnen und Patienten absolut gewinnbringende zukünftige Zusammenarbeit führen.

Garry Kasper

Autor:

Garry Kasper aus Essen-Nord

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.