Mit Burkhard Blienert im Gespräch
Dialogveranstaltung der LWLSPD: Zur Suchtprävention in Familien
Der Plenarsaal des Landeshaus in Münster gut gefüllt. Die Menschen, Betroffene, Interessensvertreter:innen, Berater:innen, Begleiter:innen, Fachkäfte, Politiker:innen und Mitabeiter:innen von Einrichtungen freudig aufgeregt. Die ausgesprochene Einladung zu guten 150 Minuten nach Münster zu kommen, wurde gut angenommen
Ein Veranstaltung, die in diesem Format erstmals den Dialog ganz unterschiedlicher Perspektiven möglich gemacht hat.
Der Fraktionsvorsitzende der LWLSPD Karsten Koch moderierte das offen und mit klaren Positionen geführte Fachgespräch mit:
- Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen
- Rodion Bakum, Mediziner und NRW-Landtagsabgeordneter, Beauftragter der SPD-Landtagsfraktion für Drogenpolitik
- Dr. Gaby Bruchmann, Leiterin der LWL-Koordinationsstelle Sucht
- Timo Schüsseler, Buchautor und trockener Alkoholiker
- Kirsten Makel, Mitarbeitende des LWL- Heilpädagogischen Jugendheims Hamm und pädagogische Suchtberaterin
Sprecher auf dem Panel, das sich mit dem Thema “Sucht in Familien – Schutz und Herausforderung!” befassen sollte, war zunächst Burkhard Blienert mit der bundespolitischen Brille im Gepäck.
Thematisch leitend die offene Frage unserer Fraktion:
Knapp drei Millionen Kinder leben in suchtbelasteten Familien. Sucht in Familien ist immer noch ein Tabuthema und muss viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Sucht betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Angehörigen und besonders die Kinder von suchtbelasteten Eltern.
Doch wie können Kinder und Familien unterstützt werden? Was können wir, was kann der LWL dazu beitragen?
Sein Leitmotto: „Sucht- und Drogenpolitik ist Politik für Menschen, nicht gegen sie. Es muss gelten: Hilfe und Schutz statt Strafe“
Einprägsam die Kurzform: „Hilfe und Schutz statt Strafe“.
Damit positioniert sich Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, mit einer klaren sozialdemokratischen Haltung für seine Aufgabe.
Auf dem Panel unserer Fraktion konnte er deutlich machen, dass es immer noch ein weiter Weg ist, den Paradigmenwechsel im Umgang mit Betroffenen zu vollziehen. Strafe und Ausgrenzung sind immer noch bevorzugte Reaktionen auf die Suchterkrankung. Der Blick auf die Sucht als Krankheit ist dabei oft verstellt.
Das macht es oft schwierig, gute Präventionsangebote zu realisieren, die im besten Falle eben bereits in Kindheit- und Jugend ansetzen, um langfristig ein problematisches, ein schädigendes Konsumverhalten zu verhindern.
Familien sind oft die erste Verteidigungslinie im Kampf gegen Sucht. Die Bundesregierung fördert Programme, die Eltern und Erziehungsberechtigte dabei unterstützen, ihre Kinder über die Risiken von Drogenkonsum aufzuklären. Diese Programme bieten Informationen und Schulungen, um Eltern zu befähigen, selbst präventiv tätig zu werden und eine offene Kommunikation über das Thema Drogen in der Familie zu fördern
Wenn Sucht und Drogen nicht tabuisiert werden, wenn sie offen angesprochen werden, dann ist das auch eine Stärkung der Möglichkeiten, sich selbst auf die Suche nach Hilfe zu machen, wenn das notwendig wird.
Wenn ein Familienmitglied selbst von Sucht betroffen ist, sind auch die Angehörigen oft erheblich belastet. Die Sucht- und Drogenpolitik umfasst daher spezielle Unterstützungsangebote für Familienangehörige. Dazu gehören Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Therapieangebote, die sich gezielt an Partner, Eltern und Kinder von Suchtkranken richten. Diese Unterstützung soll den Angehörigen helfen, die Situation besser zu bewältigen und gleichzeitig die Stabilität der gesamten Familie zu fördern.
Mit dem Blick auf die Familien wird deutlich, wie sehr die Kinder von suchtkranken Eltern psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt sind: Die Kinder wachsen etwa mit Angst, Scham und Unsicherheit auf. Der suchtkranke Elternteil ist auf das Suchtmittel fokussiert, der andere Elternteil sorgt sich um den kranken Partner. Dann bleibt wenig freier Raum für die Kinder und ihre eigene Lebensgeschichte. Sie bekommen wenig Aufmerksamkeit, manche fühlen sich verantwortlich, machen sich mitverantwortlich für die Last, den Haushalt zu versorgen oder jüngere Geschwister zu betreuen. Und sie überwachen sogar den Konsum des kranken Elternteils, weil sie alles machen wollen, um ihre Familie zu erhalten.
- Eines der Gegenmittel – eine Online-Plattform für Kinder und Jugendliche im Netz: hilfenimnetz.de – so die einfache Adresse, unter sich bundesweit Beratungsangebote, Informationen und Erfahrungsberichte finden, die aber auch speziell für den eigenen Lebensort durchsucht werden können. Die Projektseite vereist seit dem letzten Jahr auf viele Angebote, die so zentral an einer Stelle durchsucht und gefunden werden können.
- Jedes Jahr im Februar die „Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien“ statt, mit vielen Aktionen bundesweit – verankert in der NACOA Deutschland als Interessensvertretung für Kinder aus Suchtfamilien.
- Einer der wichtigsten Ansätze einer präventiven Arbeit mit Sucht und Abhängigkeiten: Das Engagement von selbst Betroffenen mit den Fachleuten und mit Entscheidungsträgern in der Politik.
Kinder in Familien mit suchterkrankten Eltern führen oft ein Schattenleben, das die Gefahr birgt, die späteren Lebenschancen zu verkleinern oder zu zerstören. Sucht kann so eine Familienkrankheit werden, über Generationen hinweg, zur andauernden Quelle von Unsicherheit, Angst, Leid und Tod werden.
Aber es lassen sich Schritte aus dieser Lebensverengung heraus gehen. Das wurde durch die weiteren Beiträge auf dem Panel sehr deutlich.
Das machte der intensive Dialog auf der Dialogveranstaltung der LWLSPD deutlich: Es lohnt sich, die verschiedenen Zugänge zur Thematik miteinander ins Gespräch zu bringen.
Aktuelle Debatte zur Cannabisfreigabe
Ein Thema im Dialogformat der sozialdemokratischen Fraktion im Landschaftsverband Westfalen-Lippe war auch die aktuelle Debatte zur Cannabis-Politik der Bundesregierung.
Die aktuellen Zahlen zum Drogenkonsum in Deutschland lassen erkennen, dass sich bei den Jugendlichen der Anteil 18- bis 25-Jähriger, die Cannabis schon einmal ausprobiert haben, zwischen 2015 und 2021 erhöht hat – er liegt nun bei etwa 50 %. Als regelmäßige Konsumenten sind etwa 8 % der Jugendlichen erfasst. (Kurzfassung der Studie)
Danach erfolgte bis zum Jahr 2023 keine wesentliche Veränderung. Inwieweit die im April 2024 erfolgte regulierte Freigabe von Cannabis für Volljährige das Konsumverhalten beeinflusst, lässt sich in der Kürze der Zeit noch nicht erfassen.
Burkhard Blienert:
„Gut ist, dass die Mehrheit der Jugendlichen bewusst nicht regelmäßig Cannabis konsumiert. Damit wissen sie besser als manche Erwachsene, was riskant und gesundheitsschädlich ist. Und das bestärkt auch unser Herangehen an die regulierte Cannabisfreigabe – nur für Erwachsene. Weil es eben nicht primär um die Freiheit geht, etwas zu tun, sondern um mehr Schutz, mehr Hilfe und weniger Kriminalisierung mit all ihren negativen sozialen Folgen. Dazu gehört auch, dass wir endlich offener an Schulen und Orten, wo Jugendliche sind, über Drogen und deren Konsum sprechen können. Denn von keiner Drogenpolitik kann verhindert werden, dass Drogen ausprobiert und gebraucht werden. Wir müssen besonders gefährdete Jugendliche früh und konsequent unterstützen und dürfen auch erwachsene suchterkrankte Menschen nicht einfach abschreiben. Zudem müssen wir unseren Blick auf Drogen konsumierende Menschen hinterfragen. Denn Menschen konsumieren Drogen nicht nur aus Spaß, sondern weil sie Probleme haben. Wir müssen genauer hinschauen, was wirklich hilft, Kinder und Jugendliche stärken, Konsumierende vor den größten Risiken schützen und mehr niedrigschwellige Hilfe anbieten.“
Autor:Jesaja Michael Wiegard aus Selm |
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