Neue Kunstausstellung: Brücke und Blauer Reiter
Einigkeit - Kontraste - Konflikte

Emil Nolde 
Lesende Dame, 1906 
Öl auf Leinwand 
70 x 60 cm  | Foto: Kunsthalle zu Kiel,  Foto: Martin Frommhagen  © Nolde Stiftung Seebüll
3Bilder
  • Emil Nolde
    Lesende Dame, 1906
    Öl auf Leinwand
    70 x 60 cm
  • Foto: Kunsthalle zu Kiel, Foto: Martin Frommhagen © Nolde Stiftung Seebüll
  • hochgeladen von Dorothea Weissbach

Brücke und Blauer Reiter
21. November 2021 – 27. Februar 2022
Von der Heydt-Museum Wuppertal, Turmhof 8, 42103 Wuppertal

Einigkeit - Kontraste - Konflikte

Die Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter stehen synonym für den Expressionismus in Deutschland und gelten zugleich als entscheidender Beitrag zur Klassischen Moderne in den Jahren 1905 bis 1914 in Deutschland.

Expressionismus - man erinnert sich an gewagte ausdrucksstarke Farben, wilde Muster und ungewöhnliche Darstellungen, dazu knallige Kontraste, wilde Pinselstriche und dicke Konturen.

In Wuppertal tun sich heute drei hochrangige Sammlungen zum deutschen Expressionismus, angesiedelt an weit voneinander entfernten Orten im Süden, im Westen und im Osten der Republik, zusammen, um ein Schlüsselthema der Kunstgeschichte darzustellen.
Die neue Ausstellung wird gestaltet in Zusammenarbeit vom Buchheim Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See, der Kunstsammlungen Chemnitz und dem Von der Heydt-Museum Wuppertal. Was diese Museen beizutragen haben:

1) Das Von der Heydt-Museum, 1902 eröffnet, wurde gegründet und stets gefördert von einem wohlhabenden Bürgertum, das sich begeistert der damals zeitgenössischen Kunst und folglich auch dem Expressionismus öffnete.
Parallel dazu entwickelte sich die Kunsthalle in Barmen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gleichsam zu einem Epizentrum der Moderne.

2) Bei den Kunstsammlungen Chemnitz handelt es sich um eine traditionsreiche städtische Sammlung, die in der Herzregion der „Brücke“-Künstler aufgebaut wurde: Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner verbrachten Teile ihrer Kindheit und Jugend in Chemnitz, Karl Schmidt-Rottluff wurde im heute eingemeindeten Rottluff geboren. Vor wenigen Jahren ist ergänzend zu den „Brücke“-Beständen im Haupthaus die Sammlung des früheren Münchner Galeristen Gunzenhauser mit Bildern des „Blauen Reiters“ hinzugekommen. Sie werden in einem eigenen, nach dem Sammler benannten Museum gezeigt.

3) Das Buchheim Museum der Phantasie in Bernried schließlich vertritt einen anderen Museumstypus: Es ist ein reines Sammler- und Stiftermuseum.

Wie der Museumsdirektor vom von der Heydt-Museum Wuppertal , Herr Dr. Roland Mönig, erläutert, sind darüber hinaus rund 20% der gezeigten Werke Leihgaben, die das Thema vervollständigen oder Lücken in den jeweiligen Museumsbeständen ergänzend schließen.

Die 31 ausgewählten Künstler und Künstlerinnen von „Brücke“ und „Blauem Reiter“ stehen synonym für den deutschen Expressionismus. Sie gelten als Schlüsselfiguren der klassischen Moderne.
Gezeigt werden hochrangige Gemälde und Arbeiten auf Papier der jeweils zentralen Künstler:
Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein, Emil Nolde und Otto Mueller für die „Brücke“;
Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Franz Marc, August Macke, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin und Paul Klee für den „Blauen Reiter“.

Sie kannten einander, besuchten sich, schätzten und verachteten sich auch bisweilen. Sie stellten miteinander aus, waren in denselben Verbänden, hatten dieselben Galeristen und Sammler.

Die „Brücke“ war in der Tat eine „Künstlergruppe“ - man blieb rund acht Jahre beieinander, malte zusammen, organisierte Ausstellungen zusammen und suchte auch privat große Nähe zueinander.

Beim „Blauen Reiter“ handelte es sich um eine eher lockere Formation, die, ein Buch herausbringen wollte, das ein Bild der aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen im Bereich von Kunst und Kultur zeichnen sollte. Demzufolge war man stärker als die „Brücke“ an Theorie interessiert.

Gleichwohl sind ihre Werke noch aktuell aufgrund ihres direkten und frischen Ansatzes, des Gefühls von Freiheit und Aufbruch, das sie vermitteln. Erstmals seit vielen Jahren führt die Ausstellung die Künstlergruppen wieder zum Vergleich zusammen.

Anhand 160 ausgewählter Hauptwerke ( 90 Gemälde und 70 Arbeiten auf Papier) bietet sie einen neuen Blick auf die Bedeutung dieser beiden bahnbrechenden Formationen, auf ihr Zusammenwirken und ihre Konkurrenz.

Die große Ausstellung führt durch 9 Säle und ist in sich thematisch gegliedert.
Der erste Raum "Gleichklang und Kontrapunkt" stimmt, um Dr. Mönig zu zitieren, gleich einer Ouvertüre auf die anstehenden Themen ein: Formell eng beieinander liegende radikale Ansätze, Farbe als primäres Ausdrucksmittel, Fläche die auch eigenständig wirken kann.

Die folgenden drei Räume zeigen grafische Arbeiten und stellen "Brücke" und "Blauer Reiter" sowie Vermittler einander gegenüber. Dr. Mönig weist darauf hin, dass Bereiche der Grafik gezeigt werden, die über lange Jahre gar nicht zu sehen waren. Mal wird auf das Streben nach "Arm- und Lebensfreiheit" und den "Drang zum Schaffen" abgestellt, mal wird theoretisierend die Befreiung von Farbe und Form von akademischen Vorgaben diskutiert oder ein normativ gesetzter Naturalismus in Frage gestellt.

Einigkeit besteht im topografischen Norden mit Berlin ("Brücke") und im südlichen Alpenvorland mit München ("Blauer Reiter") darin, dass ein utopisches Lebensgefühl samt zugehöriger Orte erdacht wird: Ärmliche verklärte Lebenswirklichkeit als Gegenwelt zur realen Enge und Strenge der wilhelminischen Zeit, südseeinspirierte unschuldige Nacktheit gegenüber der sozialen Prüderie.

In jeweils eigenen Räumen kommen Vorbilder und Wahlverwandte zu Wort. Das vom Impressionismus übernommene Farbfeuerwerk wird ebenso aufgegriffen, wie Adaptionen des maschinengläubigen Futurismus sowie des kubistischen Formgefühls.

Der Gruppendynamik, die von den Künstlerpaaren Kandinsky und Münster sowie Jawlensky und von Werefkin ausging, widmet sich ein weiterer Raum. Deren Entwicklung zur frei gesetzten Farbe und zur Entwicklung neuer Formen leitet über zum Thema Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Während Kandinsky vollends bei der Abstraktion angekommen ist, arbeiten sich andere an formalen und farblichen Zusammenhängen ab, befreien die Bildform indem sie "Objekt und Subjekt" gleichrangig in Szene setzen oder ein abstrahiertes freies Formenspiel nutzen.

Dr. Roland Mönig weist darauf hin, dass man auch innerhalb der beiden Formationen Spannungen spürt – es sind die Spannungen einer Zeit, in der vieles im Umbruch war und die letztlich in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mündete: den Ersten Weltkrieg.

Den Expressionismus kennzeichnet, dass die Künstler die alte Welt ausradieren möchten, Form und Motiv neu fassen und Einheitsvisionen schaffen möchten. Dynamisierte Idealwelten mit erträumter Spannung oder paradiesische Szenen mit befreiender Nacktheit stehen in Konkurrenz zur realen politisch-sozialen Umgebung.
In den Werken der Expressionisten trifft der Moloch Großstadt auf die Vorstellung von Idylle und Paradies, in ihnen steht eine mitunter scharf zugespitzte Figürlichkeit im Kontrast mit dem Aufbruch in die Abstraktion. Diese Gegensätze werden in der Ausstellung spürbar gemacht.

In der Ausstellung fehlt auch nicht ein kritischer Blick in einer Art Epilog: In einem eigenen Raum wird Malerei der Nachkriegszeit aus der Sammlung Von der Heydt gezeigt – Werke des Informel und des Abstrakten Expressionismus.

Nach 1945 wurde der Expressionismus vor allem in Westdeutschland zum Fanal der Freiheit stilisiert. Seine Vertreter, in der Mehrheit von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt, verkörperten eine vermeintlich unbelastete Moderne, galten als Wegbereiter einer wiedergewonnenen Freiheit.
Aber wenn man die Expressionisten derart idealisiert, vergisst oder ignoriert man die inneren Konflikte und Widersprüche, in die sie selbst sich verwickelt hatten. So ist beispielsweise Franz Marc, der vermeintlich sanftmütige Maler der Tiere, mit voller Überzeugung und in falsch verstandenem Patriotismus in den Ersten Weltkrieg gezogen und darin umgekommen. Oder Emil Nolde: Er biederte sich – allerdings vergeblich – den Nationalsozialisten an, im besten Glauben an seine Sendung als „deutscher“ Künstler.

Im Katalog zur Ausstellung wird auch auf die unterschiedliche ost- und west-deutsche Sichtweise auf den Expressionismus eingegangen.
In Westdeutschland wurde er als "Kunst des Widerstandes und der Freiheit" bisweilen blauäugig gefeiert, in der DDR eher abgelehnt.
Während die DDR von 1945 bis 1948 zunächst eine liberale Kunstpolitik betrieb, war der Expressionismus ab 1948 bis in die 1970er Jahre als Formalismus und bürgerlich dekadente Kunstform geächtet. Politisch wurde ihm mangelnde Volksverbundenheit vorgeworfen.
Erst ab 1986 wurde der Expressionismus in der DDR als Teil der Avantgarde anerkannt und erhielt in einigen Bereichen stärkere kunst- und kunsthistorische Zuwendung.

Es lohnt sich, der fundiert angelegten Ausstellung und ihren Feinheiten Beachtung zu schenken!

Katalog 29€
Eintritt 12€ und Ermäßigungen
Umfangreiches Rahmenprogramm 

Öffentliche, private oder Gruppen-Führungen
Kinderführungen
Themenführungen
Familiensonntage

Themenführungen
Mittwoch, 1. Dezember, 11.15 Uhr Harmonie und Disharmonie als künstlerische Konzepte in den Werken von „Brücke“ und „Blauer Reiter“ mit Dr. Anja Thomas-Netik
Mittwoch, 15. Dezember, 11.15 Uhr Gabriele Münter und Wassily Kandinsky – Liebe macht Kunst mit Petra Mecklenbrauck
Mittwoch, 12. Januar, 11.15 Uhr Frauenbilder – zwischen Exotismus und Prüderie mit Karolina Bürger
Mittwoch, 9. Februar, 11.15 Uhr Expressionistische Motive in Bild und Lyrik mit Mariana Burdida-Kemper
Mittwoch, 23. Februar, 11.15 Uhr Die Badenden – Mensch und Natur in der „Brücke“-Kunst mit Annette Quast

Vorträge
Mittwoch, 5. Januar, 18.30 Uhr Beuys und die Expressionist*innen Dr. Roland Mönig
Mittwoch, 2. Februar, 18.30 Uhr Die Frauen im Umkreis von Brücke und Blauer Reiter Dr. Anna Storm

Konzert
Donnerstag, 20. Januar, 20 Uhr „Der bunte Klang“ Das Konzert zum Von der Heydt-Musicguide unter Mitwirkung von u. a. Annette Maye, Ketonge und Simon Rummel.
Veranstaltungsort ist der Shedsaal des Museums auf der zweiten Etage. Die Teilnahme am Konzert ist kostenfrei, um Anmeldung im Onlineshop des Museums wird gebeten.

Es gelten jeweils die Bestimmungen der aktuellen Coronaschutzverordnung.

Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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