Große Andy-Warhol Retrospektive im Kölner Museum Ludwig
Andy Warhol Now
KÖLN. Bis zum letzten Tag standen die Besucher sozusagen „im Netz“ Schlange, um noch eines der heißbegehrten Tickets für einen zeitlich begrenzten Live-Besuch (Time-Slot) vor Ort zu ergattern.
Seit dem 12. Dezember 2020 hingen die liebevoll und mit großem Detailwissen ausgewählten mehr als 100 Werke der berühmten New Yorker „Warhol Factory“ im Museum Ludwig bereit, um ihrem geistigen Schöpfer und „Brain“ Andy Warhol eine zeitgemäße Einordnung zu geben. Und die - ihm sicherlich auch gebührende - große Bühne zu bereiten. Aber die hiesigen Corona-Regeln erlaubten den persönlichen Museums- Besuch leider erst im Juni 2021. So viele glückliche und begeisterte Museums-Besucher in so kurzer Zeit gab es lange nicht mehr zu erleben.
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Vieles, was heute als selbstverständlich empfunden wird, wurde mit den seinerzeit möglichen technischen Mitteln durch Andy Warhols „Factory“ (treffender: Werkstatt) schon ausprobiert, gelebt - und auch gelitten.
30 Jahre nach der letzten großen Warhol-Werkschau in Köln ist es dem Museum Ludwig mit seinen Ausstellungs-Machern Stephan Diederich und Yilmaz Dziewoir tatsächlich ziemlich umfassend gelungen, Andy Warhol in all seinen Schattierungen und eigens kreierten Versionen seiner selbst einzufangen. Und dies auch durch die in jedem Einzel-Fall ästhetisch wirkungsvoll kombinierten Hängungen, Ausleuchtungen aller Werke, diese insgesamt mit intelligenten Raum-Umsetzungen wirklich „in Szene“ zu setzen.
Silver Clouds
Besonders der Silver-Clouds-Raum mit seinen schwebenden Kissen-Ballons, von Warhols rot-gelber Kuh-Porträtserie (als Tapete) beäugt, machte die Besucher zu aktiven Kunst-Komplizen, die sich dem Wolkentreiben anschlossen. Oder sie liegend, sitzend oder springend im Raum beobachteten. Selfies inbegriffen, (wie man es auch prompt auf der Instagram-Seite des Museums bewundern kann.). Inspirierend und bequem war auch das Arrangement zum Anschauen seiner Videos durch ein Monitor-Rondell, das von Sitzbänken umrahmt ein einfaches Weiter-Rutschen zum nächsten Video ermöglichte.
Warhols Lebensgeschichte ist zudem im herausragenden Katalog zur Ausstellung (30 €) auch in vielen Details und Zusatzinformationen dokumentiert, die noch nicht zum allgemeinen Kollektiven Kulturgedächtnis gehörten.
So etwa: Die nicht einfache Beziehung zu seiner tiefchristlichen Mutter Julia, die Einwanderungs-Vorgeschichte seiner Familie aus einem heute nicht mehr existierenden Land (Tschechoslowakei) mit einer Sprache / Dialekt (Russinisch), die auch in der alten Heimat nicht jeder verstand. Oder seine Jugend als schüchterner Außenseiter aus sehr bescheidenen Verhältnissen, seine sich abzeichnende sexuelle Orientierung im prüden Amerika dieser Zeit, wie er sich durch Porträt-Zeichnungen seiner Peiniger deren Anerkennung ermalte (Kunst als Ausweg und Überlebens-Nische).
Seine Jahre und Arbeiten als Werbegrafiker
Die Anfänge seiner Factory, die berühmten oder durch ihn zu Ruhm gelangten Musen und Weggefährt:innen. Warhol zeichnete alles akribisch auf Tonbändern, mit Polaroid-Sofortbildern und später auf Videos auf. Er bot Interessierten immer Auftritts- und Präsentations-Möglichkeiten. Und nutzte diese wiederum als Inspiration für eigene Werke – er fing das Leben ein. Daraus schöpfte er Ideen für seine Spielfilme, Videos, seine legendäre Kunstzeitschrift „Interview“ oder seine auch kommerziell sehr erfolgreichen typischen, auch seriellen Siebdrucke. Wenn man das, wie hier so gekonnt, alles zusammenführt, wirkt es im Nachhinein fast so, als förderten einst auch seine Galeristen besonders solche Situationen, Treffen und Gelegenheiten – aus dem Wissen heraus, wie Andy Warhol dann in kreative Schaffensphasen kommen konnte.
Hintergrundstories
All diese Hintergrund-Stories des Kataloges ergänzen die Ausstellung optimal, aber er steht nach der so begrenzten Besuchs-Möglichkeit als Buch für sich, auch für alle, die in dem einzigen halben Monat von einem halben Jahr Ausstellungs-Dauer keine Chance zum Live-Besuch erhielten. Ein tolles, dickes Kunst-Buch mit vielen inhaltlich passend ausgewählten Abbildungen von berühmten Werken, aber auch mit selten oder noch nie Veröffentlichtem.
(Einmal, vor über 40 Jahren hat Warhol auch von Düsseldorf aus im Ruhrgebiet die Villa Hügel der Krupp-Dynastie in Essen besucht: nur in Begleitung einer asiatischen Kamerafrau und eines deutschen Kultur-Redakteurs. Der stumme „Andy“ wollte vor allem das berühmte, angeblich Capri-Höhlen nachempfundene Schwimmbad im Keller sehen, sonst nicht zugänglich. Dem berühmten Silber-Perückenträger ließ Berthold Beitz natürlich aufschließen. Doch das ist eine andere Geschichte - und steht nicht im Kölner Katalog).
Warhols „Zeitkapseln“
Das sind hunderte Kartons gefüllt mit Dingen, Tickets, Fotos, Texten, Zeichnungen, Vorstudien, eben alles, was ihm gerade wichtig war. Die wissenschaftliche Aufarbeitung beschäftigt seine Nachlassverwalter noch bis heute, lange Jahre nach seinem Tod.
Tod und Wiedergeburt
Warhols hoher persönlicher „prize of fame“ - sein Preis des Ruhms - das Attentat auf ihn, war im Sinne des Wortes ein großer Einschnitt. Das Foto-Kunstwerk seiner vernarbten Wunden war auch in dieser Ausstellung zu sehen – und im Schatten des Kölner Doms sind die Assoziationen zu den überlieferten Wunden Christi sicher stärker als anderswo in der Welt. Das Erzbistum hatte „seinen Andy Warhol“ nämlich „Cross“ – ein intensiv-rotes Kreuz inmitten tiefschwarzer Grundierung für die Ausstellung nebenan ausgeliehen. Warhol starb am 22. Februar 1987 im Alter von 58 Jahren.
A für Andy:
„Ich bin Niemand“, sagte Andy Warhol einmal und machte sich zu einem der am leichtesten wiedererkennbaren lebenden Menschen, indem er alle seine Schwächen übertrieb und Unantastbares in Legendäres verwandelte. Als junger Mann in New York war er arm, hässlich, unbeliebt, das Kind von Einwanderern, queer, unerträglich schüchtern, ein Außenseiter in jeder Beziehung. (Aus „Andy Warhol Now“ / Katalog Museum Ludwig)
Weitere Stationen der Ausstellung 2021 sind nun die Art Gallery of Ontario in Toronto und das Aspen Art Museum in Colorado. In Köln waren seine Werke von dem halben Jahr Hängungs-Dauer der lang geplanten Retrospektive coronabedingt nur einen halben Monat überhaupt zu besichtigen, obwohl sie da waren – eine Idee, auf die Andy Warhol hätte kommen können. (cd)
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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