„B O T O X“ ( Aus der Welt der Esoterik )

Gabriela war ein Mensch, den man nicht aus ihrem heimischen Biotop entfernen durfte. Denn sobald sie ihr „Heilungszentrum“ verließ, wurde sie unsicher und hilflos.
Vermutlich hätte sich Gabrielas Leben völlig anders entwickelt, wenn sie eine vernünftige Ausbildung absolviert hätte. So bewunderte sie Menschen, die eine akademische Ausbildung durchlaufen hatten. In diesem Sinne also war Gabriela ungebildet. Aber ihre Bewunderung ging nur so weit, dass diese Menschen, die sie vom Ansatz her bewunderte, auch in der Lage sein mussten mit ihrer „Bildung“ Geld zu verdienen. Und wenn ich von „Geld“ spreche, dann meine ich auch „Geld“ und nicht die Existenzsicherung.
Kurz, Gabriela sehnte sich immer danach so reich zu werden, dass sie gefahrenlos das „Geld“ verachten konnte.
In soweit konnte ich Gabriela verstehen. Denn bis zu ihrer Insolvenz war sie eine erfolglose Geschäftsfrau, die von dem, was sie verkaufte, nur wenig verstand. Aber immerhin lernte sie in dieser Zeit eine wichtige Lektion für ihr Leben:
Im Geschäftsleben konnte sich kein Mensch leisten sentimental zu sein.
Und diese Lektion vergaß Gabriela nie.
Aber irgendwann war sie die Ehefrau eines Arztes, Dr. Energie, der seine Praxis aufgeben musste oder vielleicht auch nur aufgab, um sich dann den „alternativen Heilmethoden“ zu widmen.
Wenn aber ein Klient, der ihr „Heilungszentrum“ besuchte, zu Gabriela:
Frau Doktor sagte, korrigierte sie ihn nicht.
Aber mit der Zeit wurde sie auch immer ungeduldiger, wenn ein Seminarbesucher es wagte, lieber mit ihrem Mann, Dr. Energie, seine Probleme zu besprechen.
Immerhin war Gabriela schlau genug den Menschen, die ihre „Seminare“ besuchten, vorzugaukeln, dass ihre, Gabrielas Art von Bildung „stofflich“ - wie sie es formulierte - auf einer ganz anderen Ebene lag, als bei den Menschen, die man gemeinhin im Alltag traf.
Und da sie schon bei Zeiten mit „Botox“ ihre Stirnfalten unterspritzt hatte, konnte sie ohnehin nicht mehr genervt in die Welt blicken.
Wenn Sie so wollen war diese Leistung mit Gift das Repertoire ihrer mimischen Möglichkeiten dauerhaft umzuprogrammieren die größte Leistung in Gabrielas Leben. Denn so glaubte jeder Teilnehmer ihrer so genannten „Seminare“, dass sie, Gabriela, von ihrem „indischen Guru“, dessen Ashram sie vor ein paar Jahren besucht hatte, auf Dauer faltenlos erleuchtet worden war.
Und so umgab sich Gabriela mit einer Kompetenz, als würde sie von teuren Düften eingehüllt. Und wenn sie dann andeutungsweise lächelte, durfte sich der jeweilige Klient wie ein Idiot fühlen, der ihren Augenkontakt suchte und kindisch lachte, wenn ihn Gabriela übersah und zu ihrem „Meister“ blickte, dessen Konterfei engelhaft unter der Decke schwebte.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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