Jean Claude Juncker und "State of the Union"
Ein einziger Satz in der Rede des Kommissionspräsidenten Juncker beschäftigte die Öffentlichkeit sehr stark, nämlich die Feststellung, dass Europa in einer existenziellen Krise sei. Man glaubt es kaum, dass man so etwas überhaupt öffentlich sagen darf. Die deutschen Medien versuchen doch permanent das Projekt Europa schön zu reden, mit dem Hinweis Deutschland gehe es gut und alle sollen genau so werden wie wir. Bei den Freunden der EU herrscht Entsetzen, weil dieses schlichte und einfache Weltbild nun sehr stark bröckelt.
Juncker wies in seiner Rede darauf hin, dass sich die Mitgliedsstaaten an gemeinsame Spielregeln zu halten haben. Damit ist allerdings auch Deutschland gemeint, das sich seit Beginn der Währungsunion nicht an die vereinbarten Spielregeln gehalten hat, und zwar in Bezug auf das vereinbarte Inflationsziel und auf die Grenze für Leistungsbilanzüberschüsse. Aber darüber spricht man in Deutschland nicht so gerne. Man zeigt lieber mit dem Finger auf andere.
Juncker forderte weiterhin in seiner Rede zur Lage Europas höhere öffentliche Investitionen. Diese Forderung ist zwar richtig, aber auf eine andere grundlegende Problematik geht er nicht ein. Europa hat ein massives Nachfrageproblem, das die EZB allein durch expansive Geldpolitik nicht lösen kann. Die EZB ist auf eine parallele expansive Fiskalpolitik angewiesen, von der man in Deutschland allerdings nichts wissen will und sich lieber auf schwarze Nullen konzentriert.
Die alte Vorstellung von der Konsolidierung der Staatsfinanzen ist in der derzeitigen europäischen Konstellation hinfällig. Die Unternehmen sind in Deutschland im Gegensatz zu den 1960er Jahren zu Nettosparern geworden, weil sich die Besteuerung zu ihren Gunsten verändert hat. Die Unternehmen sparen das Geld lieber und investieren es nicht, weil das über Jahre andauernde Lohndumping die Binnennachfrage zerstört hat. In den 1960er Jahren haben die Unternehmen ihre wichtigste Aufgabe in einer Marktwirtschaft noch erfüllt, nämlich sich zu verschulden und zu investieren. Diese Zeiten sind aber vorbei.
In dieser extremen Situation kann sich der Staat nicht zurückziehen und die schwarze Null anstreben. Wenn aber die privaten Haushalte und die Unternehmen zu den Nettosparern zählen und die Gefahr besteht, dass das Ausland aufgrund der hohen Verschuldung die Importe zurückfährt, muss sich der Staat zwingend verschulden und die Wirtschaft durch Investitionen beleben. Alles andere ist gegen die Logik und gegen die Saldenmechanik. Werden jedoch auf Dauer, wie in Deutschland, solche fundamentalen Zusammenhänge ignoriert, droht das System zu kollabieren.
Diesem Kollaps kann man sich im merkantilistischen Deutschland vielleicht kurzfristig noch durch weiter steigende Exportüberschüsse entziehen. Langfristig wird das jedoch nicht möglich sein, weil dann die ökonomischen Gesetze gnadenlos zuschlagen.
Autor:Rüdiger Beck aus Dortmund-City |
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