Das Alltagsleben in Wetter vor 300 Jahren

Zahlenliste zeigt das mühselige Leben auf. | Foto: Bereitgestellt von Dr. Gerhard E. Sollbach
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Autorenbeitrag von Dr. Gerhard E. Sollbach

„Ein wirklich armseliges Leben müssen die meisten Menschen in Wetter vor 300 Jahren geführt haben.“ Diese Schlussfolgerung zieht der Historiker an der TU Dortmund, Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach, aus einer von ihm im Stadtarchiv Wetter ausfindig gemachten und ausgewerteten Liste aus dem Jahr 1714. In dieser vom Magistrat in Wetter zu steuerlichen Zwecken angefertigten Aufstellung sind sämtliche damals in der Freiheit und im Dorf Wetter lebende 346 Bewohner mit ihren Berufen und ihrem Großvieh verzeichnet

Vor allem die Tatsache, dass von den insgesamt 98 Haushaltungen – 60 in der Freiheit und 38 im Dorf Wetter – 71 Haushalte Kühe hielten, hält Sollbach für sozialgeschichtlich aufschlussreich. Die weit überwiegend aus kleinen Handwerkern bestehende damalige Bevölkerung in Wetter vermochte demnach von ihrem Handwerk allein nicht zu leben. Um zu überleben, mussten sie zusätzlich Landwirtschaft betreiben. Hierbei spielte das Halten einer Kuh als Lieferant von Milch und Butter und damit von lebenswichtigem tierischen Eiweiß beziehungsweise Fett aber eine entscheidende Rolle. Doch die meisten Bewohner besaßen bestenfalls ein kleines Stück Nutz- oder Gartenland. Aber es gab die Möglichkeit, Kühe auf den Gemeindeweiden in der Aue an der noch nicht zum Harkortsee aufgestauten Ruhr unterhalb der Freiheit und des Dorfs weiden zu lassen.

Nach der Ortssatzung durfte jeder Besitzer eines Bürgerhauses in Wetter bis zu zwei Kühen auf die Gemeindeweiden treiben. Wer weniger als zwei Kühe oder keine Kuh hatte, konnte das Weiderecht an andere mit mehr Kühen weitergeben.
Bezeichnend für die erbärmliche wirtschaftliche Lage der Leute in Wetter damals ist nach Feststellung Sollbachs, dass etwa die Hälfte aller Haushalte, die über Kühe verfügten, sich nur eine einzige Kuh leisten konnte. „Doch was war, wenn die einzige Kuh ausfiel und ein Ersatz nicht so rasch beschafft werden konnte?“, fragt sich der Historiker. Dann drohte dem Haushalt vielleicht doch das Absinken unter das Existenzminimum. Überhaupt war die Zahl der von den einzelnen Haushalten besessenen Kühe in der Freiheit wie im Dorf Wetter gering, was ebenfalls auf die äußerst dürftigen Wirtschaftsverhältnisse der Bevölkerung hinweist.

Zwei Kühe hatten insgesamt 27 Haushalte; drei Kühe konnten sich aber nur sechs und vier Kühe bloß vier Haushalte leisten, darunter auch derjenige des lutherischen Pastors Wennemar Christlieb Trippler. Über fünf Kühe verfügte lediglich der damalige Bürgermeister P. E. Pothmann. Mehr Kühe und die mit Abstand höchste Anzahl, nämlich acht, hatte damals nur die Witwe des Gerichtsschreibers Hackenberg. Besonders deutlich wird die prekäre wirtschaftliche Lage der Masse der Bevölkerung in Wetter in früherer Zeit durch die Tatsache, dass nach der Liste von 1714 fast ein Viertel der Haushalte nicht einmal eine Kuh besaßen. Für die meisten Wetteraner, so schlussfolgert Prof. Sollbach, muss das Leben seinerzeit ein alltäglicher Kampf ums bloße Überleben gewesen sein.

Aber noch etwas offenbart die Aufstellung aus Wetter von 1714 dem Historiker, dass nämlich die große Zahl von Kindern in den damaligen Familien ein Mythos ist. Die übergroße Mehrheit der 1714 in Wetter lebenden Familien besaß lediglich ein- bis zwei Kinder. Die Höchstzahl waren vier Kinder. Die gab es nur in zwei Familien, wovon die eine diejenige des lutherischen Pastors Trippler war. Ursache für die geringe Kinderzahl ist sicherlich die früher hohe Kindersterblichkeit gewesen und die schlechte wirtschaftliche Lage.

Autor:

Lokalkompass Hagen aus Hagen

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