Singen mit der Dropbox
Die Grooving Voices in Wetter proben mit Videos ihres Chorleiters
Normalerweise treffen sich die etwa 45 Mitglieder des Chors Grooving Voices aus Wetter-Wengern jeden Mittwoch im Gemeindehaus St. Liborius, um zu proben. Wegen des Coronavirus ist das schon seit Anfang März nicht möglich, aber stumm bleiben die Mitglieder deswegen keineswegs.
Von Vera Demuth
Schon seit längerem nutzt Chorleiter Jürgen-Peter Merkel (68), der den Chor seit seiner Gründung vor mehr als 15 Jahren leitet, die Dropbox. Mit diesen Online-Speicher zum Daten teilen stellt er den Chormitgliedern Noten und digitale Klangdateien zur Verfügung, damit sie zuhause zusätzlich üben können.
Jede Woche eine virtuelle Probe
Bedingt durch die Corona-Krise, die gemeinsame Proben verhindert, veranstaltet der Chor seit Anfang April jedoch jeden Mittwoch komplette virtuelle Proben per Dropbox. Dazu fertigt Merkel jeweils mehrere Videos an. "Im ersten begrüße ich alle und erkläre, was heute geprobt wird. Dann gibt es Videos zum Einsingen, zum Beispiel Brummen und Entspannungsübungen", erklärt der Chorleiter, der als Musiklehrer am Gymnasium in Wetter gearbeitet hat. Schließlich folgen die Videos zu dem Lied, das an diesem Abend einstudiert wird. Darin singt er die verschiedenen Stimmen vor, manchmal unterteilt in einzelne Abschnitte, und bietet zum Schluss einen Gesamtdurchlauf des Songs, den er mit Begleitmusik – etwa mit sich selbst am E-Piano – unterlegt. "Das ist ein richtiges Übungsprogramm von anderthalb Stunden", so Jürgen-Peter Merkel.
Mehrere Stunden pro Woche investiert er darin, die Videos zu produzieren. Zum einen betrachtet er dies als Hobby, aber zum anderen freut er sich darüber, dass er aufgrund der Rückmeldungen der Chormitglieder das Gefühl hat, sie auch in dieser außergewöhnlichen Situation bei Laune halten zu können.
Eines dieser Chormitglieder, das regelmäßig an den virtuellen Proben teilnimmt, ist Heike Depprich (56), die im zweiten Alt singt. Seit 13 Jahren gehört sie den Grooving Voices an, deren Repertoire vor allem Gospel, Rock und Folklore umfasst. Als gute Entspannung zum Beruf betrachtet sie das Singen. "Von daher hätte mir etwas gefehlt, und ich bin froh über die Proben." Zudem wurde so auch die Struktur des regelmäßig am Mittwochabend gesetzten Termins beibehalten. "Das war mir wichtig."
Gemeinsames Singen draußen im Garten
Depprich ist von den Videos des Chorleiters begeistert. "Sie vermitteln einem das Gefühl, dass man ihn tatsächlich sieht." Und mittlerweile treffen sich auch einige Mitglieder der Grooving Voices in Kleingruppen draußen, um am Übungsabend zwar mit Abstand, aber gemeinsam zu proben. Heike Depprich hat bereits zweimal in einer Fünfergruppe mit Sopranistinnen und Altistinnen im Garten gesungen. "Das war einfach toll", freut sie sich über das Erlebnis, sich gegenseitig zu hören und zu sehen.
Ganz am Anfang der Corona-Krise hat der Chor zunächst versucht, Proben mit Hilfe eines Videokonferenz-Programms zu veranstalten. Doch die Versuche scheiterten, "denn da kann immer nur einer sprechen", erläutert Chorleiter Jürgen-Peter Merkel. "Die Videos, die man von Chören online findet, sind nicht live entstanden, sondern zusammengeschnitten." Daneben stellten sich zeitliche Verzögerungen bei der Internet-Übertragung als weiteres Problem heraus.
Zum Geburtstag ein Ständchen
Daher ist man bei den Grooving Voices froh, die virtuellen Proben per Dropbox veranstalten zu können. "Es ist schade, dass viele ältere, traditionelle Chöre die Möglichkeit nicht nutzen. Sie scheuen die Technik oder suchen nach Perfektion", glaubt Merkel. Seine Videos bezeichnet er als einfache Handyvideos, aber offensichtlich verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Denn viele Mitglieder singen mit, und die Stimmung ist weiterhin gut. "Es gibt Kommentare zu den Proben in unserer Chor-WhatsApp-Gruppe, dass es Spaß macht. Auch bekommen alle, die Geburtstag haben, ein Ständchen", empfindet Heike Depprich auf diese Weise trotzdem den Zusammenhalt und das Chorgefühl.
Nicht nur auf die Proben in der großen Gruppe müssen die Grooving Voices zurzeit verzichten. Im März hätte einer ihrer zwei Workshops im Jahr angestanden, doch diesmal konnten sie nicht gemeinsam übers Wochenende wegfahren. Zudem sind Teilnahmen an Festivals sowie Auftritte in Gottesdiensten, bei Trauungen und auf Festen befreundeter Chöre nicht möglich.
Großer Abstand schadet der Akustik
Wie es trotz der bereits in Nordrhein-Westfalen umgesetzten Lockerungen mit dem Chor weitergeht, vermag Jürgen-Peter Merkel im Moment nicht abzuschätzen. Schließlich ist das Singen in geschlossenen Räumen nach bisherigen Erkenntnissen mit einem erhöhten Risiko verbunden. "Der Chorverband NRW empfiehlt einen Abstand zwischen den Sängern von sechs Metern in Ausatemrichtung", so Merkel. Abgesehen davon, dass der Chorleiter grundsätzlich kein Risiko eingehen möchte, habe ein Chor bei solch einem Abstand "wegen der akustischen Raumverzögerung aber auch keine Chance".
Chormitglied Heike Depprich schätzt bei allen Nachteilen die Kreativität, die die Corona-Krise hervorbringt. "Warum kann ein Chor nicht mal im Autokino singen?", stellt sie Überlegungen an – von denen der Chorleiter allerdings noch nichts weiß.
Außerdem hat sie einen Vorteil der virtuellen Probe gegenüber der in der Gruppe festgestellt. "Man kann etwas so oft wiederholen, wie man möchte." Vor allem bei dem afrikanischen Lied "Baba Yetu", das die Grooving Voices zurzeit einstudieren, sei dies wegen der schwierigen Aussprache praktisch. Depprich kann sich daher vorstellen, dass der Chor diese intensiven Selbststudien per Video zusätzlich beibehält, auch wenn gemeinsame Proben im Gemeindehaus irgendwann wieder möglich sind.
Autor:Vera Demuth aus Bochum |
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