Ein Rheinländer als Ruhrbischof - Portrait des verstorbenen Hubert Luthe
Was mag diesem Mann wohl alles durch den Kopf gegangen sein, als sie ihm die Nachricht überbrachten? Ein spontanes „Ja, ich mach's“ konnten ihm die Herren vom Essener Domkapitel jedenfalls nicht entlocken. Ganz sicher empfand er Freude, an jenem 5. Dezember 1991. Freude über das große Vertrauen, das sie ihm mit ihrer Wahl entgegenbrachten. Doch nur zu gut wusste Hubert Luthe auch um die Last der Verantwortung, die auf ihn zukommen würde. Bischof – kein Amt, um das man sich reißt, wird er später sagen.
Erst 48 Stunden später war er sich sicher, das ihm angetragene Amt auch anzunehmen. Dass ihm der Abschied vom Rhein schwer fiel, hat der 1927 in Lindlar geborene Luthe damals nicht verhehlt. In Köln war er zur Schule gegangen, unter anderem im Rheinland hatte er studiert. Mehr als 38 Jahre war er als Priester mit dem Kölner Erzbistum verbunden – erst als Kaplan, später in Diensten von Kardinal Joseph Frings, als Regens des Kölner Priesterseminars, dann als Weihbischof und schließlich bis zur Wahl des Erzbischofs Kardinals Joachim Meisner auch als Diözesanadministrator seines Heimat-Bistums. Und jetzt Bischof von Essen? Bin ich dieser Aufgabe überhaupt gewachsen, hatte er sich gefragt und sein Alter bedacht. 64 Jahre – da wechseln andere in den wohlverdienten Ruhestand. In seiner ersten Pressekonferenz in Essen beschrieb er sich selbst als „neugierig von Wesen und Beruf her“. Vielleicht war das einer der Gründe, die Wahl anzunehmen. Eine Herausforderung, nicht zuletzt wegen seines verstorbenen Vorgängers Kardinal Franz Hengsbach. Dass er kein leichtes Amt antreten würde, war ihm bewusst. Gerade deshalb bat er die Menschen um Unterstützung. „Ich hoffe, dass wir uns vertragen und ertragen und die mittragen, die uns brauchen“, sagte er damals. Kein Satz eines Kirchenfürsten. Bischof Dr. Hubert Luthe suchte stets die Nähe der Menschen, wollte mit ihnen ins Gespräch kommen und ihr Vertrauen gewinnen. Vor allem aber stellte er immer wieder seine große Bereitschaft unter Beweis, anderen Menschen zuzuhören.
Als Kaplan zum Konzil
„Du suchst nicht das Laute und Marktschreierische, sondern das Wesentliche, die Mitte, das Zueinanderführen im Gebet und so das Zueinanderkommen im Brotbrechen und das neue Leben von dem Licht der Lehre der Apostel her“, so hatte Luthes Studienfreund Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. ihn anlässlich seines 25jährigen Bischofsjubiläums charakterisiert. Dass er an Bodenhaftung nie verloren hat, liegt sicher auch an seiner großen Familie. Luthe stammt aus Lindlar bei Köln. Dort wurde er als ältestes von acht Kindern eines Druckereibesitzers geboren. Er sei das Ergebnis einer „Mischehe“, erzählt Luthe zuweilen schmunzelnd. Der Vater war Wattenscheider, die Mutter Rheinländerin. Flakhelferzeit, Militärdienst und Kriegsgefangenschaft in Dänemark sind prägende Stationen seiner Jugendzeit. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, München und im Priesterseminar Bensberg (1946-1953) war er zwei Jahre lang Kaplan in Düsseldorf, danach kurze Zeit Religionslehrer in Köln.
Wenig später berief ihn der Kölner Erzbischof Kardinal Joseph Frings zu seinem Geheimsekretär. Luthe, der 1964 mit einer Arbeit über den evangelischen Religionsphilosophen Heinrich Scholz promoviert worden war, nahm als Helfer des fast erblindeten Kardinals als einziger Kaplan mit einer Sondergenehmigung von Papst Johannes XXIII. an den Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils teil. Die dort entwickelten Reformideen haben ihn zweifellos stark geprägt.
1968 übertrug ihm Frings die Leitung des Priesterseminars, und ein Jahr später ernannte Papst Paul VI. Luthe zum Titularbischof von Egabro in Spanien und zum Weihbischof in Köln. Mit seinem neuen Amt wurde ihm zugleich der Aufgabenbereich „Fragen der Glaubenslehre“ übertragen. Nach Einrichtung der Pastoralbezirke im Erzbistum Köln war er zudem für den nördlichen Teil, unter anderem mit den Städten Düsseldorf und Neuss, zuständig. Schon damals hatte Luthe einen festen Bezugspunkt in Essen, denn auch der Essener Stadtteil Kettwig gehörte zu seinem Sprengel. Am 18. Dezember 1991 schließlich folgte - für viele überraschend - offiziell die Ernennung zum Bischof von Essen.
Stilwechsel im jungen Ruhrbistum
Mit Luthe vollzog sich auf dem Essener Bischofssitz nicht nur ein Generations-, sondern zugleich ein Stilwechsel. 34 Jahre nach der Gründung des Ruhrbistums hielt der zweite Bischof von Essen Hengsbachs Andenken in Ehren, war gleichwohl aber „eher ein Team-Arbeiter als ein Maestro mit dem Hirtenstab“, wie es seinerzeit in einer Tageszeitung hieß. Für Luthe stand das Kreuz im Mittelpunkt seines Wirkens, wie er auch in seinem Wahlspruch zu erkennen gab: „Ut non evacuetur crux“ (Dass nicht das Kreuz abgetan werde). Doch hat der Essener Bischof ebenso immer wieder unter Beweis gestellt, dass er sich Neuerungen gegenüber offen zeigte. Dabei verlor er das große Ziel nie aus den Augen: Gott selbst als den Helfenden, Heilenden und Rettenden zu erkennen, so hatte er in seiner ersten Predigt bei seiner Amtseinführung betont. Dahinter verbarg sich seine immer wieder geäußerte Sorge, man rede in der Kirche „zuviel über die Verpackung und zu wenig über den Inhalt“.
Kein Wunder, dass es die Journalisten mit ihm oft nicht leicht hatten. Getreu seinem Motto „Sehen, urteilen, handeln“ neigte Luthe weder zu effektvollen „Schüssen aus der Hüfte“, noch gar zur Anbiederung bei den Medien. Sein Image, sagte er, sei ihm „gewiss nicht ganz egal“, aber er sei skeptisch, ob das Wesentliche auf dem Weg der Public Relations zu vermitteln sei. Seine Einsicht, dass Kirche in ihrer Selbstdarstellung „offensiver“ werden müsse, war davon allerdings unberührt.
Luthes Zurückhaltung in den Medien hat ihm mancherorts Kritik eingetragen. Mag sie ihn zuweilen auch verletzt haben, irritiert haben ihn die Kritiker nicht. Er war bei den Menschen „vor Ort“, wie sie so gerne im Ruhrgebiet sagen. Gleich nach seinem Amtsantritt hatte er die damals 29 Dekanate des Ruhrbistums besucht und sich dort immer wieder auch Diskussionen gestellt. Kein Wunder, dass der Terminplan des Bischofs dem eines Top-Managers glich, zumal Luthe auch noch den Kommissionen für Glaubensfragen sowie Wissenschaft und Kultur der Deutschen Bischofskonferenz angehörte. Zudem war er über drei Jahrzehnte Beauftragter der Bischofskonferenz für das Cusanus-Werk, eine kirchliche Stiftung für Studenten.
Kooperationsplan für alle Gemeinden im Bistum Essen
Seine Verbundenheit mit den Bergleuten hat er mehrfach unter Beweis gestellt. Immer wieder bekannte er sich zum Einsatz für den Erhalt der Arbeitsplätze und redete den verantwortlichen Politikern in Düsseldorf, Bonn und Brüssel ins Gewissen. Immerhin hätten die Bergleute und ihre Familien in Krisenzeiten den Kopf hingehalten und verdienten nun Solidarität.
Mit Sorge erfüllte Luthe die Zukunft seines Bistums. Längst zeichnete sich ab, dass aufgrund drastisch gesunkener Kirchensteuer-Einnahmen Dienste eingeschränkt, Einrichtungen geschlossen und Stellen abgebaut werden mussten. Er wusste, dass daran kein Weg vorbeiführen wird. Umso mehr war er sich seiner großen Verantwortung bewusst: Wer, wie die Kirchen, anderen ins Gewissen rede, müsse sich selbst an den eigenen Maximen messen lassen.
1997 setzte Luthe einen flächendeckenden und alle Gemeinden einbeziehenden Kooperationsplan für das Bistum in Kraft. Dieser Plan legt fest, welche benachbarten Gemeinden sogenannte „Kooperationseinheiten“ bilden und zukünftig in pastoralen Aufgabenbereichen zusammen arbeiten werden. „Wir können in einem Bistum, das seit seiner Gründung ein Drittel seiner Gläubigen verloren hat, nicht die gleichen pastoralen Strukturen bewahren wie vor vier Jahrzehnten“, unterstrich der Bischof. Damit setzte er den Schlusspunkt unter einen langen Beratungsprozess, den er bereits kurz nach seiner Amtseinführung in Gang gesetzt hatte. Und er vertraute dabei auf die Einsicht aller, dass auf dem Wege der Kooperation zusammenwächst, was zusammen gehört. Forsche Kommandos waren eben nicht des Bischofs Sache.
Plädoyer für Verbleib in der Schwangerenkonfliktberatung
Auf Argumente setzte Luthe auch in der Diskussion um den Verbleib der Katholischen Kirche in dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung. „In meiner dreißigjährigen Amtszeit als Bischof bin ich keiner Gewissensentscheidung ausgesetzt gewesen, die mich so sehr beansprucht hat wie diese“, bekannte er in einer Pressekonferenz. Dabei wusste er sich an sein gegebenes Wort gebunden, auch weiterhin den in Not geratenen Frauen in der Konfliktberatung zur Seite zu stehen. Luthe: „Wir werden es auch künftig in der Beratung, Begleitung und Hilfe der Frauen an Großherzigkeit nicht fehlen lassen.“
Viele weitere Ereignisse, Entwicklungen und Initiativen bleiben mit dem Namen des zweiten Ruhrbischofs verbunden: der Partnerschaftsvertrag mit dem Erzbistum Kattowitz (Polen), die Gründung des Hilfsfonds der Priester im Bistum Essen, die Errichtung der Jugendstiftung und die Seligsprechung von Nikolaus Groß am 7. Oktober 2001, um nur einige herausragende Beispiele aufzuzählen. Zweifellos hat Hubert Luthe in den zehn Jahren seines bischöflichen Wirkens dem Bistum Essen seinen Stempel aufgedrückt - und ist seinem Ruf stets treu geblieben: ein Seelsorger mit großer persönlicher Glaubwürdigkeit zu sein. Offen, verbindlich und herzlich.
Am 22. Mai 2002 vollendete Hubert Luthe sein 75. Lebensjahr. Aus diesem Anlass bat er den Papst, ihn - entsprechend dem Kirchenrecht - aus Altersgründen von seinem Amt als Bischof von Essen zu entpflichten. „Die Zeit ist gekommen, dass ich gehe“, schrieb Luthe in seinem Abschiedshirtenwort und bekannte zugleich, dass ihm der Abschied nicht leicht falle: „Ich gehe und bleibe zugleich bei Ihnen“, kündigte er an – und sollte Wort halten. Denn mit dem Ruhestand verband Luthe vor allem die Möglichkeit, seine Termine selbst auswählen zu können. Wer den Altbischof in seinem Arbeitszimmer besuchte, traf Luthe auch lange nach seiner Emeritierung noch zwischen Büchern, Briefen und seiner Unterschriftenmappe an. „Ich helfe gerne“, sagt Luthe dann – wohlwissend, dass seine Hilfe noch immer erwünscht war, sei es im Ruhrbistum oder seiner Heimatdiözese Köln, ob als Prediger oder Liturge. Nach seiner Emeritierung war Hubert Luthe zunächst nach Hattingen-Niederwenigern gezogen, zuletzt lebte er in Essen-Steele. Im Alter von 86 Jahren starb er am 4. Februar 2014 in einem Essener Krankenhaus.
Autor:Holger Crell aus Wattenscheid |
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