Vom Siegerland in die Lohrheide
Fußball verbindet. Die Weltmeisterschaft in Brasilien bannt Familien und Freunde vor den Fernseher und vereint einander fremde Menschen zum „Rudelgucken“ beim Public Viewing. Doch die echte Liebe zu diesem Sport kommt vor allem im Ligaalltag zum Ausdruck, wenn die Fans für ihren Verein durch dick und dünn gehen.
Es gibt im Ruhrgebiet Vereine, die Fußballgeschichte geschrieben haben. Jedes Wochenende pilgern tausende Fans zu den Bundesligaspielen von Schalke 04 und Borussia Dortmund. Die beiden Großclubs haben ihre Anhänger nicht nur in der Region, sondern in ganz Deutschland.
Daneben haben es die anderen Ruhrgebietsclubs schwerer. Die Glanzzeiten des VfL Bochum, des MSV Duisburg und von Rot-Weiß Essen sind lange vorbei. Kaum einer kann sich noch daran erinnern, dass Rot-Weiß Oberhausen und die SG Wattenscheid 09 mal Erste Bundesliga gespielt haben.
Zu den Heimspielen von 09 verlieren sich heute ein paar hundert Zuschauer. Für drei von ihnen – man mag es kaum glauben – sind die Heim- eigentlich Auswärtsspiele, denn sie kommen nicht aus dem Ruhrgebiet, geschweige denn aus Wattenscheid, um ihren Verein zu unterstützen.
Seit 20 Jahren befreundet
„Es ist eigentlich unglaublich“, erzählt Sven Schimanski. „Wir haben uns 1994 im Zug kennen gelernt. Seitdem sind wir miteinander befreundet.“ Damals, in der Rückrunde der bislang letzten Erstligasaison der Schwarz-Weißen, gründete Schimanski gemeinsam mit Markus Kratzel und Claus Breuer den wohl kleinsten Fanclub im Umfeld der SGW, der zudem die mutmaßlich weiteste Anreise hat: den 09-Fanclub Siegerland.
Der damalige Abstieg, der den Niedergang des Vereins bis in die sechste Liga einleitete, konnte der Leidenschaft der drei Freunde keinen Abbruch tun. In der vergangenen Saison begleiteten die drei ihre SGW zu Spielen gegen Traditionsvereinen wie Alemannia Aachen, gegen Provinzclubs wie den SC Wiedenbrück und auch gegen den Lokalrivalen VfL Bochum – wenn auch nur die „Zweite“ des VfL – und konnten am Ende den Klassenerhalt von Wattenscheid 09 in der Regionalliga feiern.
Kleinster Fanclub mit größter Fahne
Dabei mussten sie viele Kilometer Anreise in Kauf nehmen. Der gebürtige Wattenscheider Sven Schimanski lebt in Kirchhundem im Sauerland, Markus Kratzel in Netphen im Siegerland. Der Heidelberger Claus Breuer wohnt mittlerweile in Essen, hatte aber lange Zeit die weiteste Strecke zu absolvieren.
Gut sichtbar sind sie bei den Spielen vertreten. Mit drei Mann bilden sie zwar den kleinsten Fanclub. „Dafür haben wir die größte Fahne in der Lohrheide“, sagt Schimanski nicht ohne Stolz.
20 Jahre sind nach der Gründung des Fanclubs vergangen. Von denkwürdigen Champions-League-Spielen oder gewonnenen Meisterschaften und Pokalen können die Anhänger der SGW nur träumen. Doch auch sie haben schöne Erlebnisse mit ihrem Verein gehabt. Da wäre der 16. Mai 1992. Am letzten Spieltag ihrer zweiten Bundesligasaison schlagen die Wattenscheider in der Lohrheide Borussia Mönchengladbach mit 3:2 nach 0:2-Rückstand. Uwe Tschiskale gelingt in der 60. Minute der Siegtreffer. Wäre das Spiel unentschieden ausgegangen, dann hätten die Stuttgarter Kickers den Klassenerhalt feiern können und die 09er wären abgestiegen.
"Holt euch was zu essen, Jungs"
Sven Schimanski erinnert sich auch an persönliche Begegnungen: „Das treffen mit Klaus Steilmann, das war ein besonderes Ereignis.“ Der langjährige Mäzen hatte mit seinem finanziellen Engagement den Erstligisten Wattenscheid 09 überhaupt erst möglich gemacht. Oder Ex-Trainer Jupp Tenhagen, der den damals Jugendlichen mit den Worten „Jungs, holt euch was zu essen für die Heimfahrt“ etwas Geld zusteckte. Während die großen Traditionsvereine immer professioneller werden, bleibt der vergleichsweise kleinen SGW immerhin, ein familiärer Club geblieben zu sein.
Die Weltfußballgemeinde hat derzeit die WM in Brasilien im Blick. Bei Wattenscheid 09 wird derweil die Zukunft geplant. Erst kürzlich (der Stadtspiegel berichtete) wurde eine Kooperation mit dem türkischen Spitzenclub Galatasaray Istanbul beschlossen. Beim 09-Fanclub Siegerland keimen auch deshalb zarte Hoffnungen für eine sportlich bessere Zukunft. „Ich bin optimistisch, dass der Klassenerhalt geschafft wird. Das werden sie auch packen“, meint Sven Schimanski in Hinblick auf die kommende Saison. „Durch die Kooperation mit Galatasaray finde ich, dass Wattenscheid eine gute Zukunft hat.“
Klassenerhalt im Blick
Und wird die SGW jemals wieder Bundesliga spielen? „Vom Zuschauerpotential gehört Wattenscheid eigentlich nicht in die erste oder zweite Liga“, zeigt sich Schimanski realistisch. Die dritte Liga hält er allerdings in ein paar Jahren für möglich.
Doch zunächst steht der erneure Klassenerhalt in Liga Vier auf dem Programm. Wattenscheid 09 wird die kommende Saison mit einem neuen Trainer angehen. Der Wechsel von Erfolgscoach André Pawlak, unter dem die SGW zwei Aufstiege feierte, hin zu Christoph Klöpper wird im Umfeld misstrauisch beäugt. „Ich denke“, meint Sven Schimanski, „man sollte ihm eine faire Chance geben.“
Autor:Sascha Ruczinski aus Schwelm |
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