Stadtspiegel-Interview mit den neuen SGW-Vorständen Christian Fischer und Christian Pozo
Alles muss auf den Prüfstand
Sie haben eine Herkulesaufgabe zu bewältigen. Die neuen SGW-Vorstände Christian Fischer und Christian Pozo y Tamayo wollen das leckgeschlagene SGW-Schiff wieder auf Kurs bringen. Im Stadtspiegel-Interview gaben sie Auskunft.
Es gibt angenehmere und ganz sicher auch einfachere Aufgaben, als einen Traditionsverein zu übernehmen, der haarscharf vor der Auflösung stand. Wie zeitintensiv ist es momentan, sich einen vernünftigen Einblick ins „Kassenleben“ des Vereins zu verschaffen?
Fischer: Den Finanzbedarf der Nachwuchsabteilung hat uns die Insolvenzverwalterin Frau Dr. Commandeur sehr transparent vor Augen geführt. Alles, was darüber hinaus geht, liegt zum heutigen Tage noch nicht in unserer Hand. Unsere vorrangige Aufgabe ist eine solide Finanzierung der Jugend, für die es einen definierten Etat geben wird.
Pozo y Tamayo: Parallel dazu werden natürlich auch Gespräche über eine erste Herrenmannschaft und deren mögliche Finanzierung geführt. Aber wir gehen einen Schritt nach dem anderen. In den ersten Gesprächen mit der Insolvenzverwalterin, als es noch um eine mögliche Konsolidierung und Rettung des Gesamtvereins mit der Regionalligamannschaft ging, wurde uns ein Zahlenwerk präsentiert, das einfach nur erdrückend war. Die Zahlen kennen wir im Detail, aber das ist auch Vergangenheit.
Sparen und planen mit Augenmaß kann jetzt eigentlich nur die Devise sein. Mit welchem Konzept werdet ihr in die Jahreshauptversammlung am 11. Dezember gehen?
Fischer: Wir befinden uns in einer schwierigen Situation, der Verein muss im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens saniert werden. Formal gesehen trägt dafür die Insolvenzverwalterin die Verantwortung. Wir werden im Hintergrund dafür sorgen, dass der Verein eine positive Fortführungsperspektive erhält. Und das geht nur mit einer nachhaltigen Finanzplanung und stabilen, neuen Strukturen. Und wir müssen offen mit unseren Mitgliedern kommunizieren. Anders wird es nicht gehen.
Offen kommunizieren
Pozo y Tamayo: Ich habe die große Hoffnung, dass bei allem Schaden, den eine Insolvenz so hinterlässt, auch endlich wieder eine gewisse Aufbruchsstimmung geweckt wird. Ich weiß, dass viel Vertrauen verloren gegangen ist. Wir sind ja auch nicht die ersten, die sich da hinstellen und erzählen, was man alles besser machen kann oder muss. Aber wir wollen und werden uns dieses Vertrauen als Verein, als Geschäftspartner und auch als Arbeitgeber in kleinen Schritten wieder erarbeiten.
Die Frage, die derzeit am meisten diskutiert wird rund um die Lohrheide: In welcher Spielklasse startet die SGW in der neuen Saison? Was ergibt sportlich Sinn? Und was ist finanziell vertretbar?
Pozo y Tamayo: Das ist jetzt der berühmte Blick in die Glaskugel. Wir können diese Frage am heutigen Tage definitiv nicht seriös beantworten. Wir befinden uns in der komfortablen Situation, dass wir uns sportlich für die Oberliga qualifiziert haben. Eine Wattenscheider Oberligamannschaft kann und darf es aber nur geben, wenn wir guten Gewissens sagen können, dass die erforderlichen Mittel dafür da sind.
Fischer: Das ist ein wichtiger Eckpfeiler unseres Konzepts. Wir werden den Fußball anbieten, den wir uns leisten können. Für alles andere stehen wir als Vorstand definitiv nicht zur Verfügung. Jeder potenzielle Sponsor, der beim Neustart mitwirken möchte, ist herzlich eingeladen, sich mit uns auszutauschen, um eine erste Mannschaft aufzubauen.
Man kann zwar nicht auf eine „Reset“-Tast drücken und völlig bei Null anfangen. Aber wie habt ihr in den letzten Wochen die Stimmung in und um Wattenscheid herum wahrgenommen – auch hinsichtlich des Sponsorings?
Pozo y Tamayo: Da muss man differenzieren. Es gab beim Versuch der Rettung des Gesamtvereins inklusive der Regionalligamannschaft einige Runden an sehr großen Tischen. Da waren zu Beginn um die 30 potenzielle Geldgeber dabei. Beim nächsten Treffen war der Tisch nur noch halb gedeckt. Am Ende ist man mit leeren Händen aus der Runde gegangen. Die Stimmung um den Verein wurde in dieser Phase von Tag zu Tag bedrückender.
Fischer: Dann kam das letzte Spiel gegen die Fortuna U23, und wir haben den Entschluss gefasst, dass wir zumindest den Verein mit seinem Namen, seiner Geschichte und seiner Nachwuchsabteilung vor dem endgültigen Ende bewahren mussten. Wir haben im Stadion und auch in den darauffolgenden Tagen in unserem persönlichen Umfeld Leute angesprochen und zumindest um eine Unterstützung für die Jugend gebeten. Und da bot sich ein komplett anderes Bild. Die Leute waren spontan und unbürokratisch bereit, sich finanziell am Neustart zu beteiligen. Da erlebten wir also eine ganz andere Stimmung als in den Wochen zuvor.
Farat Toku hatte vor dem Aus mit euch schon Gespräche geführt. Ist er immer noch involviert?
Pozo y Tamayo: Wir sind sehr ehrlich miteinander umgegangen. Auch als sich abzeichnete, dass die Abmeldung der ersten Mannschaft wohl alternativlos ist. Natürlich hat er einige Tage gebraucht, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Aber an unserem freundschaftlichen Verhältnis hat das nichts verändert. Wir kennen uns schon einige Jahre und stehen weiter regelmäßig in Kontakt. Ich kann nur sagen, dass Farat hier jederzeit herzlich willkommen ist und ihm alle Türen offen stehen.
Farat bleibt ein Stück 09
Fischer: Farat Toku ist und bleibt ein Stück Wattenscheid 09. Neben seiner sportlichen Kompetenz haben wir auch eine große Wattenscheider Persönlichkeit verloren. Ich würde mich sehr freuen, wenn Farat uns auch weiterhin beratend zur Seite steht und ich bin davon überzeugt, dass er seinen Weg gehen wird.
Thema Lohrheidestadion: Aus finanziellen Gründen sind Heimspiele dort kaum noch zu stemmen. Der Imageverlust für den Verein wäre aber riesengroß. Gibt es vielleicht die Möglichkeit einer abgespeckten, preiswerteren Lohrheide-„Light“-Version?
Pozo y Tamayo: Nach heutigem Stand würden wir bei einem Heimspiel, das weniger als 400 Leute besuchen, ein Verlustgeschäft machen. Der Grund ist unter anderem das Sicherheitskonzept, das für die Lohrheide verbindlich gilt und eine gewisse Anzahl an professionellen Sicherheitskräften fordert. Wenn wir von der Sanierung des Vereins sprechen, dann muss man leider auch solche Dinge ansprechen. Ende des Monats wird es eine erste Sitzung mit Vertretern der Stadt geben. Eventuell bekommen wir es ja hin, zusammen mit Polizei, Feuerwehr, Rettungskräften und der Stadt, ein neues Sicherheitskonzept für das Stadion zu erarbeiten. Sollte das aber nicht der Fall sein, ist ein Umzug bei Spielen, bei denen weniger als 400 Zuschauer erwartet werden, eine logische Folge.
Unpopuläre Entscheidung
Fischer: Das ist in einem solchen Fall natürlich eine unpopuläre Entscheidung. Aber da sind wir wieder beim Thema der nachhaltigen Finanzplanung. Vor wenigen Tagen haben wir uns alle noch die Frage gestellt, ob es den Verein heute überhaupt noch gibt, jetzt entbrennt schon eine Diskussion über fehlenden Komfort am Nachwuchszentrum an der Berliner Straße. Ein langfristiges Ziel ist es übrigens, die Anlage dort wieder herzurichten. Nicht zuletzt weil auch die Jugend als Hauptnutzer in Zukunft einen anderen Stellenwert innerhalb dieses Vereins genießen wird. Aber auch das schaffen wir nicht allein, dafür benötigen wir Unterstützung. Jeder, der anpacken möchte, ist herzlich willkommen.
Zum Abschluss: Habt Ihr Euch ein Zeitfenster gesetzt, um in die konkreten Planungen für die Saison 20/21 einzusteigen?
Fischer: Am 11. Dezember werden wir unsere Gedanken und unser Konzept den Mitgliedern vorstellen. Sofern es bei dieser Veranstaltung einen Konsens gibt, werden wir, natürlich in enger Abstimmung mit Frau Dr. Commandeur, in unseren Planungen konkreter.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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