„Prüft alles und das Gute behaltet“ - Das Grußwort zum Jahreswechsel schrieb Pastor Dr. Uwe Gerstenkorn

Pfarrer Dr. Uwe Gerstenkorn

Liebe Leserin, lieber Leser!
Gehören Sie zu den „Behaltern“ oder den „Entsorgern“? Sind Sie eher jemand, der an seinen Sachen hängt und die Erinnerungen nicht loslassen will, die damit verbunden sind? Oder fällt es Ihnen nicht schwer sich zu trennen, wenn etwas seinen Zweck erfüllt hat? Die Zeit „zwischen den Jahren“ ist für viele eine Zeit zum Entrümpeln und Aufräumen. Manch einer hofft so, mit frischer Kraft und Elan ins neue Jahr zu starten.
„Prüft alles und das Gute behaltet.“, rät der Apostel Paulus. Er hat dabei nicht den Schreibtisch oder das Kellerregal vor Augen. Aber es geht ihm ums Aufräumen. In der griechischen Stadtgemeinde Thessaloniki herrscht Unordnung. Viele fragen sich, wie es weitergehen soll. Die Gemeinde ist noch jung und muss erst noch zusammenwachsen. Immer wieder melden sich Menschen zu Wort, die an allem herummäkeln und alles in Frage stellen. In dieser Situation macht Paulus Mut zum Aufräumen.
„Prüft alles und das Gute behaltet.“ Damit ermutigt uns Paulus, beim Aufräumen alles in die Hand zu nehmen, um dann zu unterscheiden: Was hat sich bewährt und ist wirklich wichtig? Worauf können wir aber getrost verzichten, weil es uns den Blick verstellt und uns unnötig belastet? Wir sollen aufräumen in unserem Leben. Nur so bekommen wir überhaupt wieder Platz für Neues. Nur so werden wir wieder etwas finden. Uns selbst. Und Gott.
Im zurückliegenden Jahr haben wir immer wieder besorgt auf die finanzielle Situation unserer Stadt geblickt. Es muss gespart werden. Das bestimmt zur Zeit die Diskussion in allen gesellschaftlichen Bereichen – auch in den Kirchengemeinden. Im kommenden Jahr gilt es, weiter nach Wegen zu suchen für die Zukunft der Kleinsten in den Kindergärten, für unsere Schulen und öffentlichen Einrichtungen. Es steht alles auf dem Prüfstand und es stellt sich die Frage, was im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig ist.
Mit dem Bibelwort für das Jahr 2012 schreibt uns Paulus einen wichtigen Grundsatz auf die erste Seite des Kalenders: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Damit ist klar, auf welcher Seite Gott steht. Er bezieht Position für die, die ansonsten kein gewichtiges Wort mitzureden haben. Ihnen sollte die Solidarität der anderen gehören. So sollten die Notschlafplätze für wohnungslose Menschen in der Swidbertstraße erhalten bleiben anstatt dieses wichtige Angebot nur noch am Stadion an einer Stelle in der Stadt vorzuhalten.
Wenn wir also aufräumen müssen, dann mit dem rechten Maß – im großen Ganzen wie im Privaten und ganz Persönlichen! Das könnte doch auch ein guter Vorsatz für das neue Jahr sein: nicht immer Stärke zu markieren, sondern sich selbst und vielleicht auch anderen gegenüber auch mal Schwäche einzugestehen.
Paulus ging dieses Wagnis ein. Er ist mit großem Erfolg eingetreten für die Sache Jesu und gründete die ersten christlichen Gemeinden in der heutigen Türkei und in Europa. Aber er hat dabei auch erfahren, was alles schief laufen kann und welche Konflikte untereinander entstehen können. Paulus verdrängt seine Schwäche nicht. Ja, er erkennt: wo ich als Mensch nicht versuche, jede Schwäche zu überspielen und Stärke vortäusche, da kann ich die Kraft erfahren, die Gott mir gibt. Das heißt aber nicht: Gott will, dass wir schwach sind, ohnmächtig und klein. Ganz im Gegenteil. Es ist wie in einer Freundschaft oder Liebesbeziehung: Die Freundschaft oder Liebe gilt nicht nur den Stärken und Leistungen des anderen. Sie gilt ihm oder ihr mit allen Fähigkeiten und Schwächen.
Wenn wir wie Paulus verstehen, dass es Gott nicht um unsere eigene Stärke und Leistung geht, sondern um uns selbst, dann erfahren wir eine ganz neue Kraft. Dann wird uns eine Kraft zuteil, die auch in unseren schwachen Momenten wirksam ist. Und dann erleben wir, dass wir uns anderen zuwenden können, die Schwäche zeigen, um ihrer selbst willen.
Das ist eine gute Grundlage für das Zusammenleben von Alten und Jungen, Armen und Reichen, den Menschen aller Religionen und Kulturen in unserem Stadtbezirk. Das sollten wir uns behalten und nicht leichtfertig entsorgen!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gutes Jahr 2012 und grüße Sie herzlich!
Ihr Pastor Uwe Gerstenkorn.

Autor:

Lokalkompass Wattenscheid aus Wattenscheid

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