Für ein eigenständiges Wattenscheid

Wattenscheid, Fußgängerzone | Foto: HJW. Wikipedia

Die Stadt Bochum leidet an einem Geburtsfehler. Das Bochum von heute entstand aus den Städten Bochum und Wattenscheid, die am 1. Januar 1975 zusammengeschlossen wurden. Nie aber ist aus Bochum und Wattenscheid wirklich eine Stadt geworden. Nach wie vor sind wir zwei Städte, seit nunmehr 38 Jahren. Die Wattenscheider wollen auch heute nicht Bochumer sein. 1975 haben 71,43 Prozent dagegen gestimmt Bochumer zu werden und viel kleiner wird die Zahl vermutlich heute immer noch nicht sein. Der Andrang bei den neuen „WAT“-Kennzeichen zeigt deutlich, das Herz der Wattenscheider schlägt für ihre Stadt, nicht für Bochum.

72.500 Menschen leben in Wattenscheid, dass ist etwa ein Fünftel der Einwohner der Gesamtstadt Bochum. Dieses Fünftel identifiziert sich auch heute nicht mit der Stadt. Aber dieses Fünftel wird auch beharrlich von Bochum vernachlässigt. Für die Stadtoberen gibt es nur Bochum, Wattenscheid findet allenfalls am Rande statt.

Das sieht man Wattenscheid an. Der Bahnhof herunter gekommen, die Innenstadt zumeist öd und leer. Die ganze Stadt führt ein Schattendasein. Auch im Masterplan Einzelhandel wird sie jetzt abgestuft vom Sonderstadtbezirkszentrum zum gewöhnlichen Stadtbezirkszentrum. Auf einer Stufe wie Linden. Die Bevölkerungsabnahme in Wattenscheid ist noch dramatischer als in Bochum. Die Schülerzahlen nehmen in den nächsten 10 Jahren um fast ein Viertel ab.

Fließt in Bochum Geld in den Einzelhandel, dann wird es in die Bochumer Innenstadt gepumpt. U-Bahnhöfe, Boulevard, Parkhäuser, neu gestalteter Marktplatz, neues Bermudadreieck, alles neu in der City, aber nichts entscheidend neues in Wattenscheid. Der August-Bebel-Platz, der den Namen Platz nicht verdient, steht symptomatisch für die ganze Entwicklung der Stadt, die irgendwann kurz nach 1975 aufgehört haben muss: Quer über den Platz gezogen eine 4-spurige Straße mit angrenzendem Haltestreifen für Busse, die Fußgänger kaum überqueren können, auf die eine Seite einen Parklatz gepackt, auf die andere einen Brunnen gequetscht, wohl weil nur noch da ein wenig Platz war. Die Hochbeete in der Fußgängerzone bröckeln. Für eine ordentliche Bepflanzung ist Bochum wohl das Geld zu schade. Der Alter Markt gesäumt von einem Sammelsurium ideenloser Gebäude und Baulücken. Nur die Apotheke erstrahlt in einem alten Stadthaus. Das gesichtslose Getrudiscenter, das den Platz dominiert, nimmt der Stadt die Kunden. Drinnen ist’s proppenvoll, doch kaum einer drängt auf den Marktplatz. Die Menschen kommen mit dem Auto ins Center und flüchten nach dem Einkauf gleich wieder auf demselben Weg. Die Innenstadt lockt nicht. Lieblos das Rad vom Förderturm am Rand des Platzes aufgebockt. Bepflanzung wie gehabt: Hochbeete, wahllos am Rande des Platzes aufgestellt, so dass sie sowohl im Blick wie im Weg stehen.

Alles in allem ein trauriger Anblick mit nicht wenigen niedergedrückten und wütenden Menschen. Viele Wattenscheider fühlen sich von Bochum missachtet, liegen gelassen und ignoriert. Spricht man mit ihnen, bringen die meisten deutlich zum Ausdruck, dass sie mit Bochum nichts zu tun haben wollen, sich von Bochum im Stich gelassen fühlen und nichts von Bochum erwarten. Wenn die SG 09 nicht in ihrem Stadion spielen kann, weil dort der neue Rasen noch nicht bespielbar ist, dürfen die Wattenscheider natürlich nicht ins Ruhrstadion ausweichen, weil das zu teuer wird. Das bleibt hängen. Die Stimmung in der Stadt ist lethargisch.

Wattenscheid ist ein Fünftel von Bochum, das sich nicht zur Gesamtstadt zugehörig fühlt, ein Fünftel, dass sich seit 1975 von Bochum ausgesaugt fühlt und Bochum seit jeher als fremd wahr nimmt, als Nachbarstadt, die sich auf Kosten ihrer eigenen Stadt bereichert hat. Hatte das Land bei der Eingemeindung 1975 geglaubt, dass dieses Problem sich auswächst, so sieht man heute, dass Wattenscheider und Bochumer sich nicht etwa angenähert haben, sondern sich die Haltung von 1975 in das Bewusstsein der Menschen über 38 Jahre lang vielmehr eingebrannt hat.

Wie aber kann eine Stadt funktionieren, in der es eine zweite Stadt gibt, die sich gar nicht mit der Gesamtstadt identifiziert?

Es funktioniert schlecht, in vielen Teilen gar nicht. Instinktiv wird fast alles, was aus Bochum kommt, in Wattenscheid abgelehnt. Die Wattenscheider fühlen sich entmündigt und viele haben es aufgegeben sich für ihre Stadt zu engagieren, die es auf dem Papier ja gar nicht mehr gibt. Sich von der Stadt Bochum reinreden zu lassen, was Wattenscheid haben darf und was nicht, dafür sind viele nicht zu haben.

Unter diesen Bedingungen ist eine angemessene Stadtentwicklung von Wattenscheid fast unmöglich. Wie will man eine positive Bevölkerungsentwicklung erreichen, wenn die Menschen in einer Stadt leben, in der sie unter den gegebenen politischen Bedingungen eigentlich gar nicht leben wollen.

Die Entwicklung von Wattenscheid muss aber ein Grundanliegen der Stadt sein. Nach 38 Jahren bleibt nur das Fazit ziehen, dass Bochum nicht in der Lage war, das Erforderliche zu leisten. Befindet sich Bochum wirtschaftlich in einer schwierigen, ungewissen Lage, so geht die Entwicklung von Wattenscheid seit 1975 konsequent nur in eine Richtung, steil nach unten.

Es kann nicht sein, dass die Entscheidungen in einer Stadt von 72.500 Einwohnern gegen ihren Willen von einer anderen Stadt getroffen werden. Läge Wattenscheid in Schleswig-Holstein wäre es die 5. größte Stadt des Landes. Die Entscheidungen für Wattenscheid sollten in Wattenscheid selbst fallen, sie müssen von den Wattenscheider Bürgern gefällt werden.

Damit Wattenscheid die Chance auf eine eigene Entwicklung bekommt, muss die Stadt die Möglichkeit bekommen, wieder eigenständig zu werden. In einer Bürgerabstimmung ist zu klären, ob die Stadt wieder selbständige Stadt werden soll. Ist dies der Fall muss dies von Bochum und dem Land NRW akzeptiert werden. Wattenscheid und Bochum sollten in vielen Bereichen Partner bleiben bzw. werden. Gemeinsame Ämter, städtische Gesellschaften sollten beide Städte gemeinsam betreiben. Die Entscheidungen über die Stadtentwicklung Wattenscheids gehört, wenn die Wattenscheider dies wollen, aber in die Hand des Stadtrates von Wattenscheid und der Bürger von Wattenscheid.

Nehmen die Wattenscheider die Entwicklung ihrer Stadt wieder selbst in die Hand, wird das in der Stadt Motivation schaffen, die Wattenscheider werden eigene Akzente in ihrer Stadt setzen, denn sie wissen am besten, was die Stadt braucht und wo investiert werden soll und welche Entwicklungen voran gebracht werden sollen.

Aber auch Bochum kann von einer Abspaltung von Wattenscheid profitieren. Die Verpflichtung und Belastung fällt weg, eine Stadt zu entwickeln, deren Bürger Entscheidungen aus Bochum nicht wollen und häufig auch nicht akzeptieren.

Im Endeffekt kommt es nicht darauf an, dass eine Stadt besonders viele Einwohner hat. Entscheidend ist, dass die Bürger die Angelegenheiten ihrer Stadt, der sie sich zugehörig fühlen, selbst bestimmen.

Dieses Recht ist den Wattenscheidern zuzugestehen. Nach nunmehr 38 Jahren ist es lange überfällig den Wattenscheidern die Möglichkeit zu geben, darüber zu bestimmen, in welcher Stadt sie leben wollen, in Bochum oder in Wattenscheid.

Volker Steude, BÄH-Bürger
(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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