Zwischen Gretel Adorno und Doktor Faustus


Andreas Maiers Roman „Die Universität“


Andreas Maier hat die nächste literarische Etappe seiner großen autobiografischen Lebensrundfahrt bewältigt. Der Roman „Die Universität“ ist der sechste von elf geplanten Bänden des autobiografischen Mammutprojektes mit dem Arbeitstitel „Umgehungsstraße“. Über Kindheit, Jugend und Pubertät in der hessischen Wetterau – ein Landstrich zwischen Gießen und Frankfurt – haben die Vorgängerwerke „Das Zimmer“ (2010), „Das Haus“ (2011), „Die Straße“ (2013), „Der Ort“ (2015) und „Der Kreis“(2016) des 1968 in Bad Nauheim geborenen Autors berichtet.

Nun hat sich der Lebensmittelpunkt des Studienanfängers (Philosophie, Musikwissenschaften und Germanistik) also in die Metropole Frankfurt verlagert – räumlich nicht weit von der Heimat entfernt und doch ein völlig anderer Kosmos. Autor Andreas Maier blickt mit einer Ich-Verdoppelung auf die späten 1980er Jahre zurück. Aus dem Zimmer seines verstorbenen Onkels, das aus den Vorgängerwerken hinlänglich bekannt ist und wie ein ritueller Rückzugsort wirkt, lässt er einen räsonierenden Erzähler auf den jungen Studienanfänger zurück blicken.
Der Student taucht mit Haut und Haaren in die sich ihm öffnende Welt der Geisteswissenschaften ein. Er hört Vorlesungen von Karl Otto Apel, verschlingt Thomas Manns „Doktor Faustus“, und seine zaghaften Schreibübungen werden durch Beckett beeinflusst. Das Nichts als Inhalt, und konturlose Figuren, die anscheinend regungslos dieses Nichts bevölkern, schwirren durch den permanent überforderten Kopf des Ich-Erzählers.
Nebenbei pflegt er eine "sich in Auflösung befindliche Frau" . Dabei handelt es sich um die betagte Gretel Adorno (1902-1993), Witwe des großen Philosophen Theodor W. Adorno, in der der Protagonist eine geistige Verbündete fand, die hartnäckig ein kleines Stück Ich verteidigte.
„Ich, das ist der Mittelteil des Wortes Nichts“, entfährt es der Hauptfigur geradezu paradigmatisch für diesen schmalen Roman, der um die tiefgreifenden Selbstzweifel und um philosophischen Proseminar-Stoff kreist. Bei einer Vorlesung beobachtet der Ich-Erzähler seine beinahe andächtig lauschenden Kommilitonen und deren Reaktionen und fühlt sich dabei irgendwann selbst beobachtet. Bei diesem von Andreas Maier vorzüglich arrangierten Subjekt-Objekt-Wechselspiel fühlt man sich sogleich an den Untertitel von Friedrich Dürrenmatts Novelle „Der Auftrag“ erinnert: „Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter“.
Stärker noch als in den Vorgängerwerken geht Maier in die gedankliche Tiefe und fordert vom Leser ein gehöriges Leidenspotenzial und die Bereitschaft, sich auf einen (moderat formuliert) sehr eigenwilligen jungen Mann einzulassen. Dessen handfeste Selbstzweifel lösen offensichtlich sogar psycho-somatische Reaktionen aus. Der Student hat mit Hautausschlägen zu kämpfen, die ihn wie ein „Michelinmännchen“ aussehen lassen. Allergische Reaktionen auf sich selbst sollen die Ursache sein.
Mit Fortschreiten des an der eigenen Vita angelehnten, erzählten Lebensweges hat sich Maier einen leicht ironischen, aber keineswegs spöttischen Blick angeeignet. Er spricht von einem „inneren Meta-Ebenen-Kuckuck", der sich zu Wort meldet.
Der noch beträchtliche erzählerische Weg der „Umgehungsstraße“ führt uns am Ende zum „lieben Gott“ (so soll der Abschlussband des Romanprojekts lauten). Bis dahin werden wir noch etliche biografische Schlaglöcher umfahren und viele intellektuelle Serpentinen bewältigen müssen.

Andreas Maier: Die Universität. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 145 Seiten, 20 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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