Wenn etwas ins Auge geht

 
Irene Disches Roman „Schwarz und Weiß“


Nur selten ist ein Titel so aussagekräftig wie beim neuen opulenten Epos der überwiegend in Berlin lebenden amerikanischen Schriftstellerin Irene Dische. Sie erzählt in ihrem sechsten Roman von der unkonventionellen Liebesgeschichte zwischen einem ungebildeten, dunkelhäutigen jungen Mann aus Florida und der Tochter einer intellektuellen jüdischen Emigrantenfamilie aus New York. Aufsteigergeschichte, Familienroman und Gesellschaftspanorama hätte es werden können, doch über weite Strecken fühlt man sich in eine rasante Woody Allen-Komödie versetzt.

Duke Butler, der junge Mann aus Florida, lernt in den frühen 1970er Jahren Lili Stone kennen, Tochter eines Komponisten und einer unglücklichen, den Drogen und den Seitensprüngen zugeneigten Essayistin. Lili stellt ihren Eltern den neuen Geliebten als Urenkel von Thomas Jefferson vor.
Und plötzlich öffnen sich für den armen Duke Butler die Türen zur großen Glamour-Welt, ein neues, geradezu paradiesisches Leben scheint zu beginnen. „Seidiger Sonnenschein, der Himmel so blau wie das Kleid der Madonna, eine verführerische, dennoch kühle Straße, ein Baum, der geduldig darauf wartet, Schatten zu spenden.“ Die 65-Jährige Irene Dische bewegt sich hier in schwindelerregende Höhen des Kitsches, und man weiß als Leser nicht so recht, ob bewusst oder unbewusst.

Duke liest fortan den Kulturteil der „New York Times“, lässt sich von Ezra Pounds Lyrik inspirieren (zumindest gibt er es vor) und avanciert zum gefeierten Weinkenner der New Yorker Schicki-Micki-Szene. Er schwadroniert vor laufenden Fernsehkameras über samtige Nuancen der erlesenen roten Tropfen und gefällt sich in seiner neuen Rolle als „Turbo“-Aufsteiger. En passant wird die unattraktive Lili auch noch als Model entdeckt. Das Paar steigert sich in einen wahren Lebensrausch hinein – größer, höher, exzessiver könnte das Motto lauten.
Man ahnt es früh, dass eine solche Geschichte nicht gut ausgehen kann, dass die vermeintlich heile Welt voller Makel steckt, doch Irene Disches Wendungen verlangen dem Leser ein Höchstmaß an Goodwill ab. Lilis Mutter Bucky kann das Leben ohne Drogen kaum noch ertragen, ihr Mann Vlado outet sich im fortgeschrittenen Alter als homosexuell, irgendwo explodiert noch ein Haus, und dann gibt es da noch die tragische Szene zwischen Lili und Duke: „Die Gabel stieß in dem Hummergelenk auf Widerstand, und Lilis Hand rutschte seitlich ab, genau in dem Moment, als Duke sich nach vorn beugte, um sich den zweiten Hummer zu holen. Das Schicksal … zielte jetzt mit dem Gabelzinken auf Dukes rechtes Auge."

Satire oder ernster Roman?
„Schwarz und Weiß“ ist tatsächlich das Programm. Gegensätze, wie sie krasser nicht sein können, Klischees, die an Plattheit kaum zu überbieten sind – und das auf einem kapitalen Umfang von fast 500 Seiten.
Oder hat uns Irene Dische eine ellenlange Satire vorgelegt, ohne Scheu vor effektvollen Slapstick-Einlagen? Wenn es das war, was sie wollte, dann – aber nur dann – ist „Schwarz und Weiß“ ein großer Wurf. Zweifel sind aber diesbezüglich angebracht, denn der Klappentext offeriert etwas anderes. So ist es leider nur ein oberflächlicher, mit Kitsch und Klischees überladener Unterhaltungsroman geworden, den man an langen Winterabenden schnell weg lesen kann. Außer einigen (je nach Mentalität) mehr oder weniger kräftigen Lachern wird wenig in Erinnerung bleiben.

Irene Dische: Schwarz und Weiß. Roman. Aus dem Englischen von Elisabeth Plessen. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2017. 489 Seiten, 26 Euro.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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