Wenn die Seele gefriert


Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman "Fremde Seele, dunkler Wald"

Der Niederösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker ist trotz seiner gerade einmal 34 Jahre längst weitmehr als nur ein Geheimtipp in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Als der auf dem elterlichen Bauernhof in Eberstalzell aufgewachsene Autor 2008 mit dem schmalen Roman "Der lange Gang über die Stationen" debütierte, wirkte diese Prosa über das bäuerliche Leben in der Provinz wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Aber die Nachfolgewerke machten schnell deutlich, dass hier ein herausragendes sprachliches heran wächst.

Kaiser-Mühlecker bewegt sich inhaltlich und formal stets abseits des literarischen Zeitgeistes, immer ein wenig melancholisch und immer im Spannungsfeld zwischen idyllisch anmutendem Landleben und unaufhaltsamen Veränderungen, die die moderne Landwirtschaft mit sich bringt.
Im Mittelpunkt des neuen Romans stehen die Brüder Jakob und Alexander Fischer, die in einem bäuerlich geprägten Drei-Generationen-Haushalt aufwachsen. Die Landwirtschaft bringt keine Erträge mehr, der Vater muss mehr und mehr Land verkaufen. Zu Beginn sitzt Jakob mit seinem 15 Jahre älteren Bruder Alexander in einer Kneipe. Der Ältere befindet sich als Soldat auf Heimaturlaub. Er hat das Militär gegen die heimatliche, bäuerliche Enge getauscht, ohne allerdings die Fesseln wirklich abschütteln zu können. Und Jakob kam es vor, "als streiche er immer nur - suchend, suchend - entlang an einer glatten, fugenlosen Mauer."
Eine bedrohliche Grundstimmung schwingt durch die Zeilen, allenthalben existieren große und kleine Krisenherde. Jakobs Freund Markus erhängt sich, und Alexanders ehemalige Geliebte Elvira, die einst eine ganze Generation junger Männer betörte, hat sich als Anführerin einer fanatischen religiösen Sekte, die in einen Mordfall verstrickt sein soll, einen zweifelhaften Ruf erworben.

Etwas ging zu Ende
Zwischen Viehstall und endlosen Weiden ist jede Menge los, von romantischem Landleben keine Spur. Die Figuren taumeln ein wenig durch das Hier und Jetzt, sind sich der Veränderungen bewusst ("Etwas ging zu Ende und war doch noch nicht zu Ende."), verharren aber in einem relativ passiven Zustand. Man lebt zwar miteinander, aber ein wirklicher Gedankenaustausch findet nicht statt. Eisiges Schweigen lässt die Seelen der Figuren gefrieren. Die Fischers leben zwar unter einem Dach, begegnen einander aber wie Fremde.
So bleiben die Brüder Jakob und Alexander bis zum Schluss orientierungslose Suchende des kleines Glücks. "Mich interessiert auf jeden Fall die andere Seite des Glücks", hatte Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker 2011 schon über seine Werke erklärt.
Mit einer beinahe einzigartigen elegisch-melancholischen Hintergrundmelodie beschreibt er den Wandel in der ländlichen Provinz. Dort, wo der Alltag über Generationen hinweg von geradezu ritueller Monotonie geprägt war, bröckelt das existenzsichernde Fundament immer mehr ab.
Der Umbruch vollzieht sich langsam, aber mit gewaltigen Auswirkungen. Langsam und bedächtig, manchmal gar leicht altbacken und ausschweifend ist auch Kaiser-Mühleckers Erzählton, doch die Wucht seiner Worte, die Vitalität seiner Sprache ist einmal mehr überragend.

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016, 302 Seiten, 20 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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