Vor 125 Jahren (am 29. März* ) wurde der Schriftsteller Ernst Jünger geboren
Virtuos, aber umstritten

Umstritten und bewundert, als Stilist gefeiert und als Sympathisant der Nationalsozialisten geächtet – das alles vereint der Schriftsteller Ernst Jünger, der heute* vor 125 Jahren geboren wurde, in einer Person.

„Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. So sind wir verbunden durch Erlebnis, Arbeit und Blut. Der Krieg erzieht zu männlicher Gemeinschaft und stellt Werte wieder an den rechten Platz, die halb vergessen waren“, schrieb Ernst Jünger in seinem Erstling, dem 1920 erschienenen Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“, in dem er seine Erlebnisse als Leutnant an der Westfront auf gezeichnet hat.
Ernst Jünger, der am 29. März 1895 in Heidelberg als Sohn eines Apothekers geboren wurde und seine Kindheit am Steinhuder Meer verbrachte, erlag früh den Verlockungen des großen Abenteuers. Als Primaner riss er aus und heuerte in der Fremdenlegion an.
Diese nur vier Wochen währende Flucht (der Vater holte ihn heim), deren Erfahrungen er 1936 in dem Tagebuch „Afrikanische Spiele“ veröffentlichte, hat ihn nachhaltig geprägt und aus ihm den begeisterten Kriegsfreiwilligen gemacht - der an Nietzsche und Darwin geschult - stets die Herausforderung zum Kampf für ein (wie immer auch immer geartetes) elitäres Ideal suchte.
Jünger wurde später zu einem der vehementesten Kritiker der Weimarer Republik, deren kleinbürgerliches Spießertum er mit patriotisch-nationalistischem Pathos bekämpfte. Er schrieb Aufsätze für nationalsozialistisch angehauchte Publikationen und den noch heute umstrittenen Essay „Der Arbeiter“ (1932), in dem er die Dekadenz des gesellschaftlich-politischen status quo voraussagte, den Niedergang des Bürgertums und den Übergang in einen „imperialen Raum“.
Der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von den Herrschenden umworbene Autor zeigte seinen zweifelhaften Verehrern jedoch die kalte Schulter. Jünger lehnte das ihm offerierte Reichstagsmandat ebenso ab wie die Berufung in die „zwangsgesäuberte“ Akademie für Sprache und Dichtung und den Abdruck seiner Texte im „Völkischen Beobachter“.
Himmler und Goebbels forderten nach Erscheinen der „Marmorklippen“ (1939) lebenslange Haft für den Autor, der nur durch Hitlers persönliche Intervention dieser Strafe entging. Auf die Tatsache, dass die NS-Führung seinen 50. Geburtstag (wenige Wochen vor Kriegsende) verschwieg, reagierte Jünger, der die meiste Zeit des Zweiten Weltkriegs als Stabsoffizier in Paris zubrachte, mit der Bemerkung: „Das ist auch die einzige Auszeichnung, auf die ich Wert lege.“
Nach 1945 hatte es Jünger, der der zwar eine konservative Revolution protegierte, aber kein strammer Parteigänger der Nazis war, schwer als Schriftsteller wieder Fuß zu fassen. Er trat zahlreiche ausgedehnte Reisen an und widmete sich der Insektenforschung. Sein in „Strahlungen“ (1948) intoniertes Plädoyer für die deutsch-französische Aussöhnung traf vor allem im benachbarten Ausland auf breite Zustimmung.
„Lasst mir den Jünger in Ruhe. Ich bewundere und respektiere sein Deutsch“, schrieb Brecht kurz vor seinem Tod beinahe ehrfurchtsvoll über den „politischen Gegner“. Brechts Bewunderung für den virtuosen Stil Jüngers kann jedoch nicht über die auch noch im Spätwerk vorhandenen elitären Tendenzen, das propagierte Märtyrertum und die fast manische Todessehnsucht hinwegtäuschen.
Im 1984 erschienenen Band „Autor und Autorschaft“ heißt es: „Der Autor fasst den Untergang in seiner vollen Dimension ins Auge. Die Überwindung der Todesfurcht ist Aufgabe des Autors.“ Furcht hat Jünger nicht gehabt: weder als Soldat in den beiden Kriegen noch bei seinen exzessiven Experimenten mit LSD, über die er im Band „Annäherungen“ (1970) Auskunft gibt.
Zwei seiner schönsten Bücher schrieb Jünger erst im „Rentenalter“, den um die Jahrhundertwende handelnden Entwicklungsroman „Die Zwille“ (1973) und die im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts angesiedelte Kriminalnovelle „Eine gefährliche Begegnung“ (1985).
Ernst Jünger hat zeitlebens seine Neigung zu den Extremen (er nannte eine gigantische Insektensammlung sein eigen) ausgelebt. Die Normalität war ihm verhasst. Sein literarisches und philosophisches Streben galt hehren, beinahe metaphysischen Idealen.
Noch 1990 schrieb er in der „Schere“: „Der Autor hat eine Berufung, nicht einen Beruf. Daher ist ihm zu Worten wie Schuld oder Unschuld oder schön und hässlich ein umfassenderer Blick zu eigen, als er im Alltag üblich ist.
Am 17. Februar 1998 ist Ernst Jünger in seiner schwäbischen Heimatgemeinde Wilflingen im biblischen Alter von 102 Jahren gestorben. Bis zuletzt hatte sich der so heftig umstrittene Autor noch literarisch zu Wort gemeldet - in den diversen noch immer sehr lesenswerten Ausgaben seiner Tagebücher „Siebzig verweht“.

„Ernst Jünger – Joseph Wulf: Der Briefwechsel 1962-1974“. Herausgegeben von Anja Keith und Detlev Schöttker. Klostermann Verlag, Frankfurt 2019, 168 Seiten, 29.80 Euro.

Ernst Jünger: „Gespräche im Weltstaat. Interviews und Dialoge 1929 – 1997“. Hrsg. von Rainer Barbey und Thomas Petraschka. Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 576 Seiten, 45 Euro

Sämtliche Werke von Ernst Jünger liegen in einer Gesamtausgabe und auch in Einzelbänden im Klett-Cotta Verlag vor.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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