Vater des nouveau roman

Zum Tod des französischen Schriftstellers Michel Butor


„Das Schreiben hat für mein geistiges Ich die gleiche Funktion wie die Wirbelsäule für meinen Körper“, erklärte einst Michel Butor, dessen Name fast immer in einem Atemzug mit Nathalie Sarraute und Alain Robbe-Grillet genannt und beinahe als Synonym für den „nouveau roman“ gebraucht wird. Was Butor von den genannten künstlerischen Weggefährten unterscheidet, ist die Tatsache, dass er sich auch als Theoretiker einen großen Namen gemacht hat und der Universität Genf, wo er 15 Jahre Linguistik lehrte, zu hohem Ansehen verhalf.

Michel Butor, der am 14. September 1926 im kleinen Ort Mons-en-Baroeul in der Nähe von Lille als Sohn eines Eisenbahninspektors geboren wurde, arbeitete nach dem Studium (Philosophie und Literaturwissenschaft) zunächst einige Jahre als Französischlehrer im Ausland. Trotz seiner großen literarischen Erfolge hat Butor die Kunst nie zu seinem Brotberuf gemacht, sondern eine akademische Laufbahn eingeschlagen. Vor allem seine drei frühen Romane „Passage de Milan“ (1954), „Der Zeitplan“ (1956) und „Modifikation“ (1957), die unter dem Einfluss von Joyce, Proust, Faulkner und dem befreundeten Sartre entstanden sind, werden als Standardwerke des „nouveau roman“ gehandelt. Aufsehen erregte er 1965 mit der Studie „6.810.000 Liter Wasser pro Sekunde“, in der er die Naturschönheit der zur Touristenattraktion heruntergekommenen Niagarafälle angepriesen hatte.
„Die Welt - vor allem die Objektwelt - wird gleichsam wie durch eine Filmkamera betrachtet. Deshalb fühlen sich die Schriftsteller des ,nouveau roman' auch so sehr mit dem Film verbunden. Er deckt sich am meisten mit ihrer eigenen Wahrnehmung der Realität“, erklärte Butor.
Butors gigantisches Oeuvre (es liegen über 50 Buchveröffentlichungen vor) umgab schon zu Lebzeiten eine rätselhafte Aura. Fünf Bände mit Essays zur modernen Literatur, eine dreibändige Analyse des Geistes der historischen Monumente im Mittelmeerraum, Aufsätze zur Malerei und zur Musik, Hörspiele, Libretti und profunde Studien über Proust, Balzac, Hugo und Rimbaud.
1996 hat Butor selbst versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Unter dem Titel „Improvisationen über Michel Butor“ erschien im Droschl Verlag ein 27 Kapitel umfassender Band, der sich weitestgehend an einer Vorlesungsreihe orientierte, die Butor über sein eigenes Werk unmittelbar vor seiner Emeritierung in Genf gehalten hat. Eine reizvolle Lektüre, denn selten zuvor hat es ein Autor verstanden, sein eigenes literarisches Werk derart kenntnisreich auf ein stabiles theoretisches Fundament zu setzen.
Unweit der Genfer Universität auf der Place du Plain-Palais steht schon heute ein Butor-Denkmal, das jedoch eher zufällig entstand. Er hatte einem befreundeten Bildhauer, der den Auftrag bekommen hatte, eine öde Straßenbahnhaltestelle mit einer Figurengruppe umzugestalten, Modell gestanden.
Vor drei Jahren war Butor  für sein Lebenswerk mit dem großen Literaturpreis der Academie francaise ausgezeichnet worden. Am Mittwoch ist der bedeutende französische Schriftsteller und Gelehrte, der große poeta doctus Michel Butor in Contamine-sur-Arve in den Savoyer Alpen im Alter von 89 Jahren gestorben. Frankreichs Staatschef Francois Hollande würdigte ihn "als großen Erforscher der Literatur".

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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