Stefanie vor Schultes Roman „Schlangen im Garten“
Trauerhaus Mohn

Die Autorin Stefanie vor Schulte hat mit ihrem im letzten Jahr erschienenen, vorzüglichen Romanerstling „Junge mit schwarzem Hahn“ die Messlatte für sich selbst sehr hoch angelegt. Als ihr 2021 in Hamburg der Mara-Cassens-Preis verliehen wurde, hieß es in der Jury-Begründung: „Mit einer klaren und bildhaften Sprache, schafft es die Autorin, Vergangenheit und Gegenwart in einem zu bündeln, ohne sich in tagespolitische Aussagen zu verlieren."

In ihrem zweiten Roman hat sich die 48-jährige, in Marburg lebende Schriftstellerin einem ebenso reizvollen wie diffizilen Thema gewidmet – dem Verlust eines geliebten Menschen und der damit einsetzenden Trauer. Die Familie Mohn wird vom Tod der Mutter und Ehefrau Johanne heimgesucht. Danach gerät alles aus den Fugen. „Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe.“ Mit diesem Satz über das Familienoberhaupt wird der Leser quasi kopfüber in die von Emotionen überquellende Handlung hinein gerissen.
Vater Adam ist emotional irgendwie auf Null gestellt, gibt seinen Job auf und droht in Apathie zu versinken, die 12-Jährige Linne reagiert mit Aggressivität auf den Tod der Mutter und prügelt sich fortan, ihr jüngerer Bruder Micha geht häufig ins Altersheim, um einer alleinstehenden Frau etwas vorzulesen, und Steve unterbricht sein Studium, kehrt heim und schlüpft in die Rolle eines Familiencoaches.
Die Familie muss sich neu finden, die Kinder (Linne und Micha) schlüpfen in die Rolle von „kleinen“ altklugen Erwachsenen, erinnern und prophezeien, reflektieren und grübeln über ihre selbstgewählte Isolation und die vermeintlich feindselig gestimmte Umgebung. „Wissen alles besser und nur, weil die noch ganz sind. Noch unbelehrt vom Tod. Sie sind beschränkt, dumm, hässlich, alt, aber vor allem ganz. Vollständig. Vollzählig.“
Autorin Stefanie vor Schulte will in diesem Roman ganz hoch hinaus. Sie erfindet ein staatliches Traueramt, das die Familie kontrolliert, unter Druck setzt und prüft, ob keine „Verschleppung der Trauerarbeit“ vorliegt. Der folgsam-spießige Amtsmitarbeiter Ginster konstatiert: „Die Beschwerden legen den Verdacht nahe.“
Das Umfeld der Mohns ist unempathisch, verleumderisch und aufdringlich gezeichnet. Hilfe und Verständnis erfahren sie nur von gesellschaftlichen Außenseitern, die wie Märchengestalten daher kommen: von der obdachlosen Bille mit ihrem Einkaufswagen und von Marlene mit dem künstlichen Bein.
Die Vermischung des ernsten Sujets mit den märchenhaften Einschüben gleitet in Schwarz-Weiß-Malerei ab. Auf der einen Seite die Mohns und die Außenseiter, auf der anderen Seite die feindselige Gesellschaft mit den aufdringlichen Nachbarn und dem spitzelnden Traueramt.
Die Kinder treten als (wenig glaubhafte) Kritiker des Zeitgeistes auf, als Analytiker des Verfalls tradierter Werte, als entschiedene Gegner des Größer-Höher-Weiter-Strebens. Der 11-jährige Micha resümiert: „Weil es sich gut lebt, wenn man nachtut, was andere einem vormachen."
Für Trauer gibt es bekanntlich kein Patentrezept, jeder Mensch trauert anders, aber bei Stefanie vor Schule wird die Trauer allzu stark intellektualisiert. Sie lässt die Familienmitglieder Geschichten über die Ehefrau und Mutter erfinden. Fiktion und Fantasie (daher stammt auch der Romantitel) fungieren als Trauerbewältigung. Eine mutige Komposition, die allerdings auch reichlich Dissonanzen beinhaltet. Möglicherweise ist die Autorin an ihren eigenen großen Ambitionen gescheitert. Am Ende des Romans geht es bis an die Grenzen zum Kitsch: „Die Jahre rauschen heran und wieder fort. Den Sternen wachsen lange Silberfäden, die sie hinter sich herziehen. Der Sand häuft sich an den Mohns empor und verschlingt sie fast.“

Stefanie vor Schulte: Schlangen im Garten. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2022, 239 Seiten, 24 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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