Tangente als Lebensmittelpunkt

Silvio Blatters Roman "Die Unverbesserlichen"

Gastwirten und Frisören sagt man nach, dass sie gute Zuhörer sind und sich in fremden Lebensläufen gut auskennen. "Ich lösche das Licht, ich bin der Letzte, der die Bar verlässt und nach Hause fährt." Jonas Alberding, der Protagonist in Silvio Blatters neuem Roman "Die Unverbesserlichen", führt mit großer Leidenschaft die Sportbar "Tangente" im Dunstkreis des Flughafens Kloten.

Hier trifft sich ein bunt gemischter Kreis von Männern um die fünfzig. Ob Polizist, Autohändler, Bauunternehmer oder Journalist: sie eint die Leidenschaft am Seniorenfußball. Zwischen all diesen Figuren hat Autor Silvio Blatter, der einst mit seiner "Freiamt"-Trilogie (bestehend aus den Romanen "Zunehmendes Heimweh", "Kein schöner Land" und "Das sanfte Gesetz") zu einer der wichtigsten Stimmen in der Schweizer Gegenwartsliteratur avancierte, den Wirt Jonas als Bindeglied der Romanhandlung positioniert.
Abwechselnd gibt es im Kreis immer wieder Turbulenzen, mal hat der eine, dann der andere private oder berufliche Probleme. Zudem befindet sich die geliebte Fußballmannschaft "Real 2" in einem dem Alter geschuldeten, unaufhaltsamen Auflösungszustand. Die Knochen wollen nicht mehr. Rocchinotti, der Polizist, bricht sich die Hand, Journalist Wimmer steht vor einer Prostata-Operation, und Jonas selbst schluckt Schmerzmittel, um noch beschwerdefrei einige Minuten kicken zu können. Trainiert wird die "Tangente"-Elf vom 80-jährigen Marcel, dem Vater des Kneipiers.

Mehr als eine Bar
Die "Tangente" ist mehr als eine Bar, sie ist eine Art zweites Zuhause, Anlaufstelle und Kommunikationsbörse für Personen unterschiedlichster Provenienz. Hier wird über Gott und die Welt (ganz viel über Fußball) geredet - mal profund und gescheit, mal populistisch zugespitzt. Exakt so wie im wirklichen Leben.
"Ist es denn falsch, einfach mit seinem Leben zufrieden zu sein?", fragt sich der Protagonist, der seit mehr als zwanzig Jahren mit Ellis liiert ist und dessen Leben tatsächlich nur um die "Tangente" kreist. Er hört dort von Trennungen, biografischen Zäsuren, gescheiterten Neuanfängen - und plötzlich befindet er sich selbst in so einem verhängnisvollen Beziehungsstrudel. Ellis macht eine späte Karriere als Model für einen Kosmetikkonzern, der die Frauen "in den besten Jahren" umwirbt. Sie wagt einen Neuanfang und verlässt Jonas. Ob für immer, lässt der 71-jährige Autor Silvio Blatter bewusst offen.
In "Die Unverbesserlichen" geht es vor allem um Freundschaft und ums Älterwerden, um die Gefahren für eine Partnerschaft, die hinter der Alltagsroutine lauern. Das alles erzählt Silvio Blatter in einem unaufgeregten, plaudernden Tonfall - mit viel Liebe zu kleinen Details und reichlich augenzwinkerndem Humor.
Im letzten Viertel erhält die eher gemächliche Handlung dann plötzlich mehr "Drive", und die heimelige Atmosphäre der Kneipenrunde wird abrupt zerstört. Silvio Blatter lässt ziemlich unvermittelt die "böse Welt" in den Kneipenmikrokosmos eindringen. Jonas' Vater, der zuvor Verwandte der nigerianischen Kellnerin Yola bei sich aufgenommen hatte, wird Opfer einer fremdenfeindlichen Attacke.
Aus und vorbei ist es mit Jonas Alberdings Lebenszufriedenheit. Partnerin Ellis ist auf und davon, und Vater Marcel Opfer einer Gewalttat geworden. Die heile Welt der "Tangente" ist ins Wanken geraten. Tauschen möchte man mit der Hauptfigur am Ende nicht. Silvio Blatter, dieser versierte Geschichtenerzähler, hat die Spannung bis zur letzten Seite hochgehalten und entlässt seinen liebgewonnen Protagonisten in eine völlig offene Zukunft.

Silvio Blatter: Die Unverbesserlichen. Roman. Piper Verlag, München 2017, 352 Seiten, 22 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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