Auf der Shortlist des Dt. Buchpreises: Dorothee Elmigers Roman „Aus der Zuckerfabrik“
Suche nach Zusammenhang
Als die nun 35-jährige Autorin Dorothee Elmiger vor ziemlich genau zehn Jahren mit dem schmalen Roman „Einladung an die Waghalsigen“ debütierte, wurde sie für ihre formale Experimentierfreudigkeit gelobt und mit dem Aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet. Sie hatte sich stilistisch quergestellt zum literarischen Zeitgeist und ließ in ihrem Erstling eine an Wolfgang Hilbig erinnernde apokalyptische Hintergrundmusik mitschwingen.
Vier Jahre später hatte die talentierte Schweizer Autorin nach dem Erscheinen von „Schlafgänger“ beinahe entschuldigend erklärt, dass sie sich nicht hinsetze, um etwas extrem Kompliziertes zu schreiben. Nein, bei Dorothee Elmiger gehört der assoziative Stil, das Aneinanderreihen von Fragmenten, das Montieren von fremden Textpassagen mit eigenen Reflexionen zum Denkstil. Ein unruhiger, aber höchst sensibler Geist versteckt sich hinter dieser kaum greifbaren, aber stilistisch bravourösen Prosa.
Im neuen Roman widmet sich Elmiger auf ihrer ausufernden Gedankenreise so aktuellen Themen wie Kolonialismus, Ausbeutung, Rassismus, Sklaverei, Gier nach Reichtum (alles verknüpft im Kampf um den Zucker) und der Geschlechterdebatte. Ausgangspunkt für diese gedankliche Endlosschleife sind Szenen aus einem Dokumentarfilm über den Schweizer Lottokönig Werner Bruni, der mit den gewonnenen Millionen ein kurzes Glück erleben durfte, in die Karibik reiste und später in bitterer Armut endete. Glück und Unglück sind ihr ganz eng miteinander verzahnt und spiegeln sich in der Filmszene wider, als auf einer Versteigerung Figuren von zwei karibischen Frauen aus Brunis Nachlass „unter den Hammer“ kommen.
Auf der von Raum und Zeit weitestgehend losgelösten, verschlungenen Gedankenreise gibt es Zwischenstopps bei Karl Marx und Max Frischs „Montauk“. Die Autorin bringt sich selbst in den Text ein, nicht als moralische Erzählinstanz, sondern als schwebendes, mitleidendes und mit suchendes Individuum.
„Das Suchen, das war dann die eigentliche Bewegung, die, die man jetzt auch im Text finden kann. Und ich bin dann immer wieder auf neue Figuren und Episoden gestoßen, von denen ich das Gefühl hatte, hier gibt es einen Zusammenhang, und den will ich jetzt suchen.“ So hatte Dorothee Elmiger kürzlich in einem Interview die Arbeit am vorliegenden Roman beschrieben.
Nicht ganz unproblematisch bei der Lektüre ist die Tatsache, dass etliche unübersetzte Zitate aus dem Englischen und Französischen eingeflochten sind. Lesefluss kommt bei der Lektüre ohnehin nicht auf, da man sich stets auf die Pirsch nach Querverweisen und adaptierten Zitaten begeben muss. „Warum nicht gleich alles erfinden, wo es sich doch auch bei der wahren Geschichte augenscheinlich um eine Fiktion handelt“, lässt Dorothee Elmiger ihre Erzählerin mit beinahe verzweifeltem Unterton sagen.
Zwischen Inhalt und Form, zwischen handfester Zeitkritik und hohem stilistischen Anspruch findet bei Dorothee Elmiger ein inneres Tauziehen statt. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie die Aktualität, die politisch-gesellschaftliche Relevanz ihrer Texte zu verschleiern versucht und die Krone der Artifizialisierung anstrebt. So liest sich „Aus der Zuckerfabrik“ schlussendlich wie eine auf Hochglanz geschliffene, wenig greifbare, assoziative Traumprosa, die zwischen Irgendwo und Nirgendwo verortet ist.
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2020, 271 Seiten, 23 Euro
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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