Sechs Frauen als Musen 


Markus Orths opulenter Roman „Max“

Lou, Marie-Berthe, Gala, Leonora, Peggy und Dorothea. So lauten nicht nur die Kapitelüberschriften in Markus Orths neuem, ausschweifenden Künstlerroman Max, sondern es sind auch die Vornamen der wichtigsten Lebenspartnerinnen des künstlerischen Universaltalents Max Ernst (1891-1976).

Der ehemalige Lehrer Orths hatte in seinen voran gegangenen (inzwischen in 18 Sprachen übersetzten) Romanen stets den schwierigen Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und massenkompatibler Unterhaltung geschafft. Zuletzt war ihm dies mit "Das Zimmermädchen" (2008) und „Die Tarnkappe“ (2011) erfolgreich gelungen. Nun hat der 48-jährige, gebürtige Niederrheiner neues künstlerisches Terrain beschritten und einen gleichermaßen ambitionierten wie unterhaltsamen Roman über Max Ernst vorgelegt.

In einzelnen Etappen, die durch sechs wechselnde Lebenspartnerinnen geprägt wurden, betreibt Orths weit mehr als nur eine erzählerische Rekonstruktion des Lebens eines der wichtigsten bildenden Künstlers des letzten Jahrhunderts. Er präsentiert darüber hinaus auch eine anregende, narrative Rückschau auf die jüngere Kunstgeschichte, in der wir prägenden Figuren wie André Bréton, Paul Eluard, Marcel Duchamp oder Hans Arp begegnen.
In Orths Roman ist der Dichter Hans Arp eine der schillerndsten Nebenfiguren - der dauerdichtende und kalauernde Poet, der absichtlich Versprecher produzierte und sie dann lautmalerisch (mit und ohne Publikum) zelebrierte. Ein Selbstdarsteller par excellence. Eine Charaktereigenschaft, die in Ernsts frühen Jahren in unterschiedlichsten Auswüchsen bei seinen Freunden und Weggefährten beinahe alltäglich war.
Die Unbeschwertheit, mit der die Künstler lebten, wird von Orths lustvoll beschrieben: ein Alltag ohne Grenzen, fernab der Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft – ohne Geld, mit viel künstlerischer Inspiration, reichlich Experimentierfreudigkeit und großer erotischer Verve. Es wird nicht nur künstlerisch viel und leidenschaftlich experimentiert, die Omnipräsenz der Neugier ist eine entscheidende Triebfeder für viele Figuren. Ein Mensch wie Max Ernst, der wie ein Gesamtkunstwerk daherkommt, hat auch mit Leidenschaft in einer Art emotionalem Laboratorium geforscht. Dabei kam es häufig zu gefährlichen Eruptionen und knalligen (Achtung: Wortspiel!) Verpuffungen.

Inspiration durch Frauen
Die beschriebenen sechs Beziehungen bedeuten für den Roman gleichzeitig sechs unterschiedliche Bilder von Max Ernst - verändert, geprägt und inspiriert von den Frauen an seiner Seite. Seine Studienfreundin Lou, mit der er einen gemeinsamen Sohn hatte und die später als Kunstwissenschaftlerin reüssierte, verließ er für eine kurzzeitige, aber heftige Ménage-à-Trois mit Gala und Paul Eluard in Paris. Während Gala später als Ehefrau und Managerin des großen katalanischen Surrealisten Salvador Dali berühmt wurde, fand Lou ein tragisches Ende. Im Gegensatz zu den meisten anderen Figuren aus dem farbenfrohen Handlungsensemble gelingt ihr nicht die Flucht vor den Nazis. Die Tochter eines jüdischen Hutmachers (und Ernsts erste Ehefrau) stirbt in Auschwitz.
Während Marie-Berthe Aurenche an Ernsts Seite eher farblos wirkt, war die Liaison mit Leonora Carrington (1917-2011) vor allem künstlerisch äußerst fruchtbar. 1939 vollendete das Paar das gemeinsame Ölgemälde Ölgemälde „Die Begegnung“. „Ich hatte nicht das Gefühl, ein Genie zu werden, nur weil ich Max kennengelernt hatte. Nein so war es nicht. Verstehen Sie, bevor ich Max kennenlernte, gehörte meine ganze Energie der Malerei, dann habe ich mich in ihn verliebt, und die Malerei habe ich weitergeliebt", bekannte die im britischen Lancashire geborene Malerin, Poetin und Dramatikerin.

Flucht in die USA
Als geneigter Leser und aufmerksamer Begleiter dieses exzessiven Lebensweges möchte man einwerfen, dass Leonora wohl die „passendste“ Muse an Ernsts Seite war.
Die Galeristin und Mäzenin Peggy Guggenheim, die ihm die Flucht vor den Nazis aus Europa (Ernsts Werke galten als „Entartete Kunst“) in die USA ermöglichte, und Dorothea Tanning, mit der er die letzten dreißig Jahre vor seinem Tod verbrachte, traten in das Leben des Universalkünstlers, als Ernsts „Motor“ schon mit deutlich niedrigeren Drehzahlen lief. Über New York und Arizona führte sein Weg wieder zurück nach Paris, wo er schon in den frühen 1920er Jahren gelebt hatte und wo sein Leben 1976 sein Ende fand.
„Die Rolle des Malers besteht darin, einzukreisen und zu projizieren, was er in sich selbst sieht“, hatte Max Ernst einmal bekannt. Das Einkreisen und Projizieren dieses wechselvollen Lebensweges ist Romancier Markus Orths vorzüglich gelungen. Auf den Spuren der großen, verstorbenen Künstlerbiografie-Erzählern Dieter Kühn und Peter Härtling hat Orths mit seinem Roman „Max“ ein wahres erzählerisches Feuerwerk vorgelegt – glitzernd, farbenfroh, (er)leuchtend und auch schrill.


Markus Orths: Max. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2017, 576 Seiten, 24 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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