Caroline Wahls Roman „Windstärke 17“
Schwimmen im Nebel
Mit der Faszination des Wassers und der beinahe selbsttherapeutischen Wirkung des Schwimmens haben sich in jüngerer Vergangenheit schon John von Düffel und Annika Büsing in ihren Romanen beschäftigt. Die gerade einmal 29-jährige Schriftstellerin Caroline Wahl legt nun innerhalb eines Jahres schon den zweiten Roman vor, in dem Wasser und schwimmen ganz zentrale Motive sind.
Ihr Debütwerk „22 Bahnen“ (2023) fand sofort den Weg in die Bestsellerlisten und wurde vom Buchhandel zum Lieblingsbuch des Jahres gekürt. Die gebürtige Mainzerin, die in Berlin und Tübingen Germanistik und deutsche Literatur studiert hat und im renommierten Diogenes Verlag in Zürich gearbeitet hat, ist inzwischen in Rostock heimisch geworden. "Zürich war mir zu dekadent, zu reich, zu schick. Es hat sich irgendwie nicht mit meinem Innenleben vereinbart. Rostock hat so etwas Rauhes, Echteres, wo ich mich wohlfühle", bekennt Caroline Wahl, die ihren zweiten Roman allerdings in Zürich fertig gestellt hat.
„Windstärke 17“ knüpft beinahe nahtlos an den Erstling an, erzählt wieder von den Schwestern Tilda und Ida. Die ältere Tilda ist inzwischen Mutter von fünfjährigen Zwillingen und hat als Mathematikerin eine Promotionsstelle in Berlin angetreten. Ida bleibt zurück mit der stark alkoholkranken, alleinerziehenden Mutter, die sie eines Tag tot auffindet. Ihr Seelenleben gerät in Wallung: „Ich habe Mama sterben lassen.“ Mit Anfang zwanzig schlittert sie ungebremst in eine tiefe Lebenskrise. „Ihr ganzes Leben scheint eine Übergangslösung zu sein“.
Sie bricht auf Richtung Stralsund, stürzt sich in die Wellen der Ostsee und findet in der Gaststätte „Robbe“ nicht nur einen Job, sondern auch offene Ohren der empathischen Besitzer Marianne und Knut. Per Zufall erhält sie jenen emotionalen Zuspruch, den sie in ihrer Kindheit nie erlebt hat. Beim Walking mit Marianne und im entspannenden Eukalyptus-Bad verfliegen die Schuldgefühle.
Schließlich lernt Ida den einst erfolgreichen DJ Leif kennen, der auf Rügen ebenfalls Abstand sucht, um eine seelische Krise zu bewältigen. Ida hat Leif aus den Wellen der Ostsee gerettet. „Als ich Sand unter meinen Füßen spüre, ist das einer der besten Momente meines Lebens. Wir haben es geschafft. Zusammen können wir alles schaffen, denke ich kurz.“
Das Meer ist bei Caroline Wahl stets ein Ort der Herausforderung, es liegt nie ruhig und sanft da, sondern ist zumeist rau und aufgepeitscht. „Ich höre das Pfeifen des Windes, das Klatschen der Wellen und schwimme weiter, weiß nicht, was das in mir ist, das mich trotz allem nicht wenden lässt, wende und lasse mich dann wie ein toter Fisch zurück Richtung Strand spülen.“
Idas Faszination für das Wasser kommt aus dem tiefsten Innern und lässt sich rational kaum erklären. Das Wasser steht gleichermaßen für Ruhe und Abenteuer, für Stille und Gefahr, und sie wirft sich in die Wellen, bei jeder Windstärke, wie es der Titel bereits vermuten ließ. „Draußen Nebel, leichter Nieselregen. Perfektes Schwimmwetter, wobei eine unheimliche Stimmung in der Luft liegt." Das klingt wie ein Spiegelbild des eigenen Seelenlebens – dunkel, wild und etwas unheimlich.
Caroline Wahl erzählt lakonisch, direkt und dennoch rhythmisch. „Windstärke 17“ ist ein Buch, das sich nicht recht greifen lässt – irgendwo auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Kitsch, zwischen tiefgehender Tragik und Pilcher-Anleihen - aber ergreifend und in einem singulären Sound verfasst, der ob seiner schlichten Rhythmik gefangen nimmt.
„Ich finde es schön, eine Welt zu erfinden, die möglichst wenige Menschen ausschließt, hat Caroline Wahl ihr literarisches Credo beschrieben. Jetzt steht der Umzug von Rostock nach Kiel an, und der dritte Roman ist bereits in Arbeit. Und das mit knapp dreißig. Man darf gespannt sein auf die weitere Entwicklung.
Caroline Wahl: Windstärke 17. Roman. Dumont Verlag, Köln 256 Seiten, 24 Euro.
Autor:Peter Mohr aus Wattenscheid |
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