Schutzhütte für den Geist

Vor 100 Jahren (am 10. Juni) wurde Literatur-Nobelpreisträger Saul Bellow geboren


Saul Bellow war bis ins hohe Alter ein ungeheuer aktiver Mensch. Als über 80-jähriger wurde er noch einmal Vater, und im Jahr 2000 sorgte er mit seinem Roman „Ravelstein“ in den USA noch einmal für einen Sturm der Entrüstung. Hinter der „Ravelstein“-Figur verbirgt sich nämlich Allan Bloom, ein 1992 an Aids gestorbener philosophischer Bestsellerautor, mit dem Bellow einige Jahre an der Universität von Chicago zusammen gearbeitet hat. Und Bellow gehört (auf einer Stufe mit Philip Roth) zu den Lieblingsautoren von US-Präsident Barack Obama.

„Mir schwebte eine Verschmelzung von umgangssprachlicher und eleganter Ausdrucksweise vor; die Sprache der Straße kombiniert mit einem hohen Stil“, bekannte Saul Bellow 1995 resümierend über sein gigantisches Oeuvre in seinem Essayband „Wie es war, wie es ist.“ In Bellows Oeuvre ging es häufig um die Gratwanderung zwischen seiner jüdischen Herkunft, seiner anfänglichen Begeisterung für den Kommunismus und der von seiner Familie forcierten „Amerikanisierung“.

Schutzhütte für den Geist
Irgendwo zwischen diesen Stühlen hat sich der Nobelpreisträger von 1976 als Autor eine geistige Nische gesucht („Die Literatur ist eine Schutzhütte für den Geist.“), immer darauf bedacht, nicht mit dem Strom zu schwimmen und sich eine intellektuelle Unabhängigkeit zu bewahren.
Saul Bellow wurde am 10. Juni 1915 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in einem Vorort von Montreal geboren und avancierte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wortführer jüdisch-amerikanischer Intellektueller, die in ihren Werken den kritischen Realismus propagierten. Bellow erregte bereits 1944 mit seinem Tagebuch „Dangling Man“ Aufsehen. Darin beschrieb er den Leidensweg eines jungen Mannes, der auf seine Einberufung wartet: „Mein Zustand der Demoralisierung in einer Zeit der zur Schau getragenen Härte nötigt mich, ein Tagebuch zu führen.“ Wie in vielen folgenden Werken, die sich äußerst kritisch mit der amerikanischen Politik auseinandersetzten, sind auch in „Dangling Man“ Bellows eigene Vita und seine politischen Ansichten („Ich war immer ein Radikaler“) stark mit in die Figuren eingeflossen. In seinen Frühwerken „The victim“ (1947) und „The adventures of Augie March“ (1953) widmete sich der Autor dem Phänomen der Vereinsamung des Individuums in der profitorientierten US-Konsumgesellschaft. „ ,Die Abenteuer des Augie March' ist das bedeutendste literarische Werk, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika geschrieben wurde. Es ist unser ,Ulysses'“, meinte Bellows prominenter Kollege Philip Roth.

Meisterwerk "Herzog"
Während Bellows Protagonisten in den Frühwerken zumeist als Leidtragende eines inhumanen Systems auftraten, wandte sich der Nobelpreisträger - beginnend mit dem Roman „Henderson the Rain King“ (1959) - mit zunehmendem Alter aktiven Figuren zu, die ihr Schicksal meistern und verändernd auf ihre Umwelt einwirken. Der bis heute eindrucksvollste und mehrfach preisgekrönte Roman „Herzog“ (1964) setzt sich mit den Schwierigkeiten eines jüdischen Intellektuellen auseinander, der am Unverständnis seiner Umwelt zerbricht, sich zurückzieht und Briefe schreibt, die ihre Adressaten nie erreichen. Nach einigen schwächeren Werken („Bellarosa Connection“ oder „Ein Diebstahl“) hat Saul Bellow 1998 mit seiner schmalen Novelle „Die einzig Wahre“ noch einmal ein rundherum gelungenes Spätwerk vorgelegt. Eine herrlich leichte Liebesgeschichte, in der ein schon betagtes Paar, das sich seit der Jugend kennt, nach bewegten Lebensläufen endlich zueinander findet.

Fünfmal verheiratet
Saul Bellow, der fünfmal verheiratet war, hat als analytischer Beobachter die Entwicklung der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft mit all ihren Schattenseiten kommentierend begleitet - als Autor und auch als Universitätsdozent in Chicago und Princeton, der vom Stockholmer Nobelpreiskommitee „für das menschliche Verständnis und die subtile Kulturanalyse, die in seinem Werk vereinigt sind“ ausgezeichnet wurde. Drei der bedeutendsten Bellow-Romane („Die Abenteuer des Augie March“, „Herzog“ und „Humboldts Vermächtnis“) sind 2009 in überarbeiteter Form und in neuen Übersetzungen bei Kiepenheuer und Witsch neu aufgelegt worden.
Saul Bellow war eine der herausragenden Figuren der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhundert, ein kritischer Intellektueller mit Ecken und Kanten, einer der vehementesten Kritiker des „american way of life. Am 5. April 2005 ist Saul Bellow in seinem Haus in Brookline/Massachusetts zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag gestorben.

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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